Montag, November 25

Indonesien war 2015 Gastland der Frankfurter Buchmesse und Laksmi Pamuntjak mit ihrem Romanepos «Alle Farben Rot» der Star. Darin erzählt sie die Geschichte der antikommunistischen Hatz 1965/66 unter Präsident Suharto. In Zürich möchte sie auf Kunst fokussieren.

Laksmi Pamuntjak ist in der Stadt. Seit Anfang August ist die indonesische Autorin als Writer in Residence am Literaturhaus Zürich. «Jetzt habe ich nicht weniger als fünf Monate in der Schweiz, herrlich!», sagt sie. Wer ihre reiselustigen Romane kennt, der ahnt: Kaum hat sie die Koffer abgestellt, beginnt schon die grosse Entdeckungstour. «Es ist grossartig, ich wohne nur zwei Tramhaltestellen vom Kunsthaus Zürich entfernt», schreibt mir die Autorin.

Ich lernte sie 2015 kennen auf der Frankfurter Buchmesse, wo Indonesien Gastland war. Laksmi Pamuntjak war mit ihrem Romanepos «Alle Farben Rot» der von der Kritik umschwärmte Star. Erzählstrukturen des Hindu-Klassikers «Mahabharata» nutzend, erzählte sie die Geschichte der antikommunistischen Hatz 1965/66 unter Präsident Suharto. Im Zentrum stehen die Liebenden Amba und Bhisma, die einander bei einem Militäreinsatz in Jakarta verlieren. Bhisma wird auf der Molukkeninsel Buru interniert.

Mit «Herbstkind» schrieb Pamuntjak die Geschichte bald darauf weiter, so dass ein Doppelroman entstand. Im Zentrum steht diesmal Siri, die Tochter von Amba und Bhisma. Siri ist bildende Künstlerin und verbringt – wie vor einigen Jahren auch die Autorin selbst – längere Zeit in Berlin, wo sie in die Berliner Kunstszene eintaucht. «Am glücklichsten bin ich im Museum», sagt Laksmi Pamuntjak. «Wenn ich stundenlang vor einem Kunstwerk sitzen und danach darüber schreiben kann.»

Versprechen von Zukunft und Freiheit

2018 machte ich mit ihr einen Rundgang durch die Berliner Gemäldegalerie. Dort gefiel ihr Pieter de Hoochs Gemälde «Die Mutter» aus dem Jahr 1661 besonders gut. Im Vordergrund sitzt eine Niederländerin neben einem Babykörbchen. Doch nicht die Frau faszinierte Pamuntjak, die selbst verheiratet und Mutter einer erwachsenen Tochter ist, sondern ein kleines Mädchen im Hintergrund. Voller Spannung schaut das Kind durch eine geöffnete Tür nach draussen. «Ich identifiziere mich vor allem mit dem Mädchen», sagte Laksmi Pamuntjak damals, «für mich liegt in dem Licht da draussen ein Versprechen von Zukunft und Freiheit.» Und so zieht es sie auch selbst ständig hinaus.

1971 wurde sie in Jakarta geboren. «Schon mit vier habe ich Klavierunterricht bekommen», erzählt sie. Stolz schwingt mit. «Ich bin international aufgetreten, habe Preise gewonnen. Auch mit unserem nationalen Symphonieorchester habe ich gespielt. Einmal führten wir das Klavierkonzert in G-Dur von Maurice Ravel auf.»

Westliche Bildung spielt eine grosse Rolle in ihrer liberalen muslimischen Familie. Ihr inzwischen verstorbener Vater studierte in den späten fünfziger Jahren Architektur in Westberlin. «Er brachte mir früh schon deutsche Kultur nahe. Geschichte, Architektur, Malerei, Musik – er war der Künstler in unserer Familie.» Doch auch ihre belesene Mutter stiess Türen auf. «Bei uns zu Hause in Jakarta hingen viele Reproduktionen von Paul Klee. Er war der Lieblingsmaler meiner Mutter.» Deswegen steht bald auch ein Besuch in Bern auf dem Plan. «Das Zentrum Paul Klee in Bern ist für mich ein Muss.»

Umtriebig ist sie, vielleicht ein wenig rastlos, manchmal sogar schlaflos. In ihren ersten Schweizer Wochen hat die 52-Jährige schon etliche Orte besucht. «Ich war mit der Seilbahn auf dem Pilatus.» Ausserdem schlenderte sie durch die Luzerner Altstadt und machte eine Bootsfahrt über den Vierwaldstättersee. Sie geniesst die Schweiz und freut sich sehr über die Einladung durch das Literaturhaus Zürich und die PWG-Stiftung, welche die möblierte Autorenwohnung stellt. Die schwere Schweizer Küche aber findet sie mit zunehmendem Alter ein bisschen schwierig. Als Kind war das anders. «Ich erinnere mich an drei Schweizer Restaurants in Jakarta und auf Bali. Da assen wir damals Fondue, Raclette und Rösti.»

Schlemmendes Jakarta

Dass Laksmi Pamuntjak sich so genau erinnert, ist kein Zufall. Sie hat ein immenses kulinarisches Gedächtnis. In den nuller Jahren war sie die bekannteste Gastrokritikerin von Jakarta. «Ich wollte meine ganze Stadt auffuttern!» Ihrer zarten Statur sieht man nicht an, dass sie sich damals alle zwei Jahre durch rund 500 Lokale schmauste – von der Strassenküche bis zur gehobenen Cuisine.

Was sie sah, schmeckte und erlebte, formte sie zu Texten. Diese erschienen zunächst in der «Jakarta Post» und später gebündelt in fünf dicken Bänden, dem «Jakarta Good Food Guide». «Das war noch vor Social Media. Damals hat man Essen nicht ständig fotografiert. Man musste noch Worte dafür finden.» So entstand ein enormes Kompendium, ein Tableau der geschichtsträchtigen Kulinarik der Megacity Jakarta.

Nach dem historischen Roman «Alle Farben Rot», an dem Pamuntjak knapp zehn Jahre arbeitete, griff sie das Thema Essen auch literarisch nochmals auf. «‹Alle Farben Rot› war ein Kraftakt. Danach wollte ich etwas Leichteres schreiben.»

So entstand ihr zweiter Roman, der auf Englisch «The Birdwoman’s Palate» heisst, der Gaumen der Vogelfrau, und dessen Verfilmung «Aruna & Her Palate» auf Netflix zu sehen ist. Darin geht die Hauptfigur Aruna zusammen mit einigen Freunden auf eine Feinschmeckerreise über den indonesischen Archipel. «Es sollte diesmal nicht nur um Jakarta gehen, sondern um den Reichtum unserer regionalen Küche.» Da während Arunas Reise die Vogelgrippe ausbricht, erkundet der Roman trotz seiner appetitlichen Erzähloberfläche auch die Tiefenstrukturen der häufig korrupten Institutionen auf dem 17 000-Inseln-Archipel. «Den jämmerlichen Zustand unseres Gesundheitswesens und die bürokratische Ineffizienz nicht zu vergessen!», sagt die Autorin.

Laksmi Pamuntjak, die Politik und Asian Studies studiert hat, ist eine leidenschaftliche Ermittlerin in Sachen indonesische Kultur und zugleich eine unerschrockene Kritikerin der politischen Entwicklung ihres Landes. Man liest ihre Kommentare zum Beispiel im «Guardian», aber man erlebt sie auch als scharfsinnige Analytikerin (und zugleich charmanten Talkgast) bei Lesungen und öffentlichen Diskussionen. Und auch durch ihre neuen Beziehungsgeschichten, die bald unter dem Titel «The Book of Mating» in englischer Übersetzung erscheinen, flimmern Themen wie häusliche Gewalt, Kindshochzeiten oder Homosexualität in Indonesien.

Jetzt wird zurückgeblickt

Wer weiss, welchen Einfluss die Schweiz auf Laksmi Pamuntjaks Schreiben nehmen wird. «Ich werde bestimmt etwas schreiben. Und dann wird es auf jeden Fall auch um Kunst gehen.» Vom Kunstmuseum Basel wurde sie bereits eingeladen, über zwei Bali-Gemälde nachzudenken. In der gegenwärtigen Ausstellung «Paarlauf» werden stets zwei Bilder miteinander kombiniert und kontrastiert.

Das Museum bat Pamuntjak, über die Gemälde «Balinesin II» (1926) von Robert Genin und «Kopf einer Balinesin» (1938) von Theo Meier zu schreiben. Beide Maler starrten damals Balinesinnen an. Jetzt blickt die Javanerin Laksmi Pamuntjak zurück. «Der ‹male gaze›, der männliche Blick auf Frauen, ist natürlich problematisch. Zugleich berührt mich der Ernst in den Gesichtern der Frauen. Beide schauen in die Weite, als träumten sie von fernen Dingen.» Klar, hat sie das Museum bereits besucht. Mit Bus und Bahn ist sie mobil. «Ich liebe die öffentlichen Verkehrsmittel hier. Und die knackig frische Luft. Ich bin ja ein Kind des Smogs. In Jakarta steht man täglich über Stunden im Stau.»

Auch ein Besuch im Centro Giacometti steht noch an. In ihrem Roman «Herbstkind» und einer der neuen Beziehungsgeschichten spielt der grosse Bildhauer bereits eine Rolle. «Ich habe seine Werke im Kunstmuseum Basel und in der Fondation Beyeler gesehen, vor allem aber natürlich im Kunsthaus Zürich.» Wir sind also praktisch Nachbarn. Auch seinen Geburtsort in Graubünden will Laksmi Pamuntjak noch besuchen. «Ich muss etwas über ihn schreiben. Unvorstellbar, hier zu sein und nichts über ihn zu schreiben.»

Laksmi Pamuntjak stellt ihr Schaffen am Mittwoch, 9. Oktober 2024, im Zürcher Literaturhaus vor (Beginn 19 Uhr 30). Moderation: Pablo Assandri. Lesung: Oriana Schrage. Ihre Werke erscheinen im Ullstein-Verlag.

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