Der Nachfolger von Franziskus auf dem Stuhl Petri stammt aus Chicago, ist aber ein untypischer Vertreter des amerikanischen Klerus. Ein Porträt.

Es sei schwierig, ihn kommen zu sehen, schrieb die «Repubblica» vor einigen Tagen über Kardinal Robert Francis Prevost. Er sei ein unauffälliger Mann, diskret, keine wuchtige Gestalt, leicht zu übersehen. Und tatsächlich: Der 69-jährige Kirchenmann aus Chicago wurde zwar immer mitgenannt, wenn es um mögliche Nachfolger des am Ostermontag verstorbenen Papstes Franziskus ging. Aber dass er am Ende von der Loggia des Petersdoms als neuer Papst Leo XIV. auftreten würde, damit hatten dann doch die wenigsten gerechnet. Nein, ein Amerikaner, das sei kaum denkbar auf dem Stuhle Petri, betonten auch erfahrene Vatikanisten. Zumal in Zeiten Donald Trumps.

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Doch aus dem Unauffälligen wurde in der kurzen Zeit zwischen dem Beginn des Konklaves am Mittwoch und dem «Habemus Papam» vom Donnerstagabend ein Löwe, ein «Leone», wie die Menge in Anspielung auf seinen Papstnamen auf dem Petersplatz skandierte.

Sanfter Löwe

Allerdings ein sanfter Löwe – und erst einmal ein emotional bewegter dazu. Als er den Segen «Urbi et orbi» sprach, meinte man in seinem Gesicht Tränen der Rührung zu erkennen. Seine ersten Worte hatte er mit Bedacht vorbereitet. Er sprach vom Frieden, erwies seinem Vorgänger die Reverenz, appellierte an die Einheit der Kirche und an die Gemeinschaft aller Gläubigen und bedankte sich beim Kardinalskollegium, das ihn in einer effizienten Wahl gewählt hatte.

Gleichzeitig traten sofort gewisse Unterschiede zu seinem Vorgänger ins Blickfeld. Anders als Franziskus, der schon bei Amtsantritt auf jegliche modische Extravaganz verzichtet hatte, trug Prevost die rote Mozzetta, das Schultercape, sowie die Stola und präsentierte sich damit traditioneller und festlicher als der argentinische Papst. Ob das schon eine inhaltliche Ansage war? Folgt nun auf den Spontan-Reformer aus Südamerika ein Traditionalist? Einer, der als Amerikaner vielleicht sogar nahe bei der Regierung in Washington steht?

Man wird es in den nächsten Wochen und Monaten sehen. Aber es könnte sein, dass Leo XIV. noch für Überraschungen sorgen wird, gerade auch in seiner Heimat. Seinem Lebenslauf nach zu schliessen, ist Prevost ein Kosmopolit, der nur schwer in die Kategorien des gegenwärtigen politischen und kirchenpolitischen Diskurses in den USA passt.

Er steht jedenfalls nicht im Lager der Konservativen, zu denen sich Vizepräsident J. D. Vance zählt. In Rom heisst es von ihm vielmehr, er sei der unamerikanischste unter den Kardinälen seines Landes. Wohl nicht zuletzt deshalb galt er auch weitherum als wählbar.

Verwurzelung in Peru

Längst ist Prevost in der römischen Kurie angekommen. Papst Franziskus hatte ihn im Januar 2023 ziemlich überraschend zum Leiter des Bischofsamtes ernannt, einer zentralen Schaltstelle in der Zentrale der katholischen Kirche. Nach übereinstimmender Einschätzung führt er dieses Amt mit Umsicht und Kompetenz. Er sei ein guter Zuhörer, sagt man über ihn.

Geboren am 14. September 1955 in Chicago, wuchs er in einer Familie mit italienischen, französischen und spanischen Wurzeln auf. Bereits 1977 trat er als Novize dem Augustinerorden bei. Nachdem er Mathematik und Philosophie in Philadelphia studiert hatte, wurde er 1982 als Priester ordiniert. Am Angelicum, der Universität der Dominikaner in Rom, dissertierte er 1987 in Kirchenrecht.

Bereits in den Jahren davor hatte er in der Augustinermission in Peru geweilt, einem Land, dem er später lange treu blieb und wo er Pater Gustavo Gutiérrez traf, einen der Begründer der Befreiungstheologie. Von 2014 bis 2023 diente er der dortigen Kirche, zunächst als apostolischer Administrator, dann als Bischof (Weihe im Jahr 2015) und schliesslich auch als Vizepräsident der peruanischen Bischofskonferenz. Während dieser Jahre spielten die Bischöfe im Andenstaat eine wichtige Rolle als Stabilitätsfaktor in einem Land, das von politischen Krisen durchgeschüttelt wurde.

Papst Franziskus lernte Prevost bei seiner Peru-Reise 2018 kennen – und schätzen. Jedenfalls wurde er bald zum Mitglied mehrerer vatikanischer Kongregationen bestimmt und schliesslich zum Chef des Dikasteriums für die Bischöfe. Seither lebt er in Rom, ganz in der Nähe des Petersdoms im Gebäude der Generalkurie seines Ordens. Dieses befindet sich links der berühmten Bernini-Kolonnade, auf die er am Donnerstagabend nun als neuer Papst hinunterblickte.

Nahe bei Franziskus

Wo er in kirchlichen und politischen Fragen steht und welcher Doktrin er sich verpflichtet fühlt, wird man sehen. Laut dem konservativen amerikanischen Portal «College of Cardinals Report» fühlt er sich den Überzeugungen von Papst Franziskus ziemlich nahe. Der Ordination weiblicher Diakone stehe er skeptisch bis ablehnend gegenüber, hingegen setze er sich für Umweltanliegen ein, mache sich stark für Arme und Migranten und vertrete eine Kirche, die es generell als ihre Aufgabe sehe, «die Menschen dort abzuholen, wo sie sind». Etwas davon ist am Donnerstag in seiner ersten Ansprache auf dem Balkon des Petersdoms angeklungen.

«Der Bischof sollte kein kleiner Prinz sein, der in seinem Reich sitzt», so zitiert ihn das erwähnte Portal, das die Positionen sämtlicher Kardinäle akribisch untersucht hat. Mit Spannung wird man verfolgen, ob er anders als Franziskus wieder den apostolischen Palast als Wohnsitz auswählt.

Prevost unterstütze die von Papst Franziskus angestrebte Änderung der pastoralen Praxis, die es geschiedenen und zivil wiederverheirateten Katholiken ermögliche, die Kommunion zu empfangen, heisst es weiter. Hingegen scheint er sich etwas weniger als sein Vorgänger um die Gunst der LGBTQ-Lobby zu bemühen. Immerhin habe er aber «moderate Unterstützung für Fiducia Supplicans gezeigt». Dabei handelt es sich um eine Erklärung Franziskus’ zur Segnung homosexueller Paare. Den sogenannten synodalen Weg, den sein Vorgänger zur Weiterentwicklung der Kirche eingeschlagen hat, befürwortet er eindeutig.

Welchem Leo sich der neue Papst verpflichtet fühlt, ist noch unklar. Der letzte Papst, der diesen Namen trug, war Leo XIII., Pontifex von 1878 bis 1903. Dieser war der erste Papst seit tausend Jahren, der wegen der italienischen Einigung keine weltliche Macht mehr ausübte. Während seines langen Pontifikats schrieb er 86 Enzykliken, in denen er den Dialog mit der modernen Welt und die kulturelle Erneuerung der Kirche förderte. Wie Franziskus liegt er in der Basilika Santa Maria Maggiore begraben.

Leo XIII. kokettierte offenbar gerne mit seinem Namen. Als er eines Tages durch die Vatikanischen Gärten schlenderte, so heisst es in einer Anekdote aus seiner Amtszeit, rannte eine Gazelle (eines der vielen exotischen Tiere, die er als Geschenk erhalten hatte) mit voller Geschwindigkeit auf ihn zu und warf ihn fast um. Die Anwesenden erschraken, doch der Papst erklärte mit Ruhe und einem Lächeln: «Wo hat man jemals einen ‹Löwen› gesehen, der sich vor einer wehrlosen Gazelle fürchtet?»

Wie löwenartig sich Kardinal Prevost alias Leo XIV. in seinem Pontifikat gebärden wird, weiss man noch nicht. An Herausforderungen und an Möglichkeiten, sich zu beweisen, wird es nicht mangeln.

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