Mittwoch, November 20

Mit 28 Jahren müsste Leroy Sané längst ein Weltklassespieler sein. Aber nicht nur im Nationalteam wirkt er nicht mehr unersetzlich.

Julian Nagelsmann hatte nicht die beste Mannschaft aufs Feld geschickt zum Abschluss des Länderspieljahres gegen Ungarn, doch beim 1:1 bot der deutsche Nationaltrainer einen Mann von Beginn an auf: Leroy Sané vom FC Bayern.

Zwar war der Effekt des Aussenstürmers gering, doch die Nomination war dennoch bemerkenswert. Denn Sané war bloss wieder in die Mannschaft gerutscht, weil den Trainer Personalsorgen plagten: Der Stuttgarter Angreifer Deniz Undav war ausgefallen. Ein paar Tage zuvor, gegen Bosnien-Herzegowina, hatte Nagelsmann Sané nach einer Stunde das Vertrauen geschenkt. Der rechtfertigte es, indem er beim 7:0 einen Treffer der Kategorie «sehenswert» erzielte.

Sanés Vertrag läuft zum Saisonende aus

Sanés aus der Not geborene Rückkehr in die DFB-Auswahl kann also zwiespältig betrachtet werden. Wie überhaupt die Diskussionen um ihn kontrovers geführt werden. Seine Position in München ist längst nicht mehr unumstritten, mag er auch entlastend anführen können, dass ihn eine Verletzung in dieser Saison lange gehemmt hat.

Zum Saisonende läuft sein Vertrag aus. Ob er weiter zu beschäftigen sei, wird gewiss nicht nur unter den Anhängern strittig diskutiert, zumal Sané in diesem Verein mit stolzem Gehaltsgefüge mit einem kolportierten Salär von 20 Millionen Euro zu den Besserverdienern gezählt wird. Bloss haben die Konkurrenten in Gestalt des Franzosen Michael Olise ihre Sache nicht schlecht gemacht, was den Bayern in den Verhandlungen eine komfortablere Position einräumen dürfte.

Zweifel während seiner Karriere sind nicht neu. Dass er ein hochbegabter Dribbler ist, dessen Tempo und Ballfertigkeit für jede Abwehr eine Gefahr darstellen, war schon vor zehn Jahren klar, als er für Schalke 04 spielte. Damals, als er 18 Jahre alt war, forderten manche Experten, er möge mit zur Weltmeisterschaft nach Brasilien reisen. Das war damals genauso überzogen, wie es heute wäre, den Stab über seine Karriere zu brechen.

Denn Sané hat mit 28 Jahren noch einige Jahre vor sich. Allerdings lässt die Dekade, die dazwischen liegt, Zweifel daran aufkommen, dass er sein Potenzial je dauerhaft ausschöpfen wird. Es gab immer wieder Phasen, in denen er brillierte. Zuletzt war dies zu Beginn der vergangenen Saison der Fall, als er unter dem Trainer Thomas Tuchel aufblühte. In welcher Verfassung Sané sich befindet, lässt sich leicht erkennen: Der Körper ist aufrecht, der Kopf erhoben, stets den besser positionierten Mitspieler im Blick – so präsentiert er sich in seinen besten Momenten.

In den anderen Momenten, die überwiegen, ist er jedoch nahezu unsichtbar. Das Spiel der Mannschaft läuft an ihm vorbei, und er zeigt wenig Interesse daran, defensiv mitzuhelfen. Das, was als «Spiel gegen den Ball» bezeichnet wird, scheint ihm ein Graus. Das ist durchaus verständlich, nicht jedem Filigrantechniker liegt die aufwendige Defensivarbeit. Nur sind sich etliche Offensivkräfte von internationalem Format längst nicht mehr zu schade für solche Aufgaben – einfach, weil die Notwendigkeit auf höchstem Niveau nichts anderes mehr zulässt.

Man braucht sich auch gar nicht weit umzuschauen, um Vertreter dieser Spezies auszumachen. Im Nationalteam ist es vor allem sein Mitspieler Florian Wirtz, der bei allem Raffinement keine Gelegenheit auslässt, einem verlorenen Ball hinterherzujagen. Auch Jamal Musiala ist sich für solche Aufgaben nicht zu schade.

In gewisser Weise steht Sané mit seiner Verweigerungshaltung in einer Münchner Tradition. Auch Franck Ribéry, der französische Flügelstürmer, schätzte es nicht unbedingt, für seine Defensivarbeit gelobt zu werden. Der Unterschied ist bloss: Ribéry musste in der Offensive nie zum Jagen getragen werden. Der Fussball war ihm stets ein Vergnügen.

Dass Sané enttäuscht, liegt auch an den Massstäben, die angelegt wurden. Schliesslich hatte seine Karriere früh eine gewisse Rasanz. Die Begabung wurde ihm buchstäblich in die Wiege gelegt: Souleymane Sané, der aus Senegal stammte, war einer der schnellsten Flügelspieler der Bundesliga. Die Mutter, Regina Weber, war rhythmische Sportgymnastin. 1984 gewann sie Bronze an Olympia.

Talent muss nicht unbedingt an die nächste Generation vererbt werden, aber Sané hat das unglaubliche Tempo seines Vaters und die Elastizität seiner Mutter. Die Fähigkeit, selbst bei hohem Tempo Haken zu schlagen, die einen Verteidiger ins Leere laufen lassen, gehört zu seinen herausragenden Eigenschaften. Solche Fähigkeiten sind selten, jeder Spitzenklub sucht nach ihnen. Und so war es eben auch, als er 2016 für 45 Millionen Euro von FC Schalke 04 zu Manchester City wechselte. Sein erstes Länderspiel hatte er schon ein Jahr zuvor absolviert.

Damals waren 45 Millionen Euro eine hohe Summe für Bundesliga-Verhältnisse, und der Umstand, dass er in 90 Matches unter dem taktisch anspruchsvollen Coach Pep Guardiola 25 Treffer erzielte, schien zu bestätigen, dass er für höchstes Niveau taugt. Bloss: Pep Guardiola trennt sich in der Regel nur ungern von Spielern, auf die er dauerhaft setzen will. So gelang es den Bayern durch ihren damaligen Sportdirektor Hasan Salihamidzic, Sané für 52 Millionen Euro zu verpflichten – ein Schnäppchen, wie manche meinten, denn ein Jahr zuvor hatten die Engländer noch mehr als das Doppelte gefordert.

Trainer Kompany formuliert diplomatisch

Seine Verpflichtung war schon damals nicht konfliktfrei. Der Sportchef Salihamidzic war in einem harten Konflikt mit dem Trainer Hansi Flick, der den Klub schliesslich verliess und die deutsche Nationalmannschaft übernahm. Flick hatte intern für Timo Werner geworben, der seiner Vorstellung vom Fussball mehr entsprach als Sané.

Jüngst wurde Vincent Kompany, der Bayern-Trainer, gefragt, wie er die Entwicklung von Sané bewerte. Kompany, ein smarter Zeitgenosse, gab sein Bestes und sprach von den Flügelspielern, die es gut gemacht hätten. Sané sei einer von ihnen, und wenn Sané zufrieden sei, dann sehe es jeder. Zudem habe er sehr viel Erfahrung, deshalb würde er in Zukunft noch wichtig werden. Es klingt durchaus freundlich, aber keineswegs so, als wäre der Mann mit der scheinbar ewig grossen Zukunft unersetzlich.

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