Erstmals seit 2013 heisst der deutsche Meister nicht Bayern München. Leverkusen profitierte nicht nur von einer Krise in München, sondern auch von seriösen Strukturen und einem Ausnahmetrainer.

Nun ist Bayer Leverkusen deutscher Meister. Zum ersten Mal, 120 Jahre nach der Vereinsgründung und nach vielen vergeblichen Anläufen, die dem Klub aus der Industriestadt im Rheinland den Beinamen «Vizekusen» eingebracht hatten. Zu Beginn der Saison hätte ein solches Szenario noch eine irreale Note gehabt. Doch jetzt, nach einer Spielzeit, in der Leverkusen die Konkurrenz in einer Art dominierte, wie es zuletzt den Bayern unter ihrem Trainer Pep Guardiola vor einem Jahrzehnt gelungen war, erscheint diese Meisterschaft für den deutschen Fussball durchaus historisch.

Sie ist die Konsequenz der exzellenten Arbeit in Leverkusen, die nicht erst vor anderthalb Jahren mit der Verpflichtung des Trainers Xabi Alonso begonnen wurde. Die Strukturen, auf denen Trainer wie er aufbauen konnten, existieren schon weit länger.

Die Sympathiebekundungen, die Leverkusen nun erhält, hat sich diese Mannschaft redlich verdient: 42 Spiele ohne Niederlage sind eine geradezu atemberaubende Serie. Doch einmal mehr zeigt sich, dass es unter deutschen Fussballfreunden kaum ein Mass und eine Mitte gibt, wenn es darum geht, Ereignisse einzuschätzen. Leverkusens Meisterschaft als einen Beleg für die Vitalität der Bundesliga heranzuziehen, ist zwar verlockend. Allerdings gelang dem Klub dies in einer Saison, in der die Bayern sich in einer Krise befinden, deren Ausgang ungewiss ist.

Die Freude über einen neuen Meister, der nach einem Jahrzehnt bayrischer Monokultur endlich einmal nicht Bayern München heisst, ist verständlich. Allerdings dünken einen die Reaktionen etwas überschäumend. Das ist in Deutschland ein durchaus bekanntes Muster. Wer sich an die Diskussion und das deutsche Nationalteam noch vor einem halben Jahr erinnert, der konnte glauben, dass der deutsche Fussball vor dem Bankrott stehe. Zwei passable Länderspiele gegen namhafte Gegner wie Frankreich und die Niederlande genügten, um die Stimmung ins Gegenteil zu verkehren: Plötzlich redet sich die versammelte Fangemeinde ein, dass Deutschland ein Titelkandidat an der Europameisterschaft im eigenen Land sei.

Auch Tuchel kennt das Schwanken der Meinungen

Wie schnell sich die öffentliche Meinung ändert, erfuhren auch die Bayern mit ihrem Trainer Thomas Tuchel. Nachdem Tuchel noch vor einer Woche als der für den sportlichen Misserfolg Hauptverantwortliche gegeisselt worden war, wurde er nach einem Remis beim englischen Spitzenklub FC Arsenal in der Champions League gefeiert, dass die Schwarte kracht.

Sollten die Münchner allerdings am Mittwoch im Rückspiel ausscheiden, dann wird bestimmt die vorherige Annahme unverzüglich wieder in Kraft treten.

Solche Überlegungen sollen den Leverkusener Titelgewinn keineswegs schmälern. Aber es ist gewiss keine neue Ära im deutschen Klubfussball, die mit dem Titelgewinn eingeleitet würde. Sollte sich der in seinem Streben nach Perfektion beinahe unheimlich erscheinende Trainer Xabi Alonso entscheiden, nach der kommenden Saison in München, Madrid oder Liverpool anzuheuern, könnte es bald schon wieder vorbei sein mit der Leverkusener Dominanz. Für den Augenblick aber setzt dieses Team Massstäbe, die für die Konkurrenz noch sehr lange gelten werden.

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