Dienstag, November 19

Die Umweltkommission des Nationalrats will Sonderrabatte für einzelne grosse Stromverbraucher zulasten von allen anderen. Ob dies für eine nachhaltige Sicherung der inländischen Stahlproduktion reicht, erscheint zweifelhaft.

Die kriselnden Schweizer Stahlwerke in Gerlafingen und Emmenbrücke können auf staatliche Soforthilfen hoffen. Die Umweltkommission des Nationalrats hat laut Mitteilung vom Dienstag mit knapper Mehrheit von 13 zu 11 bei einer Enthaltung eine vierjährige Senkung der Stromnetznutzungsgebühren für die Grossverbraucher der Stahlindustrie und der Leichtmetallindustrie beschlossen. Im vorgesehenen Gesetzesprojekt stehen keine Firmennamen, sondern Schwellenwerte bezüglich Stromverbrauch. Doch profitieren sollen in erster Linie die beiden Schweizer Stahlwerke sowie das Walliser Aluminiumwerk des amerikanischen Konzerns Novelis.

Das ist das jüngste Glied in einer Reihe parlamentarischer Signale nach dem Motto «Die Schweizer Stahlwerke sind in der Krise, der Staat soll sie retten». Der Haupttreiber der politischen Aktivitäten ist die Krise im Stahlwerk Gerlafingen; deshalb spielen Solothurner Politiker eine wichtige Rolle.

Konkret soll es gemäss der Nationalratskommission 2025 für die betroffenen Stromverbraucher einen Rabatt von 50 Prozent auf den regulären Gebühren für die Benutzung des Stromnetzes geben. 2026 beträgt der Rabatt noch 37,5 Prozent, im Jahr danach 25 Prozent und 2028 noch 12,5 Prozent. In der Stahlindustrie machen die Stromkosten einen bedeutenden Anteil an den Gesamtkosten aus – vergleichbar etwa mit den Personalkosten. Im Stahlwerk Gerlafingen dürften die Stromkosten 2023 etwa 10 bis 15 Prozent der gesamten Produktionskosten betragen haben.

Rabatte mit Auflagen

Die Gewährung der Rabatte soll an Bedingungen geknüpft sein. Zu den Auflagen gehören eine Garantie über den Erhalt des Schweizer Produktionsstandorts, nachhaltige Investitionen und der Verzicht auf Dividendenzahlungen. Bei Nichterfüllung der Bedingungen sollen betroffene Firmen die bezogenen Rabatte zurückzahlen. Inwieweit die Unternehmen eine Standortgarantie abgeben können, erscheint unklar. Ähnliches gilt für künftige Investitionen. In Gerlafingen scheint es an flüssigen Mitteln zu fehlen. Eine diskutierte Möglichkeit ist der Verkauf oder die Belehnung von Landreserven – vielleicht via Hilfen des Kantons Solothurn.

Die vorgesehenen Rabatte für die Netznutzungsgebühren würden das Stahlwerk Gerlafingen 2025 bis 2028 um total etwa 20 Millionen Franken entlasten, sagt der Solothurner Nationalrat Christian Imark, Präsident der Umweltkommission und eine treibende Kraft dieser «Lex Gerlafingen». Mit durchschnittlich etwa 5 Millionen pro Jahr erscheint die geschätzte Entlastung wie ein Tropfen auf den heissen Stein. 2023 hatte das Gerlafinger Stahlwerk einen Verlust von etwa 100 Millionen Franken produziert. Dieses Jahr könnten es dem Vernehmen nach etwa 40 bis 60 Millionen Franken sein.

Entlastungen aufgegleist

Die Firmenspitze hat laut Imark einen Strauss von Massnahmen aufgeführt, die in der Summe das Werk Gerlafingen aus den roten Zahlen bringen sollen. Ein Teil betrifft betriebliche Massnahmen. Der andere Teil sind staatliche Stützungen, die schon beschlossen oder in Diskussion sind und alle energieintensiven Unternehmen betreffen. Zu den beschlossenen Elementen gehören die Senkung des Tarifzuschlags für Stromreserven ab 2025, die Reduktion der Stromnetzkosten und die Förderprogramme des Klimaschutzgesetzes.

In Diskussion sind überdies eine weitere Senkung des Kapitalkostensatzes für Netzgebühren sowie die Möglichkeit für energieintensive Unternehmen, die Kosten für die Winterstromreserve zu vermeiden – durch die Verpflichtung, bei einer Strommangellage die eigene Produktion herunterzufahren.

Die von der Nationalratskommission vorgeschlagenen Rabatte auf den Netznutzungsgebühren sollen laut Christian Imark als Übergangshilfe dienen. Als mittelfristige Stützmassnahme schwebt Imark die Einführung einer vorgezogenen Recyclinggebühr für in der Schweiz verkauften Stahl nach dem Muster der Recyclinggebühr für TV-Geräte vor. Die Erträge einer solchen Gebühr könnte man gemäss Imark zur Vergünstigung des Stahltransports im Inland verwenden und damit den inländischen Stahl verbilligen. Zurzeit sei dies erst eine Idee; die Bundesverwaltung solle diese nun genauer prüfen.

Nachhaltigkeit infrage gestellt

Die Schweizer Stahlindustrie leidet unter diversen ungünstigen Faktoren: weltweites Überangebot, Rückgang der Nachfrage, hohe Stromkosten, staatliche Subventionen in Konkurrenzstandorten, hoher Investitionsbedarf für den klimafreundlichen Umbau der Produktion. Dass die vorgesehenen Sonderrabatte zusammen mit den zusätzlichen Massnahmen die Schweizer Stahlproduktion nachhaltig sichern könnten, wird von manchen bezweifelt.

Zu diesen Zweiflern gehört der Berner FDP-Nationalrat Christian Wasserfallen, der in der Umweltkommission die Sonderhilfen für einzelne Betriebe ablehnte. Laut Wasserfallen konnte die Führung des Stahlwerks Gerlafingen nicht aufzeigen, dass die diskutierte Soforthilfe zu einer nachhaltigen Rettung des Produktionsstandorts führen würde. Ein Beschluss zur Unterstützung von einigen wenigen Betrieben widerspreche zudem dem Gleichbehandlungsgebot und sei nicht konform mit der Bundesverfassung.

Die Rabatte bei den Netznutzungsgebühren sollen laut der Nationalratskommission «über die nationale Netzgesellschaft finanziert und damit von allen Stromverbrauchern landesweit solidarisch getragen werden». Auf Deutsch übersetzt: Alle Stromverbraucher zahlen faktisch eine Zusatzsteuer, um eine Subvention für einzelne Stahl- und Aluminiumwerke zu finanzieren.

Vorgesehen ist eine Feuerwehrübung: Die Sonderrabatte sollen aus den übrigen Bestimmungen des Stromreservegesetzes herausgelöst und dann im Dringlichkeitsverfahren behandelt werden. So könnten beide Parlamentskammern dieses Geschäft noch in der kommenden Dezembersession verabschieden. Das wird noch einiges zu reden geben.

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