Der türkische Präsident ist seit Monaten bemüht, sich als Verteidiger der Palästinenser zu profilieren. Nun hat er gar gedroht, militärisch in den Gazakrieg einzugreifen. Was steckt hinter der rhetorischen Eskalation?
Der türkische Präsident hat mit der Drohung einer Militärintervention in Israel für Schlagzeilen gesorgt. «Wir müssen sehr stark sein, damit Israel Palästina diese Dinge nicht antun kann», sagte Erdogan am Sonntag vor Vertretern seiner AK-Partei in der Schwarzmeerstadt Rize. Er verwies auf die türkischen Interventionen in Libyen und Karabach vor vier Jahren und fügte warnend hinzu: «Es gibt nichts, was wir nicht tun können.»
Die Türkei hatte 2020 mit der Entsendung von Kampfdrohnen wesentlich dazu beigetragen, dass eine Offensive des libyschen Kriegsherren Khalifa Haftar auf die Hauptstadt Tripolis scheiterte. Wenige Monate später spielten türkische Drohnen eine wichtige Rolle bei Aserbaidschans Angriff auf Berg-Karabach, der zur Vertreibung der armenischen Bevölkerung aus der Enklave führte. Eine Intervention in Israel hätte aber eine ganz andere Dimension. Im Verhältnis zum jüdischen Staat markiert die Drohung einen neuen Tiefpunkt. Was bezweckt Erdogan damit?
Schon kurz nach dem Terrorangriff der Hamas vom 7. Oktober hatte Erdogans ultrarechter Koalitionspartner Devlet Bahceli gefordert, militärisch in Israel einzugreifen. Erdogan hatte diese Forderung damals nicht aufgegriffen und sich auch sonst zunächst mit Kritik an Israel zurückgehalten. Seine Regierung hatte erst 2022 nach einer langen Eiszeit die Beziehungen mit Israel normalisiert. Auch hoffte er zunächst, sich im Gazakrieg als Vermittler einbringen zu können.
Erdogan steht in der Türkei unter Druck
Angesichts der Eskalation des Kriegs und des Anstiegs der Opferzahlen legte der türkische Präsident seine anfängliche Zurückhaltung aber bald ab und kehrte zu seinen früheren verbalen Attacken auf Israel zurück. Israels Ministerpräsident Benjamin Netanyahu nannte er den «Schlächter von Gaza» und warf Israel einen Genozid vor. Die Hamas bezeichnete er als Befreiungsbewegung und empfing deren Anführer Ismail Haniya in Istanbul. Anfang Mai verkündete die türkische Regierung zudem die Aussetzung des Handels mit Israel.
Mit dieser antiisraelischen Kehrtwende reagierte Erdogan einerseits auf die wachsende Kritik aus dem islamistischen Lager in der Türkei. Insbesondere die kleine Partei Yeni Refah hatte seiner Regierung vor den Kommunalwahlen Ende März vorgeworfen, sich nicht konsequent genug für die Palästinenser zu engagieren. Andererseits entsprach der Kurswechsel auch Erdogans Überzeugung sowie seinem Bemühen, sich in der islamischen Welt als Verteidiger der Palästinenser zu profilieren.
Trotz seinen markigen Worten hat der türkische Präsident allerdings nur eine Nebenrolle im Gaza-Krieg gespielt. In den Verhandlungen über die Freilassung der Geiseln und einen Waffenstillstand treten vorwiegend Katar und Ägypten als Vermittler auf. Die Hilfslieferungen für den Gazastreifen werden über Ägypten und Jordanien abgewickelt. Und es war China, das jüngst eine Annäherung zwischen den rivalisierenden Palästinenserparteien Hamas und Fatah vermittelt hat.
Eine direkte Konfrontation mit Israel will Erdogan vermeiden
Zudem war Erdogan trotz seiner harschen Rhetorik bemüht, eine direkte Konfrontation mit Israel zu vermeiden. Die Entsendung einer Hilfsflotte einer türkischen Hilfsorganisation für den Gazastreifen wurde Ende April blockiert. Erdogan fürchtete vermutlich, dass sich der Vorfall mit der «Mavi Marmara» im Jahr 2010 wiederholen könnte. Damals hatte ein israelisches Kommando eine Hilfsflottille zur Durchbrechung der Blockade des Gazastreifens geentert und zehn türkische Aktivisten getötet. Dies hatte zu einer jahrelangen Eiszeit mit Israel geführt.
Heute ist das Verhältnis der einstigen Verbündeten erneut in der Krise. In seiner Rede am Sonntag kritisierte Erdogan den Auftritt von Benjamin Netanyahu vor dem Kongress in Washington am Mittwoch und bezeichnete den israelischen Regierungschef als «Hitler-Karikatur». Israels Aussenminister Israel Katz verglich daraufhin Erdogan mit dem 2003 durch die USA gestürzten irakischen Diktator Saddam Hussein und mahnte ihn, sich an dessen Schicksal zu erinnern.
Trotz dieser rhetorischen Eskalation erscheint es aber unwahrscheinlich, dass Erdogan seine Drohung einer Intervention wahr macht. Die Türkei unterhält keine militärischen Beziehungen zur Hamas. Auch hätte eine Einmischung im Gazakrieg international einen ungleich höheren Preis für die Türkei als im Fall von Libyen oder Karabach. Es wäre ausserdem nicht das erste Mal, dass Erdogan seinen Worten keine Taten folgen lässt. Auch dem Nato-Partner Griechenland hat Erdogan schon wiederholt mit Krieg gedroht. Passiert ist bis heute nichts.

