Donnerstag, Oktober 3

Das Bundesgericht stützt die SRG: Das Vielfaltsgebot wird nicht verletzt, wenn sich Bundesräte vor eidgenössischen Abstimmungen ans Radio- oder Fernsehpublikum wenden.

Selten fühlt sich das Schweizer Radio und Fernsehen mehr an als ein Staatssender, wie wenn ein Mitglied des Bundesrats vor einer eidgenössischen Abstimmung auftritt, zu den «lieben Stimmbürgerinnen und Stimmbürgern» spricht und ihnen empfiehlt, für oder gegen eine Vorlage zu stimmen. Die Bundesratsansprache am Radio und Fernsehen ist zu einer Tradition geworden, es gibt sie seit mehr als fünfzig Jahren. Die einen Zuschauer finden sie informativ, die anderen überflüssig. Und die Dritten ärgern sich so darüber, dass sie vor das Bundesgericht ziehen und sich beschweren.

Doch so schnell wird der Bundesratsansprache nicht der Stecker gezogen. Das geht aus einem neuen Leiturteil des Bundesgerichts hervor.

Freiwilliges Entgegenkommen

Stein des Anstosses war die Ansprache von Ueli Maurer, die er am 25. April 2022 zur Frontex-Vorlage hielt. Die Rede wurde am Mittag ausgestrahlt und dauerte vier Minuten. Der Bundesrat betonte die Vorteile, die sich aus einer Annahme der Vorlage aus Sicht von Bundesrat und Parlament ergäben, und empfahl in deren Namen, ein Ja in die Urne zu legen. Die Argumente der linken Gegenseite fasste Maurer in einem Nebensatz zusammen. Mitte Mai 2022 hiessen die Stimmberechtigten die Frontex-Vorlage mit über 71 Prozent Ja-Stimmen gut.

Die Unabhängige Beschwerdeinstanz für Radio und Fernsehen (UBI) sah den bundesrätlichen Auftritt kritisch. Sie hiess die Beschwerde eines Zuschauers gut und war einstimmig der Meinung, dass die SRG damit das Vielfaltsgebot verletzt habe. Die SRG lasse die Bundesräte freiwillig auftreten, deshalb sei sie auch verantwortlich, wenn deren Ausführungen parteiisch und unausgewogen seien. Das Referendumskomitee habe nicht dieselben Möglichkeiten erhalten. Die SRG erhob Beschwerde gegen den UBI-Entscheid und machte geltend, dass Bundesratsansprachen zulässig seien und sie die verschiedenen politischen Lager unterschiedlich behandeln dürfe.

Klar ist: Anders als früher, als sie zur Bekanntmachung und zur Verbreitung von Behördenmeinungen gesetzlich verpflichtet war, muss die SRG die Ansprachen der Bundesräte heute nicht ausstrahlen. Es ist ein Entgegenkommen gegenüber der Landesregierung; diese verfügt daneben notabene über zahlreiche andere Kanäle und ein Heer von PR-Beschäftigten. So gesehen ist es staatspolitisch nicht unproblematisch, wenn ein Bundesrat vor einer eidgenössischen Abstimmung Redezeit im Fernsehen oder am Radio erhält und das gegnerische Lager nicht. Es geht um die freie Meinungsbildung.

«Sachlich, vollständig und transparent»

Das sieht zwar auch das Bundesgericht, gleichzeitig mag es sich nicht gegen die SRG stellen. Vielmehr betonen die Richter die demokratiepolitische Funktion der Auftritte. «Aufgrund des besonderen Charakters der Bundesratsansprachen rechtfertigt es sich nicht, das Vielfaltsgebot ebenso streng anzuwenden wie auf andere abstimmungsrelevante Sendungen.»

Das Publikum könne die Ansprache durchaus als das einordnen, was sie sei: ein Teil der Informationsaktivität der Landesregierung, zu der diese gesetzlich verpflichtet sei. Ueli Maurer habe zwar «überwiegend bis einseitig» die Argumente der Befürworter dargelegt, doch die Bürger seien es gewohnt, sich vor Abstimmungen ihre eigene Meinung zu bilden – Ansprache hin oder her.

Die bundesrätlichen Auftritte waren auch schon Thema im Parlament. So verlangte die SVP vor ein paar Jahren, dass den Initiativ- und den Referendumskomitees am Fernsehen gleich viel Redezeit gewährt werde wie den Bundesräten. Einzig die Grünen unterstützten das Anliegen. Der Bundesrat bzw. der damalige Bundeskanzler Walter Thurnherr lehnte das Ansinnen selbstbewusst ab mit dem Argument, dass die bundesrätlichen Informationen sachlich, vollständig und transparent sein müssten.

Ob sie das immer sind, darüber gehen die Meinungen allerdings auseinander. Der Grat zwischen erlaubter Information und politischer Propaganda ist schmal. Das sieht man auch bei den regelmässig aufflammenden Debatten über das Abstimmungsbüchlein, das ein eigentlicher Zankapfel geworden ist.

Urteil 2C_871/2022 vom 28. August 2024.

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