Mittwoch, Oktober 2

Die abtrünnige Region im Osten der Moldau verbietet die Verwendung ihres westlichen Namens. Begründet wird der Schritt mit der Geschichte. Doch wichtiger ist die Gegenwart.

Die Republik Moldau ist seit 33 Jahren ein unabhängiges Land. Über sein gesamtes Territorium hat der aus der sowjetischen Konkursmasse hervorgegangene Kleinstaat aber nie Kontrolle ausgeübt. Denn noch vor der moldauischen Unabhängigkeit von Moskau hatte ein schmaler Landstreifen östlich des Flusses Dnjestr (Nistru) seinerseits die Unabhängigkeit von Chisinau erklärt.

Am Fluss oder jenseits desselben

In den frühen neunziger Jahren kam es zu einem kurzen, aber sehr blutigen Krieg. Seither zählt der Streit um die abtrünnige Region, die von keinem Staat der Erde anerkannt, von Moskau aber tatkräftig unterstützt wird, zu den sogenannten eingefrorenen Konflikten an der Peripherie des einstigen Riesenreichs.

Der russische Überfall auf die Ukraine hat die Situation verändert. Denn das Separatistengebiet östlich des Dnjestr beherbergt nicht nur mehrere russische Militärbasen, sondern grenzt auch direkt an die Ukraine. Der Krieg und sein Verlauf wirken sich deshalb auch ganz unmittelbar auf die Konfliktdynamik in der Moldau aus.

Da kann ein Liebesgruss nach Moskau nicht schaden, muss sich Wadim Krasnoselski gedacht haben. Der Politiker ist seit 2016 Präsident der abtrünnigen Region, die auf Russisch «Pridnestrowje», auf Rumänisch und in allen anderen westlichen Sprachen «Transnistrien» genannt wird. In beiden Begriffen steckt der Name des Flusses. Auf Russisch befindet sich die Region jedoch am («pri-») Dnjestr, aus westlicher Sicht jenseits («trans-») desselben.

«Synonym für Völkermord»

Damit soll nun Schluss sein. Seit Anfang September verbietet ein von «Präsident» Krasnoselski vorgeschlagenes Gesetz die Verwendung des Namens Transnistrien. In der Begründung heisst es, der Begriff sei ein Synonym für Völkermord und das dunkelste Kapitel der lokalen Geschichte. Der Gebrauch des Wortes zieht fortan dieselben strafrechtlichen Konsequenzen nach sich wie die Zurschaustellung faschistischer Symbole.

Nach der Verabschiedung des Gesetzes erklärte Krasnoselski vor den Medien, dass sich der Name «Pridnestrowje» in allen Sprachen verwenden lasse. Aber weil ihm wohl bewusst war, dass der Begriff mit seiner slawischen Ballung an Konsonanten nicht jedem leicht über die Lippen geht, fügte er trotzig an: «Und sonst sollen sie es halt lernen!»

Die historische Begründung spielt auf die Zeit des Zweiten Weltkriegs an. Das mit Nazideutschland verbündete Rumänien besetzte damals die Moldau und Teile der Ukraine und verübte dort schreckliche Verbrechen. Das bis nach Odessa reichende Verwaltungsgebiet östlich des Dnjestr nannten die Besetzer «Transnistria». Der Begriff existierte allerdings auch schon davor.

Annäherung an den Westen

Dass Krasnoselski ausgerechnet jetzt Handlungsbedarf erkennt, hat ohnehin mehr mit der Gegenwart als mit der Vergangenheit zu tun. Denn der Streit um die geopolitische Ausrichtung der neutralen Moldau hat sich seit dem russischen Überfall auf die Ukraine akzentuiert. Zum Ärger Moskaus treibt die moldauische Präsidentin Maia Sandu entschlossen die Annäherung an den Westen voran. Im Oktober findet ein Referendum zur Frage statt, ob das Ziel der EU-Mitgliedschaft in die Verfassung aufgenommen werden soll. Beitrittsverhandlungen werden seit Juni geführt.

Auch wenn eine Wiedereingliederung des Separatistengebiets in die Moldau in weiter Ferne steht, beobachtet man in Transnistrien die Entwicklung mit Argwohn. Die Region hat sich in den vergangenen drei Jahrzehnten im geopolitischen Graubereich gut eingerichtet. Mit seinem Bekenntnis zum russischen Namen unterstreicht Krasnoselski, wem er in diesen unsicheren Zeiten die Treue hält. Ausserdem macht er ein wenig von sich reden, am und jenseits des Flusses.

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