Die Baller League erreicht ein jüngeres Fussballpublikum, dem ein normales Spiel zu lange dauert. Nun expandiert die Hallenfussball-Liga nach Grossbritannien und in die USA.
Jeden Samstag- und Sonntagabend sitzen Gary Lineker, Alan Shearer und Micah Richards im Studio der altehrwürdigen British Broadcast Corporation und reden über Fussball. Alle haben sie Länderspiele für England absolviert, nach dem Rücktritt heuerten sie bei der BBC als Fussballexperten an.
In der Sendung «Match of the Day» liefert der Moderator Lineker mit den Sekundanten Shearer und Richards unterhaltsame Analysen von Premier-League-Matches, die in ihrer Tiefe ihresgleichen suchen. Das Trio sinniert über Formstände, kritisiert Trainer, analysiert Spielzüge. Vor zwei Wochen kündigte Lineker an, er werde die Moderation von «Match of the Day» zum Saisonende abgeben.
In dieser Woche wurde bekannt, dass der 60-jährige Lineker an die Seitenlinie wechselt, er wird Manager – nicht in der Premier League bei einem seiner früheren Klubs, Leeds United, Everton oder Tottenham, sondern in der Baller League. Das ist eine Hallenfussball-Liga, die vor allem im Internet gestreamt wird; es geht mehr um die Show als um Taktik. «Match of the Day», die Kultsendung der BBC mit dem ikonischen Intro, wirkt dagegen wie ein Anachronismus.
Die Baller League startete im vergangenen Januar in Deutschland. Die ehemaligen Nationalspieler Lukas Podolski und Mats Hummels gründeten die Liga mit dem vollmundigen Versprechen, dass damit eine «neue Ära des Fussballs» anbrechen werde. Das Format ist zugeschnitten auf ein junges Publikum, das mit den sozialen Netzwerken und den Fifa-Spielen auf der Konsole aufgewachsen ist. Ein Publikum, dem 90 Minuten Fussball zu langatmig und zu langweilig sind. Das lieber kurze Videoschnipsel auf Tiktok und Instagram statt einen ganzen Match schaut.
Auch Luis Figo und John Terry sind dabei
Die Mannschaften in der Baller League setzen sich aus Amateurspielern zusammen, die von Managerinnen und Managern ausgewählt werden. In Deutschland sind unter anderem die Schweizer Nationalspielerin Alisha Lehmann, Podolski oder der Comedian Felix Lobrecht für Teams verantwortlich; die Manager sind eine Mischung aus Stars und Influencern, die in den sozialen Netzwerken eine grosse Reichweite garantieren. Lehmann hat 17 Millionen Follower auf Instagram.
Ab kommendem März expandiert die Baller League nach Grossbritannien und in die USA. Lineker wird eine Mannschaft zusammenstellen, seine Kompagnons von «Match of the Day», Shearer und Richards, sind ebenfalls dabei. Dazu: John Terry, Luis Figo, Jens Lehmann. Eine illustre Runde ehemaliger Granden. Wie viel Geld sie mit dem Engagement bei der Baller League verdienen werden, ist nicht bekannt. Die Macher der Liga dürften sich die Altstars aber einiges kosten lassen. Für seine Dienste bei der BBC bekam Lineker zuletzt umgerechnet 1,45 Millionen Franken pro Jahr – er war der bestbezahlte Mitarbeiter des Senders.
In Deutschland wurden in diesem Jahr zwei Saisons der Baller League ausgetragen, die Partien fanden jeweils am Montagabend in einer Halle in Köln statt. Pro Spieltag gibt es sechs Matches à zweimal 15 Minuten. Gespielt wird mit fünf Feldspielern und einem Goalie. In den letzten drei Minuten jeder Halbzeit werden die Regeln per Zufallsgenerator geändert. Einmal ist pro Team nur noch ein Spieler erlaubt, ein anderes Mal zählen nur Volley-Tore, oder jedes Foul wird mit einem Platzverweis bestraft. Das ist das Konzept der Baller League: kurze Partien, ständige Action und die Möglichkeit, dass die Regeländerung das Spiel auf den Kopf stellt – moderner Strassenfussball eben.
Ob das alles schon zu einer «neuen Ära des Fussballs» reicht, ist fraglich. Doch das Format kommt beim Publikum gut an, durchschnittlich 100 000 Zuschauerinnen und Zuschauer sahen die Partien auf der Streamingplattform Twitch. 2,9 Millionen Menschen riefen zumindest einmal pro Spieltag den Livestream auf. Das ist eine beachtliche Reichweite für ein Nischenprodukt, wie es die Baller League im Vergleich zum klassischen Fussball ist. Dass grosse Namen wie Shearer, Lineker oder Figo einsteigen, zeigt, dass die Liga bei einem neuen, jüngeren Publikum viel Potenzial hat.
Mit der Verpflichtung von Ronaldinho gelingt ein Coup
Weniger ist über die Protagonisten der Baller League in den USA bekannt. Klar ist erst, dass
Ronaldinho, Brasiliens einstiger Superstar, einer der Manager sein wird. Ronaldinho, mittlerweile 44 Jahre alt, war als Spieler Weltmeister und gewann die Champions League; zweimal war er Weltfussballer.
Nach der Karriere versuchte er sich in Indien als Futsal-Profi und sorgte mit Skandalen für Aufsehen. 2018 verurteilte ein brasilianisches Gericht Ronaldinho und dessen Bruder zu einer Strafzahlung von umgerechnet 2 Millionen Franken, weil sie bei der Bebauung eines Grundstücks Umweltschäden angerichtet hatten. 2020 sassen die Brüder während sechs Monaten in Paraguay im Gefängnis. Sie hatten versucht, mit gefälschten Pässen in das Land einzureisen. Geblieben ist trotz Haftstrafe und Skandalen Ronaldinhos klingender Name – auf Instagram folgen ihm 77 Millionen Menschen.
Die grosse Reichweite in den sozialen Netzwerken führte wohl auch zur Wahl des Rappers und Influencers KSI zum Ligapräsidenten in Grossbritannien. KSI erreicht auf der Videoplattform Youtube schon jetzt ein Millionenpublikum, unter anderem mit Sport: Er absolvierte letztes Jahr einen Boxkampf gegen Tommy Fury, den Bruder des früheren Weltmeisters Tyson Fury.
KSI verlor diesen Showkampf im Oktober 2023 zwar, die Veranstaltung war aber ein Publikumserfolg. 1,3 Millionen Zuschauerinnen und Zuschauer bezahlten auf der Streamingplattform Dazn einen erklecklichen Betrag, um den Mix aus Show, Sport und Klamauk zu erleben. Diese Mischung bietet auch die Baller League. Dass das bei einem jungen Publikum ankommt, haben nun auch die Altstars von «Match of the Day» gemerkt.