Die Forschung beschäftigt sich seit über 25 Jahren mit den Medienschaffenden. Ein Überblick über die wichtigsten Ergebnisse.
«Schleusenwärter» nannte man Journalisten einst, weil sie allein entscheiden konnten, welche Informationen öffentlich werden. Dieses Monopol haben die klassischen Medien verloren: Das Internet ermöglicht es im Grunde jeder Person, sich einzubringen, vor allem auf den Kanälen von Social Media.
In der Bevölkerung geniessen zwar nach wie vor die klassischen Medien das grösste Vertrauen, jedenfalls ein grösseres als Social Media. Deshalb haben Journalistinnen und Journalisten weiterhin Einfluss durch ihre Recherchen, ihre Themenselektion, ihre Analysen und ihre Kommentare. Sie vermitteln Wissen, aber was weiss man eigentlich über sie?
Die Frauenquote steigt – aber nicht in den Chefetagen
Weltweit ist die Berufsgruppe der Journalisten recht gut erforscht. Seit 2007 besteht der Forschungsverbund «Worlds of Journalism», geleitet von Professor Thomas Hanitzsch in München, der in rund achtzig Ländern forscht. In der Schweiz setzte die Forschung in den 1980er Jahren ein, die erste grosse gesamtschweizerische Untersuchung gab es erst vor 25 Jahren. Was bisher erforscht wurde, füllt über tausend Buchseiten.
Die Frage, wie viele Medienschaffende es in der Schweiz gibt, ist nicht leicht zu beantworten. Klar ist bloss: Neben den angestellten gibt es auch viele freie Journalisten, von denen ein beträchtlicher Teil einer anderen Haupttätigkeit nachgeht. Und die Zahl scheint in den letzten 25 Jahren wegen der Medienkrise abgenommen zu haben. So zählte das Bundesamt für Statistik im Jahr 2010 noch über 12 200 Journalisten, 2022 waren es noch 9700. In der Forschung hingegen rechnete man von Anfang an mit einer geringeren Zahl, schon vor 25 Jahren kam man auf nur 900o.
Die in der Schweiz durchgeführten Untersuchungen stützen sich vor allem auf Befragungen. So gelangten die Forscher zu Datensätzen, die verlässliche Schlüsse zuliessen. Der Frauenanteil etwa hat stark zugenommen. Vor 25 Jahren betrug die Frauenquote 33 Prozent. In der Befragung von 2008 war sie auf 35 Prozent gestiegen, 2015 auf 39 Prozent und 2023 auf 44 Prozent.
Schlecht vertreten sind die Frauen nach wie vor in den Chefpositionen. Von den grossen Printmedien wurde einzig der «Tages-Anzeiger» über längere Phasen – zusammengerechnet zehn Jahre – von Frauen geführt. Ebenso verdienen die Frauen weniger. Noch 2015 betrug der Unterschied zwischen den Geschlechtern 21 Prozent. Das erklärt sich teilweise durch den geringeren Anteil der Frauen in Führungspositionen und durch Teilzeitarbeit, aber nicht nur: Noch immer werden Frauen zu schlechteren Bedingungen angestellt als Männer.
Immer mehr Akademiker
Wie steht es um den Bildungsgrad der Journalistinnen und Journalisten? Vor 25 Jahren besassen 54 Prozent ein abgeschlossenes Hochschulstudium, 2008 waren es knapp 60 Prozent, 2015 belief sich der Anteil auf 70 Prozent und 2023 auf 80 Prozent. Der Akademikeranteil steigt kontinuierlich. Gestiegen ist auch der Anteil jener Journalistinnen und Journalisten, die eine Journalistenschule besucht haben. Eher in den Hintergrund gerückt ist hingegen das gute, alte Volontariat, also die Ausbildung im Sinne von Learning by Doing direkt am Arbeitsplatz. Vor 25 Jahren hatte noch die Hälfte der Befragten ein Volontariat absolviert.
Die Arbeitsbedingungen werden als zunehmend schwieriger wahrgenommen. Im Jahr 2000 berichtete die Mehrheit der Medienleute positiv, von einem abwechslungsreichen Arbeitsalltag. Schon damals klagten jedoch 56 Prozent der Agenturjournalisten, 50 Prozent der SRG-Radiomitarbeiter und 46 Prozent beim SRG-Fernsehen über einen schier unerträglichen Zeitdruck.
Fast ein Jahrzehnt später wurde das Internet dominant: Einerseits war es die wichtigste Informationsquelle geworden, anderseits bewegten sich die Medienleute nun zwischen drei und fünf Stunden täglich im Netz. 2015 sagte mindestens die Hälfte der Befragten, dass die eigene Arbeit vor allem durch die journalistische Ethik, den Zeitdruck, den zum Teil schwierigen Zugang zu Informationen, die persönlichen Werte und Überzeugungen sowie durch die verfügbaren Ressourcen beeinflusst werde.
Ohne Bedeutung waren für die Journalisten Einflüsse durch Zensur, Politiker, Interessengruppen, Polizei und Militär, Öffentlichkeitsarbeit oder Freunde.
Deutlicher Linksdrall
Seither haben sich die Arbeitsbedingungen weiter verändert. 2023 arbeiteten nur noch 50 Prozent der Befragten Vollzeit, gleichzeitig arbeiteten mehr Journalisten an befristeten Stellen. Und immer mehr arbeiteten für verschiedene Kanäle gleichzeitig. Erstmals beklagte sich eine deutliche Mehrheit der Befragten über erniedrigende und hasserfüllte Äusserungen und über die öffentliche Diskreditierung ihrer Arbeit.
Wandel und Konstanten gibt es auch bei den Rollenbildern, an denen sich Medienschaffende orientieren. Die wichtigste Rolle war stets die des neutralen Beobachters und Berichterstatters. Dem stimmten in allen Befragungen zwischen rund 80 und 100 Prozent zu. Abgenommen hat aber das Bedürfnis, eine Kritik- und Kontrollfunktion auszuüben und Missstände aufzudecken. Fanden das vor 25 Jahren 82 Prozent der Befragten wichtig, waren es 2019 noch 47 Prozent.
Immerhin 55 Prozent waren 2023 der Ansicht, man müsse die Mächtigen kontrollieren, und 70 Prozent gaben an, man müsse gesellschaftliche Missstände beleuchten. Die Mehrheit stimmte zudem stets der Aufgabe zu, dem Publikum ein Forum zu bieten.
Wo stehen die Schweizer Journalistinnen und Journalisten politisch? Vor 25 Jahren hatte man das nicht abgefragt. Eine 1999 erschienene Studie stellte indes für jene Medienleute, die über Schweizer Aussenpolitik berichten, eine klare Linkstendenz fest: 34 Prozent von ihnen waren SP-nahe, niemand war SVP-nahe. Auch eine Umfrage von 2001 kam zum Schluss, dass 60 Prozent der Journalistinnen und Journalisten links wählten. 2015 ergab die Befragung, dass die durchschnittliche politische Einstellung der Medienschaffenden auf einer Skala von 0 (ganz links) bis 10 (ganz rechts) bei 4,02 liegt, also links der Mitte. 2023 lag der Schnitt bei 3,4.
Solche Ergebnisse erhält man auch, wenn man Journalistinnen und Journalisten in den USA, in Schweden, in Deutschland oder in Italien befragt: Die Medienleute siedeln sich stärker links an als die Gesamtbevölkerung. Dieser Befund wird allerdings durch zweierlei relativiert: Die Journalistinnen und Journalisten arbeiten mehrheitlich bei Medien mit bürgerlichen Besitzern.
Sie wissen um die Blattlinie oder das Senderprofil und verhalten sich entsprechend. Und sie fühlen sich selber in erster Linie der neutralen Berichterstattung und der Analyse verpflichtet. Die Autoren der Befragung von 2023 stellen allerdings zur Diskussion, ob es nicht ratsam wäre, bei der Rekrutierung von Journalistinnen und Journalisten auch die politischen Einstellungen auszugleichen – gerade im Hinblick auf mehr Diversität im Berufsstand.
Roger Blum ist emeritierter Professor für Kommunikations- und Medienwissenschaft an der Universität Bern. An der ersten Journalismus-Studie vor 25 Jahren war er beteiligt.