Der Liverpool FC kann heute Sonntag mit dem 20. Titel zum englischen Rekordmeister ManU aufschliessen. Fast so wichtig ist für die Fans, dass ihr Lieblingsspieler Mohamed Salah den Vertrag verlängert hat.
Der Liverpool FC steht kurz vor dem Ziel, schon heute Sonntagabend kann er den Meistertitel feiern. Im Zentrum steht dabei einer, den die Fans liebevoll «Egyptian King» nennen: Mohamed Salah. Dass sie ihren eigenen König verehren, passt zu den Menschen in Liverpool, denn mit der britischen Monarchie können sie grundsätzlich nichts anfangen. Im Stadion wird die englische Nationalhymne «God Save the King» systematisch ausgepfiffen.
Die Stadt fühlt sich seit je von der Regierung und dem Königshaus vernachlässigt, weshalb sportliche Erfolge besonders gut tun. Die Vorfreude auf einen weiteren Titelgewinn wurde allerdings getrübt durch die Aussicht, dass der Torjäger Salah den Klub verlassen könnte, weil sein Vertrag nur noch bis zum Saisonende lief. Doch der König bleibt auf seinem Thron: Das gab Salah unlängst bekannt, er einigte sich mit dem Klub nach monatelangen, komplizierten Verhandlungen auf eine Vertragsverlängerung um zwei Jahre bis 2027. Die Nachricht verkündete er auf einem goldenen Herrschersessel im Stadion an der Anfield Road. Hier ist seine Residenz.
Salah spielt in dieser Saison besser als je zuvor
Salahs Verbleib ist ähnlich wichtig für die Liverpooler Gefühlslage wie die bevorstehende Meisterschaft des Klubs in der Premier League. Und die ist nicht irgendeine: Denn mit dem insgesamt 20. Liga-Titel in England, den die Reds bereits an diesem Sonntag im Auswärtsspiel in Leicester bei einem vorherigen Patzer des zweitplatzierten Arsenal einfahren könnten, würden sie mit Erzrivale und Rekordchampion Manchester United gleichziehen.
Dieser Triumph wäre vor allem mit dem Ausnahmespieler Salah verbunden, der in dieser Saison so gut ist wie nie. Fünf Spieltage vor Saisonende steht der Ägypter in der Premier League bei zu diesem Zeitpunkt nie erreichten 45 Torbeteiligungen, zweieinhalbmal so viele wie der nächstbeste Teamkollege. Nur zwei weitere Scorerpunkte fehlen zur geteilten Allzeit-Bestmarke von Alan Shearer und Andrew Cole; denen stand aber damals eine Spielzeit mit 40 statt 38 Matches zur Verfügung.
Als Gegenleistung rückte Liverpool für den 32-jährigen Salah jetzt einen fürstlichen Vertrag heraus, wie ihn Fussballer in seinem Alter selten erhalten. Sein Jahresgehalt inklusive möglicher Prämien: gut 27 Millionen Franken. Nur Salahs Sturmkonkurrent Erling Haaland von Manchester City erhält derzeit mehr.
Die Vereinbarung zwischen Liverpool und Salah darf als Kompromiss verstanden werden. Sie anerkennt die derzeitige Wichtigkeit von Salah und berücksichtigt zugleich, dass auch er mit zunehmendem Fussballeralter nicht auf ewig sein Leistungsniveau wird halten können. Wie kompliziert eine solche Abwägung aus Klubsicht ist, kann Bernhard Heusler erklären, der frühere Präsident des FC Basel, in dessen Amtszeit der Durchbruch Salahs fiel.
Im Telefonat sagt Heusler, dass Spieler wie Salah elementar seien, um eine Mannschaft zusammenzuhalten. Diese könne nur mit Führungsspielern funktionieren, die auch auf dem Platz entscheidende Dinge täten. Entsprechend müsse man sich umgekehrt trennen, wenn die Leistung nicht mehr stimme. Sonst hätte dies Auswirkungen auf das Gesamtgefüge, betont Heusler.
Verdienten Spielern das Ende der Zusammenarbeit mitzuteilen, sei am schmerzhaftesten, räumt der Funktionär ein – weil man dafür von den Fans als herzlos abgeurteilt werde. Diese würden den Spieler lieben und nicht die Gefahr sehen, einen Leader unter Vertrag zu haben, der in Wirklichkeit aber vielleicht keiner mehr ist.
Auch die Liverpool-Anhänger forderten den Klub auf, Salah zu halten. Doch das Management um die Besitzergruppe Fenway Sports liess sich dadurch nicht zur Eile drängen. Wie die internen Überlegungen ausgesehen haben könnten, berichtete kürzlich Liverpools früherer Chefanalytiker der Transferdaten Ian Graham auf dem Business of Football Summit der «Financial Times». Vor Salahs letztmaliger Unterschrift im Sommer 2022 habe er dazu tendiert, den Entscheidungsträgern zu empfehlen, dem damals 30-Jährigen aufgrund seines Alters eher keinen neuen Kontrakt auszuhändigen.
Überzeugt von der Macht der Statistik
Doch die Macht der Statistiken habe ihn gezwungen, einen «objektiven Standpunkt einzunehmen». Er sei überrascht gewesen, gab Graham zu, wie Fussballer von Salahs Kaliber selbst nach dem 30. Geburtstag noch auf ihrem gewohnten Niveau performen könnten. Daher habe man sich damals entschlossen, um Salahs Verbleib zu kämpfen, was letztlich ein «hartes Stück Arbeit» gewesen sei. Ganz ähnlich könnte es nun wieder abgelaufen sein.
Salah hat in dieser Saison keine Gelegenheit ausgelassen, öffentlich zu betonen, er wolle so lange wie möglich in Liverpool weiterspielen. Er konnte es sich leisten, nicht mit anderen, finanziell lukrativeren Angeboten wie dem intensiven Werben aus Saudiarabien zu kokettieren – er wusste um seine ohnehin starke Verhandlungsposition.
Zudem war für ihn der finanzielle Aspekt wohl nicht die höchste Priorität. Salah ist es wichtig, die Unterstützung des Klubs und die Zuneigung der Fans zu spüren. Beides ist ihm im LFC garantiert. So habe Salah immer schon gedacht, erinnert sich Heusler an die Basler Zeit. Nach einem späten Siegtor in der Champions League gegen Chelsea habe er ihm anvertraut, er habe die entscheidende Aktion nur gewagt, weil er «so viel Vertrauen» erhalte. Heusler findet, Salah sei in dieser Hinsicht ein Vorbild in Zeiten, in denen es überall heisse, man solle vor allem auf sich selbst schauen.
Dass Salah trotz seinen riesigen Erfolgen weiterhin im Spitzenfussball mitmischen möchte, unterstreicht seine Freude am Spiel und seine noch vorhandenen Ziele. Er will unbedingt mit Ägypten an der WM 2026 in Nordamerika teilnehmen, nachdem man sich für das Turnier 2022 nicht qualifizieren konnte und er 2018 verletzt nicht im Vollbesitz seiner Kräfte gewesen war.
Auch seine Hoffnungen auf die Wahl zum Weltfussballer hat er nicht aufgegeben. In dieser Saison bot sich ihm die bisher beste Chance, doch für einen Triumph hätte er mit dem LFC neben dem Liga-Titel mutmasslich zusätzlich die Champions League gewinnen müssen. Und der Allzeit-Torrekord der Premier League, gehalten von Alan Shearer (260 Treffer), ist ebenfalls nicht unerreichbar. Derzeit steht Salah bei 184 Toren. Sollte er seine gegenwärtige famose Quote aufrechterhalten, würde er etwa drei bis vier weitere Saisons benötigen, um Shearer einzuholen.
Wie lange Salah indes seine Form konservieren kann, wird von seiner Gesundheit abhängen. Bisher ist er von Verletzungen verschont geblieben, seine enorme Fitness veranschaulicht seinen hochprofessionellen und seriösen Lebensstil. Wegen Spieler wie ihm gehe man ins Stadion, schwärmt Heusler, er lasse alles so leicht aussehen.
Als Salah für Basel spielte, habe er sich auf der Tribüne immer wieder gedacht, das könne nicht wahr sein – weil der Kerl den Ball mit einem Speed führte, wie er es nie zuvor gesehen habe, sagt Heusler. Sollte Salah den neuen Vertrag beim Liverpool FC erfüllen, hätte er insgesamt eine Dekade im Verein verbracht. Er liebe es, in Liverpool zu sein, sagte er zu seiner Unterschrift. Die Fans liegen ihm dafür zu Füssen, sie rufen ihm zu: Lang lebe der Egyptian King!