Freitag, Oktober 11


Herbst / Winter 2024

Nächsten Winter zeigen neben Frauen auch Männer viel Décolleté, sonst wird die Mode grotesk pragmatisch – Eindrücke von der London Fashion Week.

Was Mode mit Fussball zu tun hat? Designer stehen längst so unter Druck wie Trainer. Wenn die erste Kollektion die Leute nicht sofort umhaut, scheint gleich der Liga-Gewinn in Gefahr. Wird in der zweiten Saison nicht der halbe Laden leer gekauft, heisst das: wieder nicht die Champions League geholt.

Genug Zeit, ein Team und ein Spielsystem aufzubauen, um im Bild zu bleiben, bekommt im schnelllebigen Geschäft auf beiden Seiten keiner mehr. Vor der Burberry-Show am Montagabend schrieb die Branchenseite «Business of Fashion» entsprechend, der Designer Daniel Lee habe in seiner dritten Show jetzt wirklich einiges zu beweisen. Die Marke «underperforme» weiterhin. «Macht es endlich klick?»

Grössere Location, mehr Gäste bei Burberry – ist auch das Angebot besser?

Zumindest wurde einmal wieder an nichts gespart, um ordentlich Eindruck beim Publikum zu hinterlassen. Halb Harrods ist derzeit in Burberry-Blau getaucht, das visuelle Marketing im Super-Acht-Kamera-Stil in den Instagram-Feeds ist das beste der Branche, jedes englische «Talent», wie Stars im Allgemeinen und gute Gesichter im Besonderen heutzutage heissen, ist in den Kampagnen vertreten: Rachel Weisz, Barry Keoghan, Iris Law, der Tottenham-Spieler Son Heung-min.

Die Show fand wie schon vergangene Saison in einem extra aufgebauten Zelt im Victoria Park statt, nur diesmal noch grösser, mit noch mehr Gästen – doch auch mit besserem Angebot? Mit mehr «Klicks»?

Von guten Trenchcoats muss man bei dieser Marke ja nicht reden, aber die dreilagigen Dufflecoats mit grossen Kapuzen, die butterweichen Ledermäntel und die kurzen Jacken mit Shearling-Besatz dürften, wenn es mit rechten und wirtschaftlich guten Dingen zugeht, nächsten Winter in Scharen gekauft werden.

Die bodenlangen, hochgeschlitzten Röcke mit Tartaninnenfutter wirken so jung wie lässig, breite Hosen mit Reissverschlüssen, die den halben Oberschenkel freilegen, das stellt man sich sofort in den Klubs dieser Welt vor. Und wer, alter Reflex, immer noch nach einer «It-Bag» als Erfolgsindikator fragt: Die «Knight Bag» mit zum Pferd stilisiertem Karabinerhaken ist es längst. Burberry will eben in wirklich jeder Hinsicht ein Outdoor-Brand sein.

«Wer jedem gefallen will, gefällt niemandem»

Bei den extra tief ausgeschnittenen Pullovern muss dann halt gelegentlich ein Schal dazu, denn sie zeigen vor allem bei den Männern so viel Brust wie eine Einflugschneise. Die Fitnessstudios dieser Welt können sich bei Lee schon einmal für ein ordentliches «incentive» bedanken.

Er wolle Burberry «breiter aufstellen», sagte der Designer backstage nach der Show, gleichzeitig wisse er natürlich, dass er nicht jedem gefallen könne. «Wer jedem gefallen will, gefällt niemandem.» Wen er denn beim Entwerfen im Kopf habe? «Royals und Fussballer», antwortete er geradeheraus. Womit er auch die Fussballfans und neuen Royals – die Nepo-Babys dieser Welt – meinen dürfte. Im Publikum sassen Lila Moss, Georgia May Jagger, auf dem Laufsteg liefen ein Gallagher-Sohn und die Tochter von Phoebe Philo.

Die Aufmerksamkeit gehört den grossen Labels

In London passiert exemplarisch, was sich überall sonst in der Mode auch beobachten lässt: Die Grossen fressen aufmerksamkeitstechnisch die Kleinen. Von guten Newcomern wie Aaron Esh oder Robyn Lynch bekommt die Welt da draussen kaum etwas mit. Andererseits werden Talente wie Nensi Dojaka durch die Suche nach dem ständig Neuen wie im Durchlauferhitzer verbrannt.

Eine Designerin wie Dilara Findikoglu versucht dann, mit fetischisierter Effekthascherei und weiblichem Manifest gegen das «männliche Übel in der Welt» aufzufallen. Sie beschäftigt den gleichen Movement-Coach wie John Galliano und zeigte erneut in einer alten, düsteren Kirche. Aber so talentiert sie auch sein mag und so viele Stars wie Jennifer Lopez oder Madonna ihre sexy Kink-Entwürfe gelegentlich tragen – es reicht oft nicht, um tatsächlich ein profitables Geschäft daraus zu machen.

Erst recht nicht in wirtschaftlich schwierigen Zeiten auf der Insel. Selbst bei etablierten Designern wie Erdem war diesmal die Hauptnachricht, dass sich die griechische Kulturministerin darüber aufregte, Entwürfe im British Museum vor den berühmten Parthenon-Skulpturen zu zeigen. Kein Respekt vor den Meisterwerken! Dabei ist Mode, im besten Fall, ja angewandte Kunst.

Kunst auf dem Laufsteg

Die gibt es stets bei Simone Rocha zu sehen. Die irische Designerin zeigte zuletzt als Gast bei Jean Paul Gaultier Couture, dass sie durchaus über ein grosses Repertoire verfügt. Aber bei ihrem eigenen Label mit sehr eingefleischten Fans müssen es die morbid-romantischen Kleider mit viel Transparenz, Schleifen, Rosetten und Perlenbesatz sein. Nicht umsonst bekommt sie bei einer Instanz wie Dover Street Market die grösste Verkaufsfläche im Erdgeschoss.

Angewandte Kunst gibt es meistens auch bei Jonathan Anderson zu sehen, dem britischen Dauer-Wunderkind, der bei Loewe gerade zu Höchstform aufläuft. Bei seinem eigenen Label JW Anderson vermissten die Fans diesmal die seltsam anziehenden Gimmicks, die stets viral gehen (wie etwa die Knetmännchen-Entwürfe der vergangenen Saison).

Keine Ideen? Keine Zeit? Oder volle Absicht? Anderson erklärte, er habe darüber nachgedacht, wie man von seinem Fenster in die Gärten der Nachbarn schaut und dort so banale wie groteske Sachen beobachtet, in friedlichem Nebeneinander. Da draussen kämpften schon so viele Bilder (und Marken) um Aufmerksamkeit, da müsse man zur Abwechslung mal pragmatische Mode machen. In seinem Fall: Granny-Chic mit Unterwäsche-Sets, Kleider mit Kordelträgern, Oversized-Mäntel und sehr gute Lederjacken.

Sich einmal rausziehen, die anderen brüllen lassen und sich lieber auf den eigenen (hoffentlich guten) Kram konzentrieren – das könnte eigentlich ruhig ein allgemeiner Trend werden.

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