Mittwoch, Oktober 23

Der renommierte Reiseführer empfiehlt Besuche in Zermatt und Verbier. Da ist es schön, aber eben auch überlaufen. Alternativer Reiseführer für Schwärmer und Entdecker.

Was Walliser schon lange behaupten, hat der renommierte Reiseführer Lonely Planet in seiner neusten Publikation «Best in Travel 2025» bestätigt. Das Wallis gehört zu den Top 5 Reisezielen weltweit. Als einzige Region der Schweiz.

Lonely Planet hat für interessierte Touristen im Internet bereits eine Liste mit Highlights zusammengestellt. Diese Liste empfiehlt Besuche in Zermatt und Verbier. Ausstellungen in der Fondation Pierre Gianadda in Martinach, einen Skitag auf der Bettmeralp.

Alles gut. Nur, wirklich originell ist das nicht.

Wer das Wallis in seiner urtümlichen Schönheit erleben, seine urigen Bräuche sehen und seine eigentümliche Mentalität besser verstehen will, sucht besser anderswo. Die Edelboutiquen von Verbier und die Bahnhofstrasse von Zermatt quellen ohnehin über.

Und abseits der grossen Kurorte können Gäste zwischen Rhonegletscher und Lac Léman das ganze Jahr über viel mehr sehen, riechen, schmecken, trinken.

I. Herbst

Im Herbst verfärben sich an den steilen Terrassen der Weinberge die Reben. In den höheren Lagen, im Goms, im Lötschental, aber auch im Val d’Anniviers, tun die alten Lärchenwälder dasselbe. Sie tünchen das Wallis in Gold und Bronze und erwecken die Bilder, die Ernest Biéler vor 100 Jahren malte, für einige Wochen wieder zum Leben.

Den z’Vieri auf einer Wanderung in dieser Umgebung aus der Tupperdose zu essen, wäre viel zu profan. Glücklicherweise gibt es im Wallis viele Kellereien. Meistens mit einem heimeligen Carnotzet, wo man trinkt, isst und sich dabei Zeit lässt.

Wer den ultimativen Kitsch sucht, spaziert am Nachmittag von St. Leonard aus, entlang der Bisse de Clavau nach Sitten. Der Weg führt entlang von meterhohen Trockenstein-Mauern durch ein aussergewöhnliches Weingut. Die Clos de Cochetta. Auf Anmeldung servieren Winzer hier regionale Spezialitäten und Weine in kleinen Kellern, direkt im Weinberg.

Vis-a-vis strecken sich die Burghügel von Tourbillon und Valeria der Abendsonne entgegen. Spätestens hier vergessen Sie, dass es Orte wie Schlieren, Grenchen oder Chiasso gibt.

Jüngere Walliserinnen und Walliser hingegen, zieht es Anfang Herbst eher auf die Belalp. Auf dem Aletschbord, einem Aussichtspunkt beim grossen Aletschgletscher auf über 2000 Metern über Meer, tanzen sie den ganzen Tag lang. Es läuft elektronische Musik, getrunken wird Bier und Wein. Der «Herbsttanz» ist vermutlich der höchstgelegene Daydance der Welt. Es ist fast wie bei einem Rave in der Stadt, nur eben mit guter Luft.

II. Winter

Wenn sich die Nebeldecke im Mittelland für einmal auflockert, sieht man vom Fuss des Hockenhorns auf über 3000 Metern vom Walliser Lötschental bis hinüber zum Chasseral im Jura. Mit einer Gondel geht es rauf und auf den Ski wieder runter auf die Lauchernalp.

Die Lauchernalp im Lötschental hat sich in den vergangenen Jahren herumgesprochen. Auf den Pisten verteilt sich der Andrang allerdings.

Früh aufstehen lohnt sich aber trotzdem. Denn wer einmal, im Licht der frühen Sonne, das Weisshorn von der Lauchernalp aus gesehen hat, wird an Maurice Chappaz denken. Den grossen Poeten der Gletscher, Gipfel und Gräber in den Walliser Alpen.

Maurice Chappaz schrieb, von den Berghängen gehe ein Locken, aber auch ein Schaudern aus. Sie reizten zum Aufstieg von den Wäldern bis zum Geklüft der Grate, die im Himmel brechen. Auf der anderen Seite, beginne die Unendlichkeit von Neuem. Chappaz schrieb: «Unser Tal ist das Tal der aufrechten Strände.»

III. Frühling

Sobald der Schnee schmilzt, beginnt die Fasnacht. Dann stehen überall im Wallis Schilder an den Strassen, die den nächsten Fasnachtsball in Törbel, Turtmann, Termen ankünden. Oft steht auf dem Schild der Hinweis: «Kein Bancomat im Dorf».

Der Hinweis ist eine Warnung: Besucher sollen genügend Geld mitnehmen, denn im Wallis zahlt man Tournées und nicht bloss seine eigene Konsumation. Und auch wenn man diese Feste gemeinhin Guggerball nennt, haben sie wenig mit einem vornehmen Ball zu tun. Denn am Tag nach dem Ball klebt der Boden in der Turnhalle und die Köpfe der Fasnächtler poltern.

Damit sich niemand allein mit den Leiden des Nahtags, also eines gehörigen Katers, herumplagen muss, findet nach jedem Guggerball irgendwo im Wallis ein Fasnachtsumzug statt.

In Leuk, einem mittelalterlichen Städtchen über dem Pfynwald, ziehen Fasnachtswagen, verkleidete Kinder und «Gnooggär Füdini» durch die Gassen. «Gnooggär Füdini» sind maskierte Gestalten mit Ziegenfell Perücken, bunten Kostümen und Ziegenglocken um die Hüften. Sie vertreiben allerlei böse Geister. Und wenn es nur jene der vergangenen Nacht sind.

IV. Sommer

Im Rhonetal wird es im Sommer drückend heiss. Wer kann, zieht hoch in die Berge. Abkühlung verspricht der Kessel von Derborence, oberhalb von Sitten.

Am Rand des Kessels schichten sich die Felswände 500 Meter in die Höhe. Wer unten im Kessel mit dem Postauto ankommt, muss nach oben schauen: Auf die Diablerets. Dorthin wo der Teufel wohnen soll. Denn der Teufel, so sagt man, habe in Derborence furchtbar gewütet.

Im 18. Jahrhundert ereigneten sich in Derborence zwei gewaltige Bergstürze. 50 Millionen Kubikmeter Granit stürzten in den Kessel. Die Gesteinsmassen begruben 55 Hütten, Einhundert Tiere und Fünfzehn Menschen. Nur einer habe sich zwischen dem Geröll wieder hochgekämpft.

Der Westschweizer Welt-Schriftsteller Charles Ferdinand Ramuz widmete der Katastrophe vor 90 Jahren einen Bestseller. Ramuz schrieb: «Derborence, das Wort klingt sanft; sanft und etwas traurig klingt es in uns nach. Es beginnt mit einem festen und bestimmten Laut, dann zögert es und sinkt, noch während man es klingen lässt, ins Leere: Derborence; als wollte es so auf den Untergang, auf die Einsamkeit und das Vergessen deuten.»

Heute lebt der Schrecken vor allem in der Literatur weiter. Im Kessel von Derborence herrscht längst Idylle. Seit den 1960er Jahren steht das gesamte Gebiet unter Naturschutz. Überall liegen haushohe Felsbrocken. Dazwischen stehen Tannen aus dem 18. Jahrhundert. Und wo ein Baum stirbt und modert, spriessen junge Keimlinge. Der Teufel hat ein kleines Paradies erschaffen.

Die Reise mit dem überfüllten Zug ins Wallis lohnt sich also. Versprochen.

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