Montag, September 30

Der Trend nährt den Trend: Bei besonders gut laufenden Aktien wie ABB kommen die Analysten mit der Erhöhung ihrer Kursziele kaum nach. Bei Meyer Burger dagegen sind die Hoffnungen gesunken, und alle Kaufempfehlungen wurden zurückgenommen.

Der Pharmaauftragsfertiger Lonza und der Sanitärtechniker Geberit weisen Gemeinsamkeiten auf. Beide Unternehmen, die Albert Baehny in jüngerer Zeit als CEO wie als Verwaltungsratspräsident massgeblich geprägt hat, bieten den Anlegern eine hervorragende Qualität. Entsprechend hoch sind ihre Aktien bewertet.

Die Kursentwicklung verläuft ähnlich: Beide Titel vervielfachten sich in den 2010er-Jahren im Wert und erreichten im Spätsommer 2021 ihr Allzeithoch, die darauffolgenden starken Kursverluste haben sie bisher zu weniger als der Hälfte aufgeholt.

Lonza beliebt, Geberit verschmäht

Neben den Gemeinsamkeiten gibt es einen bemerkenswerten Unterschied: Die Valoren von Lonza werden von den Analysten am stärksten empfohlen, während diejenigen von Geberit die am meisten verschmähten sind. Das ist das Ergebnis einer Auswertung von Analystenempfehlungen, die The Market anhand von Bloomberg-Daten für die Titel aus dem Schweizer Standardwertebarometer SMI und dem Mid-Cap-Index SMIM durchgeführt hat.

In diesem Spektrum weist Lonza mit knapp 4,7 die höchste Kauftendenz auf, während Geberit mit 2,4 am unteren Ende der Rangliste steht. Dabei bedeutet ein Wert von 5, dass eine Aktie von allen involvierten Analysten zum Kauf empfohlen wird. Ein Wert von 3 entspricht einer neutralen Haltung und einer von 1 einer einhelligen Verkaufsempfehlung.

Die Aktien von Lonza liegen wieder im Trend. Der Kurs ist in diesem Jahr 46% gestiegen, getrieben auch durch Spekulationen über die Abkoppelung des Westens von China. Die USA planen, mit dem Biosecure Act der Zusammenarbeit von Pharmaunternehmen mit chinesischen Auftragsfertigern einen Riegel vorzuschieben, wovon Lonza profitieren sollte.

Die Papiere von Geberit dagegen haben in diesem Jahr klar unterdurchschnittlich abgeschnitten: Speziell in Deutschland, dem wichtigsten Markt des Sanitärtechnikers, laufen die Geschäfte nicht gut. Die Zahl der Baugenehmigungen ist dort weiter gesunken.

ABB: solange das Momentum hält

Die Aktienmärkte sind zurzeit stark von Momentum getrieben. Der Trend nährt den Trend. Ein gutes Beispiel dafür bieten die Titel von ABB, die ein aussergewöhnlich positives Momentum haben. Fundamental betrachtet ist der Elektrifizierungs- und Automationskonzern in sehr guter Verfassung. Er kann seine Profitabilität zusehends verbessern, gilt als sehr gut geführt und sehr gut positioniert in Zukunftsmärkten – doch das traf auch schon im Oktober zu, als der Kurs von ABB auf ein Zwischentief von 29.13 Fr. sank und The Market letztmalig in einer Gesamtübersicht die Analystenempfehlungen ausgewertet hatte.

Seither haben ABB einen so steilen Anstieg wie noch nie erfahren und sind in neun Monaten 77% gestiegen. Die Analysten kommen mit dem Anpassen der Kursziele nicht mehr nach: Sie sind für die ABB-Valoren mehrheitlich positiv gestimmt, wie die Kauftendenz von 3,4 belegt. Doch das durchschnittliche Kursziel liegt, trotz einer Anhebung um 32% seit Oktober, mit 48.18 Fr. klar unter dem aktuellen Kurs.

Die Investoren stehen vor der Herausforderung, zu bemerken, wann die ABB-Aktie Schwung verliert und das Momentum kippt. Gefährlich kann es insbesondere dann werden, wenn die Märkte zu korrigieren beginnen und die Volatilität steigt. In solchen Phasen verlieren Momentum-Titel in der Regel überdurchschnittlich.

Holcim setzt Kurspotenzial frei

Auch für Holcim haben die Analysten ihre Kursziele ungewöhnlich stark heraufgesetzt: um durchschnittlich 27% auf 84.74 Fr. seit letztem Oktober. Da der Kurs im selben Zeitraum aber noch stärker gestiegen ist, um fast 45% auf mehr als 83 Fr., scheint das Potenzial vorläufig begrenzt zu sein. Tatsächlich haben die Aktien zuletzt eine mehrere Monate dauernde Konsolidierungsphase durchgemacht.

Ihr Zwischenspurt im Februar und März hatte seinen Grund in einer überraschenden strategischen Massnahme: Ende Januar hatte der Baustoffkonzern angekündigt, das nordamerikanische Geschäft abzuspalten und 2025 separat in den USA an die Börse zu bringen. Der auszugliedernde Teil dürfte als rein amerikanisches Unternehmen in einer besseren Position sein, um an den grossen Infrastrukturprogrammen im Lande zu partizipieren, und sollte an der US-Börse eine klar höhere Bewertung erhalten als in Europa üblich. Die starke Anhebung der Kursziele findet damit eine gewisse Rechtfertigung.

Hoch eingestufte Zykliker

Eine andere Frage lautet, ob und wann es in den USA, die als weltgrösste Volkswirtschaft den Grundton für alle vorgeben, zu einer Rezession kommen wird. Die Meinungen bleiben geteilt, die US-Wirtschaft hat sich bis jetzt widerstandsfähig gezeigt. Auffällig ist, dass die Analysten hierzulande auch Aktien von Unternehmen, die konjunkturellen Schwankungen stärker ausgesetzt sind, hoch einstufen. Dazu zählen die Titel des Chemieunternehmens Clariant: Die Kauftendenz für sie ist seit Oktober von 3,7 auf 4,2 gestiegen.

Noch stärker empfiehlt die Analystengemeinde die zyklischen Papiere von Georg Fischer: Sie weisen mit 4,5 die zweithöchste Kauftendenz im Spektrum von SMI und SMIM auf. Analysten loben, dass der Ausbau des Rohrleitungsgeschäfts, der 2023 mit der Übernahme der finnischen Uponor fortgesetzt wurde, den Industriekonzern profitabler und robuster gegen Konjunkturabschwünge macht. Für die Zukunft ist das ein Versprechen. Kurz- bis mittelfristig hält The Market das Potenzial der GF-Aktien aber für begrenzt – auch weil der Bausektor in Europa weiter leidet.

Richemont besser als Swatch Group

Deutlich verschieden werden die beiden kotierten Schweizer Luxusgüterkonzerne eingestuft: Die Aktien von Richemont kommen auf eine Kauftendenz von 4,1, während es für Swatch Group ein Wert von nur 3,2 ist.

Es gibt gewichtige Unterschiede zwischen den Unternehmen. Swatch Group erwirtschaftet ihren Ertrag grossmehrheitlich mit Uhren. Bei Richemont überwiegt das Schmuckgeschäft mit Marken wie Cartier, das ein höheres strukturelles Wachstum aufweist und profitabler ist.

Lorenz Reinhard, Co-Head Schweizer Aktien von Pictet, verwies kürzlich gegenüber The Market auf einen weiteren Punkt: Swatch Group «denkt und handelt industriell, besitzt eine grosse Fertigung und volle Lager».

Hayek macht sich keine Freunde

Die jüngsten Zwischenberichte zeigen, wie sich die Unterschiede zwischen den Luxusgüterkonzernen hinsichtlich Aufstellung und Führung auswirken: Swatch Group hat mit den Zahlen zum ersten Halbjahr 2024 die Marktteilnehmer schwer enttäuscht, ihr Aktienkurs ist daraufhin am Montag fast 10% eingebrochen. Weit besser hat sich Richemont gehalten, die im ersten Quartal ihres Geschäftsjahres 2024/25 den Umsatz währungsbereinigt 1% gesteigert und damit die Markterwartung exakt erfüllt hat.

Es wird zudem einen weiteren Grund haben, dass Swatch Group bei den Analysten schlechter wegkommt: CEO Nick Hayek, zusammen mit seiner Familie der dominante Aktionär, mag kritische Fragen nicht. Statt Antworten zu geben, belehrt er die Analysten und wirft ihnen eine nutzlose Arbeit vor. Auch Mitaktionäre behandelt er geringschätzig. All dies erklärt, warum die Aktien von Swatch Group trotz sehr tiefer Bewertung nicht stärker empfohlen werden.

Turnaround-Kandidaten unter Druck

Wie alle Marktteilnehmer machen Analysten die Erfahrung, dass die Chancen und die Risiken von Turnaround-Kandidaten schwer einzuschätzen sind. Zu diesen schwierigen Fällen zählt AMS Osram, für die 2023 ein turbulentes Jahr war: Mit einem neuen Topmanagement kehrte zwar Vernunft im Hause des Licht- und Sensorenherstellers ein. Doch die von den Vorgängern angehäufte Schuldenlast erwies sich als zu hoch – eine überraschend grosse Kapitalerhöhung war die Folge.

Im letzten Februar hatten die Aktionäre eine weitere bittere Pille zu schlucken: Apple stornierte das zentrale Projekt für die neue, teure Micro-LED-Fabrik in Malaysia, was auch das Management in Schrecken versetzte. Der Kurs stürzte an einem Tag um rund zwei Fünftel ab.

Inzwischen scheint es aber reelle Chancen zu geben, einen neuen Kunden für das Micro-LED-Projekt zu gewinnen. Auch manche Analysten haben die Hoffnung nicht aufgegeben: Auf Basis des jetzt tieferen Kursniveaus stehen drei Verkaufs- und fünf Halten- immerhin fünf Kaufempfehlungen gegenüber, was eine auf 3,4 gestiegene Kauftendenz ergibt.

Meyer Burgers letzte Hoffnung

Schlimmer ergangen ist es Meyer Burger, die Solarzellen fertigt und sie zu Modulen verbaut. Im letzten Herbst hatten Analysten dieser Aktie beträchtliches Aufholpotenzial zugeschrieben und sie mehrheitlich zum Kauf empfohlen. Sie gingen davon aus, dass die EU und voran Deutschland der ansässigen Solarindustrie staatliche Unterstützung zum Schutz vor der subventionierten Billigkonkurrenz aus China gewähren würde.

Die Hoffnungen trogen. Meyer Burger kündigte in diesem Frühjahr an, ihr ostdeutsches Werk zu schliessen und sich auf die US-Produktion zu konzentrieren: Die USA gelten auch dank ihrer Förderpolitik als der weitaus attraktivere Markt für Solarhersteller.

Kursziel von 1 Rappen

Meyer Burger musste für ihren Plan allerdings einmal mehr Zuflucht zu einer Kapitalerhöhung nehmen. Der Aktienkurs sank in den Bereich von 1 Rappen, ebenso das Kursziel von UBS von zuvor 27 Rappen. Meyer Burger hat darum Anfang Juli 750 Aktien zu einer zusammengelegt, mit dem Effekt, dass der Kurs auf neuer Basis weiter absackte. Allein in diesem Jahr ist er um rund 90% gefallen.

Seit Oktober ist die Kauftendenz für die Titel von 4,2 auf 2,5 gesunken. Kein Analyst traut sich mehr, sie offen zum Kauf zu empfehlen. Direkt nach dem Reverse Split hat Goldman Sachs die Papiere von Meyer Burger auf «Neutral» eingestuft – erstaunlicherweise mit einem Kursziel von 15 Fr. Das impliziert verglichen mit dem aktuellen Kurs fast eine Wertverdreifachung.

Die Übersicht zeigt: Analystenempfehlungen spiegeln primär die Erwartungen, die im Markt gerade vorherrschen. Insbesondere in von Momentum getriebenen Börsen sind die Einschätzungen und die Kursziele der Analysten aber nicht zwingend ein guter Indikator für den Börsenerfolg.

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