Donnerstag, November 28

Die Kosmetikaktie hat ihren Kurs seit 1977 um den Faktor 360 vervielfacht. Analysten warnen vor kurzfristigen Geschäftsrisiken und der hohen Bewertung. Anleger sollten trotzdem investieren – und sei es in mehreren Schritten.

Frankreich, du hast es besser. Während die Bundesrepublik seit 2022 mit der und gegen die Rezession kämpft, dürfte die Grande Nation in diesem Jahr immerhin um 0,8% wachsen. Gleichermassen fällt der Relevanzvergleich aus: Während deutsche Unternehmen mit immer grösserem Bedeutungsverlust zu kämpfen haben, strahlen die Vorzeigekonzerne Frankreichs wie der Arc de Triomphe im Sonnenschein.

Immerhin vier französische Unternehmen zählen gemessen nach dem Börsenwert zu den hundert wertvollsten Konzernen der Welt, drei Aktien sind im viel zitierten Granolas-Komplex vertreten.

Immer ganz vorne dabei ist die Nummer zwei der Grande Nation nach dem Luxusgüterkonzern LVMH: die Kosmetikweltmacht L’Oréal. Der 115 Jahre alte Kosmetikkonzern, der seit drei Jahren von Konzernchef Nicolas Hieronimus geführt wird, ist der Inbegriff eines «Compounders»: Er ist einer der raren europäischen Champions, der seit Dekaden abseits aller Börsenlaunen und technologischen Zeitenwenden den Wert für die Aktionäre herausragend stark steigert.

Hohes einstelliges Umsatzwachstum mit starken Marken

Sowohl LVMH (Börsenkapitalisierung 373 Mrd. €) als auch L’Oréal (242 Mrd. €) sind grösser als das grösste deutsche Unternehmen SAP (217 Mrd. €). Weltweit steht L’Oréal an der Kapitalisierung gemessen auf Rang 38 der wertvollsten Unternehmen.

Im ersten Quartal des neuen Geschäftsjahrs verzeichnete L’Oréal ein hohes einstelliges Wachstum. Im Vergleich mit dem Vorjahr stieg der Umsatz in Euro gerechnet um 8,3% auf 11 Mrd. €. Analysten lagen mit ihren Schätzungen um bis zu 3 Prozentpunkte darunter.

Besonders stark entwickelten sich die medizinisch orientierten Hautpflegeprodukte (Dermatological Beauty, +21,9%). Die zugehörigen Marken wie Vichy, La Roche-Posay und CeraVe werden oft in Apotheken verkauft.

Ebenfalls stärker als das Gesamtgeschäft wuchs der Umsatz mit Kosmetikprodukten von Marken wie L’Oréal Paris, Garnier, Maybelline New York und NYX Professional Makeup (+11,1%). Auch die Professional Products, die meist für Friseure und Schönheitsinstitute produziert werden, legten um 10,7% zu.

Ein eher schwaches Wachstum zeigte dagegen das Geschäft mit Luxusprodukten. Der Umsatz der Premium- und Luxusmarken Lancôme, Yves Saint Laurent, Giorgio Armani und Kiehl’s erhöhte sich nur um 1,8%.

Geografisch betrachtet entwickelten sich die Geschäfte in Europa und Nordamerika mit einem Wachstum von 12,6% bzw. 12,3% dynamisch, während in Nordasien ein Rückgang von 1,1% verkraftet werden musste.

Wie LVMH bietet gewährt L’Oréal den Investoren quartalsweise lediglich einen Einblick in die Umsatz-, aber nicht in die Gewinnentwicklung. Im vergangenen Geschäftsjahr hatten sich die Wachstumsraten bei beiden Kennzahlen ebenfalls im höheren einstelligen Prozentbereich bewegt: Der Umsatz legte 2023 um 7,6% auf 41,2 Mrd. € zu, während unter dem Strich ein Gewinn von 6,2 Mrd. € blieb. Der Gewinn pro Aktie stieg um 7,5%.

Nach den Ausschlägen der Pandemiezeit hat das Wachstum pro Quartal im Startquartal 2024 wieder ein aus der vorigen Dekade bekanntes, mittleres Niveau erreicht.

Getreu dem Werbe-Slogan «Weil wir es uns wert sind» finden auch Investoren immer wieder gute Gründe, an den Valoren festzuhalten. In der vergangenen Woche erreichte der Kurs mit 462 € vorübergehend ein Allzeithoch.

Risiken in China und beim Hautpflegegeschäft

Dabei ist die Bewertung der Valoren nach jeder Lesart recht sportlich. Das Kurs-Gewinn-Verhältnis (KGV) für die kommenden zwölf Monate beträgt 34. Es liegt deutlich über dem 20-Jahre-Durchschnitt von 26.

Entsprechend skeptisch äussern sich einige Analysten zum Kurspotenzial. Am deutlichsten gegen den französischen Konsumgüterriesen stellt sich die Deutsche Bank. Im September 2023 sprach sie sogar eine rare Verkaufsempfehlung mit dem Kursziel von 350 € aus, das inzwischen schon 23% unter dem derzeitigen Kursniveau liegt. Analyst Tom Sykes warnt vor den Effekten des schwächelnden Chinageschäfts und vor einer Verlangsamung des Wachstums der Hautpflegeprodukte, die künftig unter einer ungünstigen demografischen Entwicklung leiden würden. Auch die kanadische Bank RBC und Jefferies sind seit einiger Zeit in Bezug auf L’Oréal-Aktien skeptisch eingestellt.

Demgegenüber stehen Kaufempfehlungen von Goldman Sachs (Kursziel 470 €) und Berenberg Bank (Kursziel 530 €), die sich vor allem von den jüngsten Quartalszahlen überzeugt zeigten und argumentieren, der weltgrösste Kosmetikkonzern habe ein organisches Umsatzwachstum deutlich über dem Branchendurchschnitt gezeigt.

Europäischer Dauerwertsteigerer

Tatsächlich hilft dieser Blickwinkel, um das fortgesetzt hohe Bewertungsniveau der Franzosen besser zu verstehen. Die gegen Schwankungen der Konjunktur verhältnismässig resistente Konsumgüterbranche wird schon immer mit einem erheblichen Bewertungsaufschlag an den Kapitalmärkten gehandelt. Der deutsche Branchenkonkurrent Beiersdorf etwa ist kaum günstiger bewertet. Sein Kurs-Gewinn-Verhältnis für 2024 beträgt 32, also nur unwesentlich weniger als L’Oréal (34).

Tatsächlich dürfte L’Oréals beständige Premiumbewertung vielen Anlegern einen Einstieg verleidet haben. Bereits vor mehr als 21 Jahren titelte die «Frankfurter Allgemeine Zeitung» zu Kursen von 60 €: «Die Krux der L´Oréal-Aktie ist ihre Bewertung». Anlegern wäre seitdem eine Wertsteigerung von 650% entgangen.

Vor allem jedoch im Langzeitvergleich wird das Ausmass der Wertsteigerung deutlich. Der früheste im Terminal von Bloomberg verfügbare Aktienkurs, vom 1. März 1977, liegt bei umgerechnet 1.26 €. Der derzeitige Aktienkurs von rund 454 € entspricht rund dem 360-Fachen dieses Werts. Anders ausgedrückt: Das ergibt laut Bloomberg eine Rendite von 35’800% oder 13,2% pro Jahr.

L’Oréal zahlt zudem noch in den meisten Jahren eine Dividende. Wer diese postwendend wieder in die Aktien reinvestiert hätte, wäre sogar auf eine Rendite von mehr als 60’000% oder 14,5% pro Jahr gekommen. Diese Bloomberg-Berechnung lässt indes ausser Acht, dass Anleger in Deutschland die Abgeltungssteuer auf realisierte Kursgewinne und Dividenden zahlen müssen. Aber auch nach Steuern bleibt bei L’Oréal noch ein enormer Vermögenszuwachs übrig.

Es müssen also nicht immer die Tech-Plattformen Apple, Microsoft, Amazon und Nvidia sein, um an den Kapitalmärkten ganz grosse Wertsteigerungen zu erzielen: Auch der Alte Kontinent hat seine Börsensuperstars. Nicht zufällig ist die siebzigjährige L’Oréal-Erbin Françoise Bettencourt-Meyers, die es auf ein Nettovermögen von knapp 100 Mrd. $ bringt, die reichste Frau der Welt. Ihrer Familie und ihr gehören 34,7% der Aktien. Weitere 20,1% hält der Schweizer Nahrungsmittelkonzern Nestlé.

Was für LOréal spricht: Die Dividende und die Charttechnik

Es gibt zudem zwei Argumente, die L’Oréal den interessierten Langfristanlegern auch auf diesem erhöhten Niveau schmackhaft machen könnte. Da ist einerseits die Charttechnik: Die alten Höchst von 2021 und 2023 bei rund 430 € wurden nachhaltig übersprungen. Der Weg zu neuen Rekorden ist demnach frei.

Ausserdem zählt der Beauty-Konzern zu den verlässlichsten Dividendenzahlern. Nur wirkt die Dividendenrendite von derzeit 1,5% nicht spektakulär. Sie liegt leicht unter dem Durchschnittswert über die vergangenen zwanzig Jahre von 1,7%.

Viel wichtiger erscheint jedoch gerade für langfristig engagierte Investoren das Dividendenwachstum, das sich so erfreulich entwickelt wie bei wenigen europäischen Konzernen. Auf Fünfjahresicht betrachtet weist L’Oréal ein sehr ordentliches Dividendenwachstum von durchschnittlich 11,4% pro Jahr aus.

Wer langfristig investierte, konnte mit der Zeit seine persönliche Dividendenrendite also erheblich steigern. L’Oréal scheint somit gut geeignet als Baustein für ein Portfolio, das dem Anleger verlässliche und wachsende Ausschüttungen für den Lebensunterhalt liefern soll.

Fazit: Einfach in LOréal investieren – und sei es per Sparplan

Das Beispiel beweist einmal mehr: Den perfekten Zeitpunkt gibt es bei der Aktienanlage eigentlich nie – Anleger sollten sich nur irgendwann dafür entscheiden, bei herausragenden Unternehmen dabei zu sein. Fondsmanager Terry Smith argumentierte bei The Market kürzlich vehement für eine solche Strategie: «Die Bewertung ist nicht so wichtig wie die Qualität», sagte der Gründer des britischen Vermögensverwalters Fundsmith.

Genau wie L’Oréals Premiumprodukte kosten die Aktien einfach mehr als bei einem Durchschnittsunternehmen. Die Bewertungsprämie ist quasi der Eintrittspreis für die in der Vergangenheit gezeigte, langfristige Überrendite.

Das Risiko besteht natürlich auch bei L’Oréal, dass die Aktien in Zeiten von Verwerfungen an den Weltbörsen stark verlieren werden. Im Kursrutsch von 2022 zum Beispiel ging es um rund 25% abwärts. Ob das Warten auf einen vergleichbaren Ausverkauf die klügste Option ist, scheint eher fraglich zu sein. Denn bis er sich als Kaufgelegenheit entpuppt hat, ist er bereits wieder vorüber. Ideale Einstiegspunkte lassen sich erst in der Rückschau identifizieren.

Für Neueinsteiger eignen sich als Alternative ein Investment via Sparplan. Durch ein schrittweises Investieren kann der Investor zu Durchschnittskursen eine Position aufbauen. Damit können allfällige Kursrückschläge geglättet werden, wie sie kritische Analysten angesichts der operativen Risiken und der hohen Bewertung befürchten. Die langfristig guten Aussichten für das Unternehmen stellen indes auch die skeptischsten Stimmen nicht infrage.

Oder um es mit den Worten des kürzlich verstorbenen Investors Charlie Munger zu sagen: «Vergessen Sie, was Sie über den Kauf von guten Unternehmen zu wunderbaren Preisen wissen, kaufen Sie stattdessen wunderbare Unternehmen zu einem guten Preis.»

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