Der weltweite Schönheitswahn kennt kaum Grenzen. Davon profitiert auch der französische Hersteller von Crèmes, Parfüms und Kosmetika. Die Aktien haben seit dem Höchst dennoch mehr als 20% an Wert verloren. Gibt es das europäische Vorzeigeunternehmen nun zum Aktionspreis?
Jünger, frischer, glatter: Die weltweite Nachfrage nach Schönheitsprodukten boomt. Und mit dem Wunsch nach Makellosigkeit und Jugendlichkeit lässt sich gutes Geld verdienen. Der Markt für Crèmes, Parfüms und Kosmetika ist in den vergangenen Jahren schneller gewachsen als die Weltwirtschaft, am allerbesten läuft das lukrative Dermatologiegeschäft.
Davon sollte auch L’Oréal profitieren. Der weltgrösste Hersteller von Schönheitsprodukten ist ein europäisches Vorzeigeunternehmen, schnelles Wachstum, hohe Rentabilität, makellose Bilanz.
Doch der Aktienkurs reflektiert das nur bedingt. Auf den fulminanten Aufstieg bis Mitte 2024 folgte der tiefe Fall. Die Marktkapitalisierung sank vom Höchst bei rund 240 Mrd. € auf noch gut 180 Mrd. – das ist aber noch immer eine Verdoppelung gegenüber 2015.
Der Aktienkurs fand bei knapp 330 € eine Unterstützung; seit Mitte Januar zeigt er leicht nach oben. Die Stimmung unter den Investoren ist aber klar zurückhaltend.
Das ausbalancierte Portfolio bietet stabiles Wachstum
Der französische Konzern ist in den vergangenen zwanzig Jahren mit wenigen Ausnahmen schneller gewachsen als der Markt für Beauty-Produkte. Seit 2015 hat sich der Umsatz um fast 80% auf mehr als 43,5 Mrd. € im vergangenen Jahr erhöht. Für die Jahre 2025 und 2026 schätzen Analysten das Umsatzwachstum auf weitere 5,5% jährlich.
Dabei spielten Übernahmen und Partnerschaften stets eine wichtige Rolle. Zuletzt hat L’Oréal 2023 für rekordhohe 2,5 Mrd. € die australische Marke Aesop übernommen und reagierte damit auf die Nachfrage nach natürlichen Pflegeprodukten gerade im wichtigen Markt China, aber auch auf die gestiegenen Begehrlichkeiten in der Branche. Ein Jahr davor hatte Estée Lauder Tom Ford übernommen, und auch Luxuskonzerne wie LVMH und Kering mischen vermehrt im Beauty-Geschäft mit.
Gerade im lukrativen Dermatologiebereich schläft die Konkurrenz nicht. Im jüngsten Kundensegment, in der Generation Z, hat L’Oréal Marktanteile verloren. So musste die Division im zweiten Halbjahr 2024 wegen des Rückgangs in den USA und in China einen Rückschlag hinnehmen. Auch negative Schlagzeilen machten die Runde: Akneprodukte auf Basis von Benzoylperoxid unter anderem der Marke CeraVe sollen gemäss Sammelklagen in den USA krebserregende Stoffe enthalten. Davor war das Geschäft mit pflegenden Produkten besonders schnell gewachsen, und es weist konzernweit weiterhin die höchste Profitabilität aus.
Der zunehmende Wettbewerb ist mit ein Grund, warum L’Oréal im Sommer 2024 eine Kooperation mit Galderma eingegangen ist und sich mit 10% am Schweizer Dermatologiespezialisten beteiligt hat. Der Aktienkurs hat sich seit dem Einstieg beinahe verdoppelt.
L’Oréal ist nicht nur in ihrer Grösse, sondern auch punkto Portfoliobreite und Diversifizierung über die Beauty-Sparten kaum mit der Konkurrenz vergleichbar. Das wirkt stabilisierend, etwa vergangenes Jahr, als die Schwäche im chinesischen Markt ausgeglichen werden konnte.
Das Geschäft ist in vier Divisionen unterteilt, wobei jede mit starken Marken auftrumpft: Konsumgüter (u.a. L’Oréal Paris, Garnier), Luxusprodukte (u.a. Lancôme und verschiedene lizenzierte Marken wie YSL), Professionelle Produkte (u.a. Kérastase, Redken) und Pflegende Kosmetik respektive dermatologische Produkte (u.a. La Roche-Posay, Vichy). Wachstum und Profitabilität unterscheiden sich geringfügig, wobei die Konsumgütersparte etwas weniger profitabel ist als der Rest. Auch das wirkt je nach Konjunkturphase ausgleichend.
Der weltweite Luxusmarkt dürfte nach Einschätzung der Beratungsgesellschaft Bain 2025 herausfordernd bleiben. «Small Indulgences» – kleine Verführungen – wie Schönheitsprodukte können aber gerade in diesem Umfeld im Vorteil gegenüber teureren Anschaffungen wie Autos, Kunst und Uhren sein.
Ausgewiesene Preissetzungsmacht
Der Konzern hat die Profitabilität in den vergangenen Jahren ausgeweitet, die ausgewiesene, bereinigte Betriebsgewinnmarge auf Stufe Ebit ist zwischen 2015 und 2024 um fast 3 Prozentpunkte auf 20% gestiegen. Wobei der Gewinn zuletzt noch durch Aesop belastet war. Die Entwicklung unterstreicht gerade vor dem Hintergrund der Inflation ab 2021 die Preissetzungsmacht L’Oréals. Das Management unter Nicolas Hieronimus entwickelt die starken Marken stetig weiter – auch auf neuen Gebieten: Der Kiehlʼs Derma-Reader etwa führt eine Hautdiagnose mit klinischer Bildgebungstechnologie durch.
Analyst Tom Sykes von Deutsche Bank ist skeptisch, dass es so weitergeht. Die operative Marge vor Abschreibungen und Amortisationen (Ebitda) zeige bereits nach unten. Die Analysten von Bank of America dagegen erwarten, dass noch Raum für eine weitere Margenausweitung besteht. Dazu soll unter anderem Aesop beitragen, obschon gerade das Umfeld in China herausfordernd bleibt. L’Oréal habe eine beeindruckende Bilanz bei der Integration und der Verbesserung von übernommenen Marken.
«L’Oréal strotzt vor Kraft, die Produkt- und Innovationspipelines sind prall gefüllt, das Unternehmen kann und wird mit neuen Produkten angreifen», sagte Dominikus Wagner, Fondsmanager bei Wagner & Florack, unlängst im Interview mit The Market. Mittel für weitere wachstums- und margenstärkende Übernahmen sind vorhanden.
Das Geschäftsmodell generiert viel Cash. Der freie Cashflow lag zuletzt bei 6,4 Mrd. € oder 14,7% des Umsatzes, obwohl L’Oréal gerade im Dermatologiebereich in die Forschung investiert und vor allem stets ein enormes Marketingbudget trägt: Rund ein Drittel des Umsatzes fliesst in Werbung jeglicher Form.
Das Unternehmen setzt dabei nicht nur auf Schauspielerinnen und Musiker. Viel wichtiger sind heute die rund 50ʼ000 Influencer, die mit Kurzvideos über Kanäle wie TikTok eine junge Kundengruppe ansprechen – und offenbar überzeugen. Ohnehin ist L’Oréal digital unterwegs. Seit 2014 bietet sie eine Handy-Applikation als virtuellen Spiegel, die von Millionen Menschen genutzt und durch künstliche Intelligenz unterstützt wird.
Die Investitionen machen sich aus Sicht der Aktionäre bezahlt. Auch mit Blick auf das investierte Kapital arbeitete LʼOréal zuletzt effizienter. Die Rentabilität ist im Nachgang der Pandemie sprunghaft gestiegen, die Kapitalrendite (Return on Invested Capital, ROIC) betrug 2024 knapp 16%. Bei durchschnittlichen Kapitalkosten von 9% schuf der Konzern selbst im schwierigen Geschäftsjahr 2020 Wert.
Eine einwandfreie Bilanz und ein stabiles Aktionariat
Besonders eindrücklich zeigt sich die Wertsteigerung am Buchwert je Aktie. Nach dem Dämpfer durch die Pandemie steigt das den Aktionären zurechenbare Eigenkapital wieder stetig.
Die Bilanz ist einwandfrei. Das Verhältnis von Nettoschulden zu Ebitda lag per Ende 2024 bei weniger als 0,5. Das gibt L’Oréal genügend Spielraum für weitere Wachstumsinitiativen.
Im Aktionariat dominiert die Familie Bettencourt mit einem Anteil von fast 35% an Kapital und Stimmrechten. Nach dem Tod von Liliane Bettencourt, der Tochter des Gründers Eugène Schueller, ist die Beteiligung 2017 an ihre Tochter übergegangen. Françoise Bettencourt Meyers ist mit 71 Jahren nicht mehr die Jüngste, und Anfang Februar wurde bekannt, dass sie nach fast dreissig Jahren nicht zur Wiederwahl als Board-Mitglied antreten wird. Es gibt bisher jedoch keine Anzeichen dafür, dass die Familie L’Oréal aus der Hand geben wird; ihre beiden Söhne gehören dem Aufsichtsgremium an.
Weitere gut 20% der Aktien hält Nestlé. Ein Verkauf dieses Anteils ist zwar von Aktionären wiederholt gefordert worden, aber selbst unter grösstem Druck gab VR-Präsident Paul Bulcke nicht nach. Als Vizepräsident von L’Oréal pflegt er eine spezielle Beziehung zum französischen Konzern. Vielleicht werden nach seinem Abgang bei Nestlé, wohl frühestens 2027, die Karten neu gemischt.
Risiken und Nebenwirkungen
Neben China, wo die Vergleichsbasis nur im ersten Quartal noch relativ hoch ist, sieht The Market nach der Schwäche im vierten Quartal vor allem im Zustand des Marktes für Schönheitsprodukte insgesamt und insbesondere in der Konsumentenstimmung in den USA Risiken. In den vergangenen Tagen und Wochen haben gleich mehrere Indikatoren wie die hartnäckig hohe Inflation sowie der enttäuschende Ausblick des Detailhandelsriesen Walmart Sorgen geweckt, wie resilient die US-Konsumenten tatsächlich sind. Diese Schwäche machte sich bei L’Oréal bereits im vierten Quartal 2024 bemerkbar.
Der Konzern hat im Ausblick für 2025 denn auch die Wichtigkeit der US-Nachfrage herausgehoben. Diese soll dazu beitragen, dass der Gesamtmarkt dieses Jahr trotz allem 4 bis 4,5% auf gegen 700 Mrd. $ wachsen wird. Gemäss der Einschätzung der Mehrheit der Analysten, darunter etwa Bank of America, dürfte L’Oréal – wie bereits in der Vergangenheit – dank der Weiterentwicklung starker Marken Marktanteile gewinnen. So würde ein erwartetes Umsatzwachstum von mehr als 5% resultieren. Aus Sicht von The Market ist das aber eine optimistische Annahme.
Denn auch das wichtige Dermatologiegeschäft bleibt herausfordernd, schätzt Deutsche-Bank-Analyst Sykes. Nach einem enttäuschenden ersten Halbjahr erwartet er eine schwache Performance im ersten Quartal. Ungeachtet dessen, wie die Klagen wegen CeraVe ausgehen, der Imageschaden dürfte beträchtlich sein. L’Oréal hat in der Vergangenheit indes bewiesen, dass sie Probleme gezielt und effektiv angeht.
Eine sehr gute langfristige Anlage
Ein direkter Branchenvergleich ist schwierig. Die kotierte Konkurrenz ist deutlich kleiner und anders ausgerichtet, was bisweilen auch den Bewertungsunterschied erklärt. Die deutsche Beiersdorf etwa macht mit Tesa rund 20% des Umsatzes im Klebstoffbereich, der konjunkturabhängiger ist, was einen Abschlag rechtfertigt. Estée Lauder macht deutlich weniger Umsatz und ist damit auch klar fokussierter. Vor allem aber kämpft das US-Unternehmen mit dem Einbruch in China und muss in die Spur zurückfinden. Der Gewinn ist eingebrochen, die Bewertung trotz sinkendem Aktienkurs gestiegen.
Im Vergleich mit den vergangenen fünf Jahren hat sich L’Oréals Bewertung etwas relativiert. Zu Spitzenzeiten war das Kurs-Cashflow-Verhältnis für die kommenden zwölf Monate auf mehr als 26 gestiegen, und das Verhältnis von Unternehmenswert zu Ebitda lag bei 22. Basierend auf den geschätzten Zahlen für 2025 notieren die Werte derzeit bei 21 respektive 17,5. Klar ist aber auch: Die Pandemie hat den Konzern auf ein neues Niveau gehievt, auch was die Bewertung angeht.
Die Aktien sind eine sehr gute langfristige Anlage und auf dem gegenwärtigen Niveau nicht mehr übermässig teuer. Eile ist beim Einstieg indes nicht geboten. 2025 brauchen Investoren einen starken Magen, insbesondere, falls sich die US-Konsumstimmung weiter abschwächen und sich keine Erholung in China abzeichnen sollte.