Die Grasshoppers gehören einem neuen ausländischen Besitzer, der FCZ stattet seinen Schweizer Sportchef mit ungeahnter Macht aus. Auf den ersten Blick unterscheiden sich die Klubs markant – doch in Wirklichkeit gleichen sich ihre Wege an.
Vielleicht wird dereinst der 1. Oktober 2023 in den Annalen des FC Zürich Eingang finden als Wendepunkt. An jenem Montag stellt der FCZ-Präsident Ancillo Canepa offiziell den neuen Sportchef Milos Malenovic vor. Der Termin ist schon länger fixiert, und eigentlich ist es schon seit Monaten klar, dass Malenovic den Posten übernimmt.
«Fünf Minuten» habe er gebraucht, um zu wissen, dass der 38-Jährige die sportlichen Geschicke in seinem FC Zürich verantworten werde, so Canepa. Es ist eine von vielen Andeutungen, dass mit Malenovic mehr als der Mann vorgestellt wird, der Spieler beobachtet und zuhanden des Präsidenten Transfer-Empfehlungen abgibt. Mit Malenovic sitzt der Mann der FCZ-Zukunft neben dem Präsidenten.
Malenovic ist ein erfolgreicher Spielerberater mit eigener Agentur, er ist weit gereist, hat Kontakte zu grossen Klubs und teuren Spielern und weniger teuren, von denen einige auch im FCZ spielen. Malenovic erzählt bei seiner Vorstellung vor allem von seinen frühen Tagen als FCZ-Bub, von seiner Familie und den Kindern, von seinem Traum, den er dank dem Ehepaar Canepa in seinem «Herzensverein» leben dürfe.
Canepa ist zufrieden. Zufrieden wie der alte Bauer in der holzgetäferten Stube, der die versammelte Familie darüber in Kenntnis setzt, dass der Junge neben ihm bald den Hof übernehmen werde, wenn er sich bewähre auf den Äckern und in den Ställen. Canepa strahlt. Malenovic strahlt.
Heliane Canepa ruft zwar «Altersdiskriminierung» auf die Frage, ob sich die Familie Gedanken mache, irgendwann den Klub in jüngere Hände zu übergeben. Die Frau an der Seite des Präsidenten gibt sich halb empört, halb amüsiert. «Sicher nicht», sagt sie. Unterdessen hat sich gezeigt, dass Malenovic schaltet und waltet, wie es Canepa in den über fünfzehn Jahren als FCZ-Patron anderen nie gestattet hätte.
Malenovic wirbelt durch den Klub, er stellt ein, stellt um, entlässt und holt dazu. Allein bei Trainern und Betreuern gibt es ein Dutzend Mutationen, auch die Geschäftsführung ist neu. Kurz: Malenovic hat die Macht für die Gestaltung einer Zukunft, von der die Familie Canepa weiss, dass sie kein Teil mehr davon sein wird.
GC will in Zürich wieder sichtbar werden
Auch die Grasshoppers beanspruchen das Recht auf eine Zukunft. Mit kümmerlichem Erfolg tut das der Klub zwar schon seit über zwanzig Jahren, als GC letztmals Meister wurde. Aber was der 1. Oktober 2023 für den FCZ, könnte für GC der 31. Januar 2024 sein: der Wendepunkt für eine Zukunft, die den ruhmreichen alten Zeiten ähneln wird.
Statt Chinesen sind nun Amerikaner die Besitzer der Grasshoppers. Sie nennen sich Los Angeles FC. Allein der Name klingt wie ein Versprechen: Aufbruch, Zukunft, Optimismus. Das zumindest ist die Botschaft, die am vorletzten Mittwoch bei der Bekanntgabe des Besitzerwechsels in der altehrwürdigen Räumlichkeit im Bootshaus der GC-Rudersektion vermittelt wird.
Der LAFC hat für die Offizialisierung der Übernahme namhafte Persönlichkeiten nach Zürich geschickt: Larry Freedman ist Co-Geschäftsführer der Soccer-Franchise, Stacy Johns Finanzchefin und nun Präsidentin des GC-Verwaltungsrates. Sie sitzen an einem Holztisch mit blau-weissen Banderolen, die aus der Ferne an ein Oktoberfest erinnern.
Der Wirtschaftsanwalt András Gurovits, Vertreter der GC-Stiftung, erläutert und verdankt den Handwechsel von China in die USA. Freedman schwärmt mit der kindlichen Inbrunst des Kaliforniers davon, was ihm so alles in den Sinn gekommen ist, als ihm Gurovits von einem Match gegen Real Madrid erzählte. Real! Madrid! Vor 45 Jahren.
Dort wollen die Amerikaner mit dem Schnäppchen GC wieder hin, auf die grosse Bühne, zu den glanzvollen Namen der berühmten Klubs. Wie das gehen soll, ist noch nicht so klar, aber auch noch nicht so wichtig in diesen Tagen. Stacy Johns berichtet von harter Arbeit und erzählt, dass man die Menschen wieder ins Stadion bringen wolle. Sportlicher Erfolg ist dafür der einfachste Weg, klar, aber es gehe auch darum, die «GC family» als «community» zu begreifen und ihre «tiefe Verankerung» in der Stadt wieder sichtbar zu machen.
Es ist ein schönes Luftschloss, das die Amerikaner in den wolkenlos blauen Himmel über Zürich malen. Das Luftschloss ist ins Bild gesetzt in der Fotomontage, die man sich ausgedacht hat für die Bekanntgabe der Übernahme: die hingewürfelte Stadt, der See, die Schneeberge und darüber ganz viel Luft – dort steht das schwarz-goldene Klubwappen des LAFC neben dem GC-Logo. Unser Himmel kennt keine Grenze.
Die Geste wirkt wie das Gegenteil dessen, was im FCZ seit ein paar Monaten im Gang ist: Kommt bei GC der neue Geist aus dem fernen Kalifornien in Gestalt des superreichen Onkels mit glamourösen Beziehungen zu Stars und Sternchen, steht im FCZ ein bescheidener Junge aus Wollishofen für den Aufbruch. Doch dieser Gegensatz täuscht. Eher das Gegenteil ist der Fall – die beiden Zürcher Klubs gehen auf dem Weg in die Zukunft viel ähnlicher vor, als es von aussen den Anschein macht.
Während der LAFC der Schweizer Filiale nicht nur finanzielle Sicherheit bietet, sondern auch Zugang zu einem weitverzweigten Netzwerk von Spielern und Know-how, aktiviert Malenovic ebenso mit Kontakten aus der Zeit als Spielervermittler Verbindungen in die neue Fussballwelt der Netzwerke. Ricardo Moniz, zuerst Leiter der Spielerentwicklung und seit kurzem auch Trainer der U 21, ist ein Beispiel für eine Personalie, mit der sich der FCZ als Entwicklungsklub interessant machen will.
Malenovic verordnet dem FCZ eine neue DNA
Moniz hat wie der neue Ausbildungschef Sascha Milicevic Erfahrungen gesammelt bei Red Bull Salzburg, das in der Branche mit seinen Transfer-Erfolgen nach wie vor als Vorbild für die «Akademisierung» im Geschäft gilt. Das bedeutet in der Praxis, dass Malenovic auf jeder Stufe einen identischen Stil erwartet: schnell, laufintensiv, technisch makellos.
Um sich im Geschäft mit Spielern einen Namen zu machen, muss nach innen und aussen die DNA des FCZ klar sein. Das hat Malenovic gelernt, von Salzburg, Hoffenheim, Ajax Amsterdam. Wer nicht mitzieht bei der Umsetzung des Plans, ist aussen vor, wie Genesio Colatrella, vor kurzem entlassen.
GC Zürich wird Teil der globalen Vision des @LAFC 🤝
ℹ️ Der Grasshopper Club Zürich ist heute eine langfristige strategische Partnerschaft mit dem Los Angeles Football Club eingegangen.#gc #zürich #traditionsclub
— Grasshopper Club Zürich (@gc_zuerich) January 17, 2024
Solche Pläne gefallen einem Präsidenten wie Canepa. Er liess sich schon immer begeistern, wenn es um grosse Ideen ging. Konnte er im Mailänder San Siro einen Penalty schiessen, war er glücklich. Wenn er vor den FC-Bayern-Granden Uli Hoeness und Karl-Heinz Rummenigge auf dem Üetliberg eine Rede hielt, war er stolz. Aber anders als der FC Basel oder die Young Boys konnte sich Canepa mit seinem FCZ nie nachhaltig etablieren als Spieler-Reservoir oder als Verein, dem ein grosser Klub ein Talent zur Weiterbildung anvertraut. Mit Malenovic soll sich das nun ändern.
Wie rasch das vonstattengeht, werden die kommenden Bilanzen der allfälligen Transfer-Überschüsse zeigen. Mit Bo Henriksen ist derzeit ein Cheftrainer engagiert, den die Zukunftspläne herzlich wenig interessieren. Ihm geht es nur um den Erfolg im nächsten Spiel und weniger um die Frage, wie die Rolle des Cheftrainers aussieht in einem Gesamtkonstrukt.
Malenovic sagte, man habe Respekt vor Henriksens Resultaten. Deshalb bildet der Coach mit Canepa und Malenovic eine Zweckehe auf Bewährung. Sie dürfte spätestens Ende Saison enden. Vielleicht auch schon früher, wenn in den nächsten Wochen gute Resultate ausbleiben sollten.
So weit sind die Amerikaner noch nicht, dass sie sich Gedanken machen, ob der Cheftrainer zu ihnen passt oder nicht. Harald Gärtner heisst der Mann, der für den LAFC die Verhältnisse auf dem Campus in Niederhasli anschaut. Gärtner hat nach langen Jahren in Ingolstadt und in Klagenfurt ein beachtliches Netzwerk und über das Joint Venture Red&Gold des LAFC mit Bayern München Zugang zu interessanten Optionen für Transfers. Was dabei herausschaut, ist offen. Die Besitzverhältnisse geben die internationale Struktur vor. Jetzt muss diese Struktur gefüllt werden, mit einem Geschäftsführer, mit Personal, mit Spielern, mit Leben.
Beim FCZ ist es umgekehrt: Der Klub ist von Leben erfüllt. Nun will er sich daranmachen, dieser Lebendigkeit eine internationale Struktur zu geben.
Ein Artikel aus der «NZZ am Sonntag»