Donnerstag, Dezember 26

Niemand verkörpert das romantische Scheitern im Pop, im Film und im Leben so glamourös wie die Latin-Diva. Aber soll das immer so weitergehen? Eine Hommage mit Hilferuf.

«Love don’t cost a thing.» Liebe gibt’s umsonst. Das war die erste Lektion, die Jennifer Lopez ihrem Weltpublikum erteilte. Und dass diese Einsicht gerade von ihr, der erfolgreichen Show-Latina, in einem lässig federnden R’n’B-Song vermittelt wurde, machte die Sache vielleicht nicht leichter, das Problem mit dem Geld und wie es die Gesellschaft und leider auch die Liebe dominiert im Spätkapitalismus.

Aber es lag ein gewisser Trost darin, wie sie im Video zu diesem Superhit auf der Terrasse einer Luxusvilla steht, eine Schönheit, die sich die Kosmetikindustrie hätte ausdenken können. Da stand sie, in der Hand ein Schmuckstück, das teurer war als ein Kleinwagen, und sagte genervt ins Telefon: «Wieder ein Armband. Wäre netter gewesen, wenn du persönlich aufgetaucht wärst.» Dann schnappte sie sich Autoschlüssel und Handtasche, schlug die Tür hinter sich zu und brauste davon. In einem Aston Martin. Dazu sang sie: «Wenn du glaubst, ich will deinen Benz fahren, liegst du falsch.»

Luxus reicht nicht

Das war ein wenig verwirrend, weil es relativ einfach ist, einen Benz stehen zu lassen, wenn man mit einem Aston Martin abhauen kann. Aber mit solchen Kleinigkeiten hielt man sich nicht auf. Denn wie sie anschliessend am Strand entlangfährt – die Sonne veredelt ihr Make-up mit goldenen Reflexen, der Fahrtwind föhnt zärtlich ihr Haar –, da fühlte man sich entlastet. Es konnte eben nicht jeder reiche Macho daherkommen, sie verführen und dann warten lassen.

In dem Song hatte sie ja erklärt, wie dämlich dieser ganze Angeberquatsch auf sie wirkte: «Als ich dich das erste Mal traf, bist du im Escalade vorgefahren, mit hochgekrempelten Ärmeln, damit man deine Rolex sieht. Da wusste ich, was Sache ist.» Luxusautos, Rolex, Strandvilla – das war nicht genug, um Jennifer Lopez, die Pop-Venus, glücklich zu machen. Ihre Liebe war tauschlogisch nicht zu kriegen. Was für ein Trost für Fans und Bewunderer, die Bewohner der durchschnittlichen Sphären.

«Love don’t cost a thing.» Es stimmt natürlich nicht. Die Liebe, die Gefühle, die Körper sind zu Waren geworden wie jede andere Ressource auch. Man muss kein marxistischer Soziologe sein, um das zu begreifen. Die Liebe kostet. Und wenige Stars haben mehr draufgezahlt als sie. Vier Ehen, ein Liebes- und Scheidungsdrama nach dem andern. Erst ein Kellner, dann der Rap-Produzent Sean Combs alias P. Diddy, dann Marc Anthony, ein Latin-Pop-Star. Schliesslich Ben Affleck.

Bis zu Ben Affleck, dem Oscar-dekorierten Hollywood-Schauspieler, dachte man: Klar, dass es schwer ist mit Lopez und der Liebe. Sie ist eben nicht nur eine exzentrische Diva, die ihre Backgroundtänzer nach Sternzeichen auswählt und auf Tourneen alles weiss streichen lässt, von der Garderobe bis zur Hotelsuite. Sie ist auch «Jenny from the Block», das Arbeiterklasse-Girl aus der Bronx. In den Achtzigern gondelte sie täglich mit der Linie 6 (auch ein Songtitel) nach Manhattan. Drei Stunden Fahrzeit hin und zurück, schlecht bezahlte Jobs als Kellnerin und Tänzerin in Nachtklubs. Ein Aufstiegskampf.

Keine Zeit für Träume

«Jenny from the Block», so hiess auch einer ihrer grössten Hits. Im Video sah man sie mit Freunden herumalbern. Sie sagte lachend in die Kamera: «Ich bekam den Freitag frei, und sie drohten mir: Wehe, du stehst nächsten Montag nicht um Punkt halb sieben auf der Matte!» Da wusste man: Es erging ihr so wie Millionen anderen Arbeitnehmern auch, die viel Zeit verbringen mit ungeliebten Jobs und sehr wenig Zeit haben für die Erfüllung ihrer Träume.

Dass Ben Affleck in dem Video auftauchte und sich selber spielte, ihren Verlobten, der sie nun endlich glücklich machen sollte, damit konnte man leben. Er sah zwar unverschämt gut aus, ein bisschen wie Cary Grant mit einem Schuss Clint Eastwood. Aber als Sohn einer Lehrerin und eines Sozialarbeiters würde er wissen, was wirklich zählt. Dieser Bling-Bling-Narzissmus kann ihm nicht unterlaufen. Ausserdem hatte er das Drehbuch zu «Good Will Hunting» mitgeschrieben, einem rührenden Therapiefilm über einen Hochbegabten und darüber, wie er leidet an den Verhältnissen. Wenn J.Lo mit einem Mann klarkäme, dann mit einem wie ihm. Ein Mann, der begriffen hatte, dass Talent nicht vor Verletzung schützt und Erfolg nicht vor Einsamkeit.

Ben und Jennifer wurden zu Bennifer, einer Marke zur Bewirtschaftung der Idee, dass nur in der gelungenen Partnerwahl das Seelenheil zu finden sei. Es gab zahllose Storys über ihre Hin-und-her-Romanze, und alle, die Fans, die Spanner des Boulevards, sogar die Kritiker, wollten irgendwann genauso sehr, dass es gelingt, wie sie. Denn schon das Album «This Is Me . . . Then», das sie 2002 eingespielt hatte, hatte das Publikum verstört. Es wirkte wie eine vertonte Zwangsneurose. Lopez’ Bindungslust bekam Fetischcharakter, romantische Verbindlichkeit wurde zur notwendigen Bedingung von Selbstwert und Glück.

Wenn das nicht klappe, so die Befürchtung, würde es finster werden: Alben, die bis auf ein paar Ausnahmen klängen wie R’n’B für Fitnessstudios und Robinson-Klubs, mässige Pop-Operetten, die um das kreisten, was Susan Sontag einmal hämisch «angewandten Hegelianismus» nannte – den Zwang, sich selbst im anderen zu finden. Genau so kam es dann. Lopez und Affleck trennten sich. Von da an war jede Platte ­– von «Rebirth» über «Brave» bis «Love» – die Bestätigung, dass sie nicht aufhören konnte mit ihren emotionalen Investitionen in den Heiratsmarkt, dessen Deregulierung sie mit Leidenschaft bekämpfte. Als Galionsfigur für libertären Wertewandel und partnerschaftliche Elastizität war sie nie zu haben. Den Job machten andere. Madonna, Lady Gaga, Rihanna.

Duldsames Aschenputtel

Auf der Leinwand lief es ähnlich. Partnerwahl als Kulturtechnik im Kampf gegen Vereinzelung und moralisches Laisser-faire. Auch hier wurde das Muster notorisch. Sie war das Zimmermädchen, das am Ende den Millionär abbekommt («Manhattan Love Story»), die Heiratsplanerin, die den Kinderarzt abbekommt («The Wedding Planner»), und die Hundesitterin, die den Chirurgen abbekommt («Das Schwiegermonster»). Sie war so oft das duldsame Aschenputtel mit Migrationshintergrund, dass Aschenputtel dagegen wirkte wie Simone de Beauvoir.

Vor drei Jahren wurde sie wieder zu Bennifer. 2022 fand die Heirat statt. Was hatte man gehofft, dass damit die romantische Therapie am Ende wäre. So hatte man das Ganze ja überhaupt nur ausgehalten: dass man ihre Pop- und Filmkarriere als analytische Kur begriff, frei nach Freud, der sagt, dass Heilung im Prozess von Erinnern, Wiederholen und Durcharbeiten bestehe. Mehr Wiederholen und Durcharbeiten eines öffentlich zur Schau gestellten Gefühlslebens ging nicht. Man war geheilt.

Und jetzt «This Is Me . . . Now», das Album. Dreizehn Songs, ein Thema: Lopez ist «broke», gebrochen, und nur die Liebe kann sie wiederherstellen. Ihre Produzenten haben sich gar nicht erst die Mühe gemacht, die klanglichen Trends der letzten dreissig Jahre aufzugreifen. Was seit «Jenny from the Block» im Pop passiert ist, hat anscheinend in einem Paralleluniversum gespielt. Hier klingt alles wie 1995, mit Fingerschnipp-Beat und hauchenden Flöten, Marimba-Geklimper und Billig-Blubber-Bass. Dazu hat sie zwei Filme gedreht: «This Is Me . . . Now», einen einstündigen Musikfilm, zu sehen bei Amazon Prime. Und «The Greatest Love Story Never Told», eine Dokumentation über die Dreharbeiten von «This Is Me . . . Now» (Amazon Prime ab 26. Februar).

Musical oder Therapie

Bei «This Is Me . . . Now» weiss man nicht, ob das eine Clip-Revue, ein Musical oder ein sehr wirrer Therapiefilm sein soll. Am Anfang fährt sie mit Ben Affleck auf einem Motorrad durch eine Seenlandschaft, und wer auch immer ihr diese Bildidee eingeflüstert hat, sie sollte ihn feuern. Den Aston Martin stehen lassen, und jetzt genügt ein Kraftrad, seit «Easy Rider» die Chiffre scheiternder Gegenkultur, und man fühlt sich frei? Wirklich?

Was dann folgt, ist bestenfalls erratisch. Sie repariert als Chefmechanikerin der Liebe ein gigantisches, im Raum schwebendes Stahlherz, das zu zerbersten droht, während sich unten im Maschinenraum schwitzende Arbeiter durch zweitklassige Choreografien mühen. Leni Riefenstahl denkt sich ein Pop-Video aus und rekrutiert Tänzer beim Volkshochschulkurs Hip-Hop.

Sie streitet sich mit einem Waschbrettbauchtypen in einem Plexiglashaus, das sie schreiend zum Einsturz bringt. Wenn das Bike eine leere Metapher war, dann ist das Glashaus ein Bild mit symbolischem Minuswert. Zwischendrin sitzt sie beim Therapeuten, den Fat Joe, ein Rap-Star der 1990er Jahre, so ratlos spielt, wie man sich als Zuschauer fühlt. Jane Fonda, Trevor Noah und Sofía Vergara treten als Sternzeichen-Götter auf und witzeln sich durch die Kommentierung ihrer Dating-Geschichte. Jede Frauenzeitschrift bekommt das auf ihrer Horoskopseite besser hin.

«Love don’t cost a thing»? Das stimmt nicht. Die Liebe zu Jennifer Lopez hat einen Preis. Er wird in einer harten Währung entrichtet: Enttäuschung. Mit enttäuschter Liebe kennt sie sich aus. Denn sie ist Jennifer Lopez, die Sängerin, der es gelang, das romantische Scheitern in Welt-Pop zu verwandeln. Sie kann weiter scheitern, das schmälert nicht ihren Rang. Es muss nur anders aussehen. Und besser klingen.

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