Sonntag, September 29

Psychedelische Medikamente sollen schwer kranken Patienten helfen, Ängste und Depressionen zu überwinden und die verbleibende Zeit lebenswerter zu machen. Erste Resultate sind positiv, doch die neuen Studien haben Lücken.

Die Nachricht zieht einem den Boden unter den Füssen weg: Der Krebs ist nicht mehr heilbar, es bleibt einem nur noch eine sehr begrenzte Zeit auf Erden. «Gefühle von Angst, Zorn, Enttäuschung, tiefer Verzweiflung, Ohnmacht und Trauer wechseln sich ab mit Momenten der Hoffnung, der Schicksalsergebenheit oder auch des Nicht-Wahrhaben-Wollens», so beschreibt eine Webseite des Universitätsspitals Zürich die Gefühlslage von Patienten, die erfahren, dass ihre Erkrankung nicht mehr heilbar ist.

Für bis zu einem Drittel der Betroffenen führt diese emotionale Achterbahnfahrt nach einer solchen Diagnose in einen Abgrund von anhaltenden Ängsten und Depressionen.

Menschen in dieser Situation zu helfen, ihre Lebensqualität, so gut es geht, zurückzugewinnen, ist das Ziel der Palliativmedizin. Dazu gehört die Kontrolle von Schmerzen und anderen körperlichen Symptomen. Ebenso wichtig ist es aber, die psychischen Schmerzen zu lindern und mit den Betroffenen Wege zurück zu einem sinnerfüllten Leben zu finden, in dem sie auch positive Erfahrungen und Emotionen wieder zulassen und geniessen können.

Die Mittel gegen das Leid der Seele sind begrenzt

Diese seelische Hilfe zu leisten, ist oft die schwierigere Aufgabe. «Der Leidensdruck bei den Betroffenen kann enorm sein. Und die zur Verfügung stehenden Hilfsmittel wie Psychotherapie, angstlösende Medikamente oder Antidepressiva sind in ihrer Wirkung begrenzt», sagt Sivan Schipper, Arzt für Innere Medizin und Leiter der Palliativversorgung am Spital Uster. Schipper gehört zu den Autoren einer kürzlich vom internationalen Forschungsnetzwerk Cochrane veröffentlichten Übersichtsarbeit, welche die wissenschaftliche Evidenz für einen neuen Ansatz auswertet.

Die Rede ist von einer «psychedelisch assistierten Therapie». Sie kombiniert eine Psychotherapie mit der Einnahme von bewusstseinsverändernden Medikamenten wie LSD oder Psilocybin, dem Wirkstoff von «Magic Mushrooms». Diese Stoffe bewirken vorübergehend tiefgreifende Veränderungen in der Wahrnehmung von Aussen- und Innenwelt und lösen intensive Emotionen aus. Das Denken wird assoziativer, viele sprechen von einem Gefühl der Auflösung des Ichs.

Die psychedelischen Erfahrungen sollen den Patienten helfen, die eingefahrenen Denkmuster zu überwinden, die Angststörungen und Depressionen zugrunde liegen. In einer amerikanischen Studie berichteten Krebspatienten nach der Einnahme von Psilocybin von einem Gefühl der «Versöhnung mit dem Tod» und einer erneuerten Verbindung zum Leben.

Diese Erlebnisse arbeiten die Patienten in der anschliessenden Psychotherapie auf und integrieren die neu gewonnenen Perspektiven ins tägliche Leben – im Idealfall weit über den wenige Stunden währenden psychedelischen «Trip» hinaus.

Die Studienlage ist überschaubar

Anekdoten von Patienten, die dank Psychedelika zu einem erfüllten Leben zurückfanden, gibt es viele. Doch lässt sich dieser Nutzen auch wissenschaftlich erhärten? Und wie steht es um mögliche Risiken? Das ist die Frage der aktuellen Übersichtsarbeit, die den heutigen Stand der Wissenschaft zur psychedelisch assistierten Therapie für Menschen mit einer lebensbedrohenden Diagnose zusammenfasst und bewertet.

«Wir konnten am Ende sechs gut gemachte Studien mit insgesamt 149 Teilnehmenden auswerten», sagt Schippers Co-Autor Christopher Böhlke, Arzt am Palliativzentrum Basel. Böhlke forscht am dortigen Universitätsspital an neuen Wegen der Palliativversorgung. In ihrer praktischen Arbeit konnten beide Ärzte bereits Erfahrungen mit der psychedelisch assistierten Therapie sammeln – in der Schweiz ist dies mit einer Ausnahmegenehmigung des Bundesamtes für Gesundheit möglich.

In den sechs ausgewerteten Studien wurden Angst und Depressionen mit zwei gängigen Fragebögen erfasst, die am Ende einen Zahlenwert für die Schwere der Symptome ergeben. Eine psychedelisch assistierte Therapie reduzierte Ängste um gut acht Zähler auf der von 20 bis 80 reichenden Skala des «State Trait Anxiety Inventory». Für Depressionen betrug dieser Rückgang knapp fünf Punkte im «Beck Depression Inventory», das maximal 63 Punkte kennt. Als Vergleich dienten jeweils Patienten, die nur ein Scheinmedikament erhielten.

Realer Nutzen für todkranke Menschen

«Das ist keine dramatische Verbesserung. Aber die positiven Effekte auf Angst und Depression sind über die Studien hinweg sehr konsistent und erweisen sich in der Gesamtauswertung aller Studiendaten als signifikant – sowohl im statistischen Sinn als auch, was einen realen Nutzen für die Patienten angeht», erklärt Böhlke.

Die Verbesserungen entsprächen etwa dem, was man mit angstlösenden Medikamenten oder Antidepressiva erreichen könne, schätzt Böhlke. Allerdings ist der Nutzen dieser Klassiker für Krebspatienten noch schlechter untersucht als jener der Psychedelika. So fanden zwei weitere Übersichtsarbeiten von Cochrane kaum belastbare Studien zu angstlösenden Medikamenten und Antidepressiva für Patienten mit lebensbedrohlichen Krankheiten.

«Bad Trips» sind in der Psychedelika-Therapie die grosse Ausnahme

«Keine Wirkung ohne Nebenwirkung», sagt man in der Medizin. Bei Psychedelika zeigen sich diese hauptsächlich während der akuten Wirkung der Substanz. Neben Übelkeit gehören dazu auch die typischen Halluzinationen. Sie bleiben angesichts der eingesetzten Dosierung aber kontrollierbar.

«Den oft beschworenen ‹Bad Trip› mit totalem Realitätsverlust gibt es aber im Kontext einer begleiteten Therapie so gut wie nie», sagt Böhlke. Das gelte auch für die Auslösung einer länger anhaltenden psychotischen Episode, vorausgesetzt, man schliesse Patienten mit einer Vorgeschichte wahnhafter Symptome konsequent von einer solchen Therapie aus. «Und auch eine körperliche oder psychische Abhängigkeit ist entgegen alten Vorurteilen kaum zu befürchten.»

LSD – ein Wirkstoff mit Imageproblem

Besagte Vorurteile stammen aus den sechziger Jahren. Damals entdeckten die Hippies die bewusstseinserweiternde Wirkung von LSD und anderen Psychedelika für sich. Auf «Acid» zu sein, wurde für viele zum Normalzustand, gegen Ende des Jahrzehnts reagierten viele Staaten mit Verboten.

Dieses erhebliche Imageproblem brachte auch die psychiatrische Forschung mit Psychedelika weitgehend zum Erliegen. Erst ab der Jahrtausendwende kam die Forschung weltweit langsam wieder in Gang. Als Vorreiterin gilt die Schweiz, wo der Basler Chemiker Albert Hofmann 1943 die psychoaktive Wirkung des Lysergsäurediethylamids (LSD) entdeckt hatte.

Inzwischen warnen auch viele Forscher auf dem Gebiet vor einem neuen Hype, den unkritische Medienberichte und Dokus wie die Netflix-Serie «How to Change your Mind» befeuern. «Was wir uns erhoffen, ist kein Allheilmittel, sondern eine neue Option im beschränkten Hilfsangebot, das wir unseren Patientinnen und Patienten machen können», sagt der Palliativmediziner Böhlke.

Die psychedelische Erfahrung gibt nur den Anstoss

Denn die bisher zur Verfügung stehenden Medikamente hätten ein fundamentales Problem: «Sie zielen nur auf die Dämpfung der Symptome ab, nicht auf deren Überwindung. Setzt man sie ab, sind die negativen Gefühle wieder da.» Genau darin unterscheide sich das Grundprinzip der psychedelisch assistierten Therapie: Hier nehmen die Patienten das Psychedelikum im Rahmen einer vom Therapeuten begleiteten Sitzung nur ein einziges oder wenige Male ein.

«Wir gehen davon aus, dass die psychedelische Erfahrung vor allem deshalb wirkt, weil sie einen therapeutischen Prozess anstösst, den wir dann in den folgenden Therapiesitzungen vertiefen», sagt Sivan Schipper. Das sei ein echter Paradigmenwechsel, weg von einem Dämpfen und Wegdrücken, hin zu einer aktiven Hinwendung der Patienten zu Angst und Schmerz mit dem Ziel, diese zu überwinden.

Wer LSD nimmt, merkt das auch – für die Forschung ein Problem

Doch so ermutigend das alles klingt, es gibt auch einen guten Grund für Zurückhaltung gegenüber den positiven Ergebnissen der bisherigen Studien. Er liegt in einem grundlegenden methodischen Problem: Eigentlich sollten in einer guten Vergleichsstudie weder Patient noch ausführender Therapeut wissen, wer das zu untersuchende Medikament erhält und wer nur eine neutrale Vergleichsbehandlung, etwa ein Placebo. Doppelte Verblindung nennt man das. Doch die ist im Falle von Psychedelika kaum machbar: Wessen Ego sich gerade in Wohlgefallen auflöst, kann mit ziemlicher Sicherheit davon ausgehen, den echten Wirkstoff geschluckt zu haben.

Diese «Entblindung» kann jedoch dazu führen, dass eine positive Erwartungshaltung gegenüber der Therapie und nicht die Therapie selbst zum besseren Ergebnis führt. Aufgrund dieses Problems und der geringen Teilnehmerzahl der Studien stuft die Übersichtsarbeit die Belastbarkeit der Ergebnisse als nur gering ein.

Am Problem der Entblindung kranken fast alle Studien zu Therapien mit Psychedelika. Und es ist keine Nebensächlichkeit: Für die amerikanische Arzneimittelbehörde FDA war es der entscheidende Grund, im August die Zulassung eines ersten psychedelischen Medikaments gegen posttraumatische Belastungsstörungen zu verweigern – ein Rückschlag für die Befürworter solcher Therapien weltweit.

Auf den richtigen Vergleich kommt es an

Doch wie könnte man dieses Problem lösen? Ein erster Schritt wäre es, die Erwartungshaltung von Probanden genauer zu erfassen, um sie später in der Auswertung der Ergebnisse berücksichtigen zu können.

Ein anderer Ansatz ist ein sogenanntes aktives Placebo. Damit arbeitet eine neue Studie zur psychedelisch assistierten Therapie gegen Ängste, die gerade an den Universitätsspitälern Basel und Zürich sowie dem Spital Uster anläuft. Sie soll rund 60 Patienten mit lebensbedrohlicher Erkrankung einschliessen.

Anstatt eines Placebos ohne Wirkstoff erhalten die Patienten in der Vergleichsgruppe eine kleine Dosis von 25 Mikrogramm LSD. «Diese Menge spürt man durchaus, nur eben nicht so stark wie die 100 oder 200 Mikrogramm, welche die Patienten in der eigentlichen Versuchsgruppe erhalten. Das soll es erschweren, allein an der akuten Wirkung zu erkennen, in welcher Gruppe man gelandet ist», erklärt Sivan Schipper, der wie Böhlke an der Studie beteiligt ist.

«Wie man es auch macht, es ist schwierig»

Ohne Probleme ist auch dieses Studiendesign nicht. Denn möglicherweise zeigt schon die 25-Mikrogramm-Dosis bis zu einem gewissen Grad den gewünschten Effekt. Das könnte im Vergleich der beiden Gruppen den wahren Effekt der Therapie verschleiern. «Wie man es auch macht, es ist schwierig», seufzt Böhlke. Aber der Ansatz der neuen Studie böte eben die Chance, einen Wirksamkeitsnachweis für die psychedelisch assistierte Therapie zu erbringen, der nicht gleich wieder durch das Entblindungsproblem infrage gestellt wird.

Ergebnisse der neuen Schweizer Studie sind nicht vor Ende 2027 zu erwarten. Und selbst wenn sie positiv ausfällt, wird es wohl noch deutlich länger dauern, bis die Therapieform wirklich in Palliativ-Stationen ankommt.

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