Dienstag, September 9

Bis Mitte September erhebt sich am Ufer des Vierwaldstättersees die «Ark Nova», ein schillerndes Kunstobjekt, das zugleich eine variabel nutzbare Konzerthalle ist. Das Projekt vermittelt einen Eindruck davon, was Luzern mit dem 2016 gescheiterten Plan einer «Salle Modulable» entgangen ist.

Nun ist das Ufo aus Fernost am Vierwaldstättersee gelandet. Oder ist es doch eine übergrosse Aubergine? Manche haben in dem Ungetüm bereits einen aus der Form gegangenen Bagel erblickt, auch weniger stubenreine Vergleiche sollen schon gezogen worden sein. Für Eingeweihte ist das je nach Lichteinfall zwischen Rosa, Violett und Pink schillernde Objekt eine begehbare Skulptur, also ein Werk der Kunst, und wieder andere sehen darin in erster Linie einen aussergewöhnlichen Konzertsaal.

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Die Irritation ist gewollt, das Schillernde trägt wesentlich zur Faszination der «Ark Nova» bei, die sich seit Anfang September auf der Lidowiese in Luzern erhebt. Das eigentümliche Gebilde nahe dem Verkehrshaus der Schweiz ist nämlich alles dies zugleich: Kunstwerk und Bühne und vor allem auch Projektionsfläche für die Phantasien der Betrachter.

Subtiler Fingerzeig

Erdacht haben es der Künstler Anish Kapoor und der Architekt Arata Isozaki einst auf Anregung von Michael Haefliger, dem Intendanten des Lucerne Festival. Als die «Ark Nova» 2013 erstmals in Japan präsentiert wurde, war sie als Symbol der Hoffnung gedacht: als ein starkes Signal, dass es auch nach der Tsunami-Katastrophe und dem Reaktorunfall von Fukushima noch Raum für kulturelles Leben in den betroffenen Regionen geben würde. Die Idee einer Verbindung von sozialer Begegnungsstätte, Kunsterlebnis und Bühne ging auf – bis zum Ausbruch der Pandemie wurde die aufblasbare Zeltkonstruktion noch in zahlreichen weiteren Städten Japans präsentiert, immer mit erstaunlichem Publikumszuspruch.

Dies wiederholt sich nun offensichtlich in Luzern, wo die «neue Arche» noch bis zum 14. September Station macht. Der Fremdkörper am See weckt Interesse, allein schon durch seine Form und Farbe. Rund um das Gebilde tummeln sich Schaulustige und Hobbyfotografen auf der Jagd nach der ausgefallensten Perspektive. Aber auch das bewusst zugänglich konzipierte Programm für die Bühne im Inneren, mit bis zu vier Veranstaltungen pro Tag, findet nach Angaben des Festivals überwiegend erfreulichen Anklang.

Dass Michael Haefliger die «Ark Nova» nun zum ersten (und voraussichtlich einzigen) Mal nach Luzern gebracht hat, bevor sie nach Fernost zurückkehrt, ist mehr als ein Sahnehäubchen zum Abschluss seiner 26-jährigen Intendanz. Es ist ein subtiler Fingerzeig, macht Haefliger mit dem Projekt doch spielerisch und ganz im Sinne des Sommermottos «Open End» deutlich, was trotzdem offen geblieben ist in seiner so ereignisreichen Ära.

Die Lage der «Ark Nova» am See, ihr vielfältig nutzbarer Innenraum und das unorthodoxe Bespielungskonzept wecken nämlich unweigerlich Assoziationen. Das alles erinnert nicht zufällig an das gemeinsam mit dem Komponisten Pierre Boulez erdachte Projekt einer «Salle Modulable», also einer radikal fortschrittlichen Theater- und Opernbühne mit variablem Raum- und Bühnenkonzept, wie sie inzwischen unter anderem in Paris und Berlin realisiert worden ist.

In Luzern ist das Bauvorhaben auf dem Inseli am KKL bekanntlich 2016 unter die Räder gekommen. Erst Anfang Jahr scheiterte obendrein ein weiterer Anlauf für die Neugestaltung des sanierungsbedürftigen Stadttheaters am Nein der Stimmbürger. In kleinerem Massstab, aber an gut vergleichbarer Position in Ufernähe vermittelt die «Ark Nova» nun einen Eindruck davon, was der Stadt mit dem Scheitern des Projekts entgangen sein könnte. Schon in dieser vergleichsweise schlichten Form mit begrenzter bühnentechnischer Ausstattung ist nämlich zu erahnen, was für vielfältige Möglichkeiten der Bespielung und Nutzung eine derartige multifunktionale Spielstätte eröffnet.

Ins Pflichtenheft

Wer die bunt gemischten Programme dieses Sommers mit ihrer Bandbreite vom klassischen Rezital bis zu Folk-, Pop- und Performance-Veranstaltungen besucht, erkennt allerdings noch etwas: Eine solche Zweitspielstätte, wäre sie in der vor 2016 ins Auge gefassten Form einer «Salle Modulable» realisiert worden, hätte Zuschnitt und Profil des Lucerne Festival im Ganzen tiefgreifend verändert.

Denn in einem derart variablen Umfeld ist der Rahmen eines Konzerts bei jeder Veranstaltung neu zu definieren – von der Sitzordnung des Publikums über die Platzierung der Mitwirkenden bis hin zu den Programmkonzepten, die ideal auf die Bedingungen der Spielstätte abgestimmt werden müssen. Die Programme selbst dürfen folglich nicht einfach fortschreiben, was von jeher im KKL geboten wird; sie sollten überdies gerade auch solche Besucherschichten ansprechen, die das einschlägige Setting eines klassischen Konzerts mit all seinen Traditionen und ungeschriebenen Regeln von einem Besuch abhält.

Unversehens ruft das Experiment der «Ark Nova» also nicht bloss eine vertane Chance in Erinnerung. Es verweist vielmehr auf zentrale Fragen, denen sich künftig immer mehr Veranstalter werden stellen müssen: Wie kann man die historisch gewachsenen Formate mit frischem Leben füllen? Wie kann man sie gegebenenfalls weiterentwickeln, um gewandelten Hörerwartungen gerecht zu werden und dabei neue Hörerschichten zu gewinnen?

Diese Aufgabe, die auch für das Lucerne Festival alsbald dringlicher werden dürfte, hat Haefliger seinem Nachfolger Sebastian Nordmann mit dem «Ark Nova»-Projekt zum Abschied nochmals anschaulich ins Pflichtenheft geschrieben.

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