Der amerikanische Lucid Air ist seit 2023 in Europa erhältlich. Trotz beeindruckenden technischen Daten blieb der Durchbruch bisher aus. Mit einem heckgetriebenen Modell sollen mehr europäische Kunden angelockt werden.

Lucid Motors ist als Autohersteller noch unbekannt. Wenn dieser Tage der Air Pure RWD auf den Markt kommt, werden sich viele fragen, ob wieder ein neuer chinesischer Autobauer einen Anlauf auf dem europäischen Markt nimmt. Doch weit gefehlt: Die grosszügige Elektrolimousine kommt aus den USA, es gibt sie seit zwei Jahren, und in Europa wird sie seit 2023 angeboten.

Das Strassenbild prägt das elegante fast fünf Meter lange Strassenschiff jedoch noch nicht. In der Schweiz wurden letztes Jahr gerade einmal 20 Exemplare verkauft, bis Ende Mai 2024 waren es 8 Stück. Vor allem der sechsstellige Preis dürfte die Kunden vom Kauf abhalten. Doch es könnte noch einen weiteren Grund haben.

Newcomer haben es generell schwer, vor allem als neue Automarke. Da mag das Fahrzeug noch so gut sein, der Bekanntheitsgrad der Marke kann bei der Kundenentscheidung den Ausschlag geben. Und eine amerikanische Firma wie Lucid Motors muss sich mit dem Air an Marken messen lassen, die bereits Erfolge erzielt haben.

Tesla hat bei den batterieelektrischen Limousinen mit dem Model S seit Jahren vorgelegt und beweist sich weltweit mit grossen Verkaufserfolgen. Mittlerweile hat sich Elon Musks Autofirma ein starkes Image und eine eingeschworene Gemeinschaft aufgebaut. Lucid hat als im Silicon Valley ansässige Firma zwar einige namhafte Ingenieure von Tesla abwerben können und ist bereits seit 2007 – noch als Firma Atieva – daran, sich eine eigene Markenwelt aufzubauen. Doch erst seit 2016 heisst die Marke Lucid, und die grossen Verkaufserfolge haben sich noch nicht eingestellt.

An der Qualität des ersten Fahrzeugs von Lucid Motors kann es aber nicht liegen, dass sich der Start bisher zäh gestaltete. Vielmehr schien die viertürige Limousine technisch etwas überfrachtet und preislich zu hoch angesiedelt, um in grossen Stückzahlen verkauft werden zu können.

Verzicht auf Allradantrieb senkt Kosten und Verbrauch

Das soll sich nun ändern, denn mit einer heckgetriebenen Variante als Einstiegsmodell konnte Lucid erstmals ein Fahrzeug unterhalb von
100 000 Franken an den Start bringen. Das Fahrzeug gibt es weltweit nur in der tiefsten Ausstattungsstufe Pure, und damit ist es trotz seiner stattlichen Grösse weniger als zwei Tonnen schwer – eine Seltenheit bei Elektroautos dieser Grösse. Zudem ist der Air aerodynamisch so ausgereift, dass mit dem Pure RWD Reichweiten von 700 Kilometern mit einer Batterieladung möglich sind.

Auf Leistung muss der Fahrer eines Lucid Air RWD jedoch nicht verzichten. Dank einer Batterie mit 88 Kilowattstunden Energieinhalt und einem äusserst kompakten Elektromotor an der Hinterachse schafft der Hecktriebler eine Motorleistung von 325 Kilowatt (442 PS). Dank einem stets verfügbaren Drehmoment von 550 Newtonmetern lässt sich der Wagen jederzeit kräftig vorantreiben.

Den Unterschied zwischen dem RWD und dem noch nicht so erfolgreichen Allradmodell spürt man zwar beim günstigeren Einstiegspreis von 91 000 Franken deutlich im Budget, der Air mit zwei Motoren ist mehr als 30 000 Franken teurer. Doch auf der Fahrt sind die Unterschiede beim Antrieb kaum spürbar.

Die Beschleunigung ist Elektroauto-typisch beeindruckend, das Fahrwerk ist bestens auf unterschiedliche Strassenqualitäten vorbereitet und nach europäischem Geschmack abgestimmt, also eher straff eingestellt. Neigebewegungen der Karosserie sind in Kurven oder beim Beschleunigen und Verzögern kaum spürbar.

Wie sich auf mehreren Runden über den regennassen Handlingkurs zeigt, arbeitet das Fahrdynamiksystem von Lucid auch im Hecktriebler tadellos. Leichte Ausbrüche der Hinterachse fängt das Stabilisierungsprogramm souverän ein. Ein für den Fahrer unangenehmes Untersteuern, bei dem der Wagen über die Vorderräder aus der Kurve schiebt, tritt trotz dem enormen Drehmoment kaum auf.

Bei der Entwicklung des Antriebs setzt Lucid vor allem auf hauseigene Technologien. Beim neuen Hecktriebler arbeitet nur ein E-Motor statt zwei oder gar drei bei den höher positionierten Air-Varianten GT und Sapphire. Auch die im Unterboden verbaute Batterie ist etwas kleiner als bei den Allradmodellen und stammt vom japanischen Zellenlieferanten Panasonic.

Schnelles Laden macht ihn für Reisen attraktiv

Das bordeigene Lademanagement geht auch beim Einstiegsmodell so effizient mit dem Akku um wie bei den mehrmotorigen Varianten. Dank dem im Heck eingebauten Elektronikbaustein – er heisst intern «Wunderbox» – sollen sich nach Angaben des Lucid-Technikers Jürgen Fuchs am Schnelllader in 15 bis 20 Minuten 400 Kilometer Reichweite nachladen lassen.

Damit wird der Lucid Air RWD bei Interessenten für Reiselimousinen besonders attraktiv. Und dazu trägt auch das weiterhin sehr geräumige Interieur des Fahrzeugs bei. Auf vier oder fünf Plätzen lässt sich bequem reisen. Kopf- und Beinfreiheit sind ausgezeichnet und erinnern an die Raumverhältnisse in einem Rolls-Royce Ghost.

Um auch entsprechend viel Platz für das Reisegepäck zur Verfügung zu stellen, gibt es wie bei den Allradlern zwei Kofferräume. Im Heck stehen 627 Liter Stauraum bereit, unter der Fronthaube sind es weitere 283 Liter.

Solche Werte erreicht die Konkurrenz mit Verbrennungsmotor nur in ihren Varianten mit Kombiheck. Doch auch in dieses Segment will Lucid nun expandieren. Wie der Europa-Chef Alexander Lutz bestätigt, wird der in den USA bereits lancierte Lucid Gravity, eine Kombination aus SUV und Raumgleiter, ab 2025 auch in Europa starten.

Um den europäischen Markt vollends zu erobern, plant Lucid ab 2027 ein günstiges E-SUV in der Grösse eines VW Touareg. Der Wagen soll zum neuen Volumenmodell werden und rund 50 000 Euro kosten. Die Stossrichtung ist klar: «Wer bei den Besten mitspielen will, muss in Europa gewinnen», sagt Lutz.

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