Der Uni-Abgänger soll den CEO eines Krankenversicherers mit mehreren Schüssen getötet haben. Nun wird er sogar in einem Musical gewürdigt.

Am 13. Juni wird in San Francisco Premiere gefeiert. Auf die Bühne kommt «Luigi: The Musical». Titelheld ist der derzeit in New York inhaftierte Luigi Mangione. Der 26-jährige Absolvent einer Eliteuniversität und Spross einer wohlhabenden Familie ist wegen Mordes angeklagt. Er soll Brian Thompson, den CEO von United Healthcare, einem der grössten Krankenversicherer der Welt, kaltblütig erschossen haben. Ihm droht die Todesstrafe.

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Kaltblütige Hinrichtung

«Luigi: The Musical», so liest man auf der Website, wolle nicht Gewalt zelebrieren. Vielmehr wolle man mit satirischen Mitteln «tiefere kulturelle Fragen stellen». Unter anderem sollen Erklärungen für Mangiones Popularität, seinen Status als Internetvolksheld und über Amerikas Desillusionierung geliefert werden.

Das sind tatsächlich interessante Fragen. Eine Antwort ist schon jetzt naheliegend: Seinen Status als Volksheld verdankt Luigi Mangione trotz Mordverdacht einem Medienspektakel.

Schon der Anfang war filmreif. Kurz nachdem Mangione am 4. Dezember 2024 um 6.45 Uhr morgens vor dem Hilton-Hotel in Manhattan mutmasslich drei Schüsse abgegeben hatte, kursierten Überwachungsbilder und -videos der kaltblütigen Hinrichtung. Die Identität des Opfers wurde bekannt, es folgte eine mehrtägige, mediale Live-Hatz auf den Mörder.

Parallelen zu Walter White aus «Breaking Bad»

Schon in den fünf Tagen bis zu Mangiones Verhaftung in einem McDonald’s enthüllten die Medien Details, die den Mord fiktional und literarisch aufluden. Auf den Patronenhülsen standen Worte geschrieben, die ein internes Motto der Krankenversicherungsbranche zur Verweigerung von Versicherungsleistungen zitierten. Auf dem Fluchtweg per Mietvelo hinterliess der Täter – absichtlich – einen Rucksack, gefüllt mit Monopoly-Geldscheinen. Bei der Verhaftung fand man ein handgeschriebenes Manifest des Verdächtigen, in dem er Gesundheitsversicherer als Parasiten bezeichnete, die ihr Schicksal mehr als verdienten.

Die geschickte Inszenierung verfehlte ihre Wirkung in den Medien nicht. Feuilletonistische Magazine wie der «New Yorker» oder der «Atlantic» verliehen dem Schützen eine Art Legendenstatus, indem sie aufgrund seiner Biografie antikapitalistische und menschenfreundliche Motive suggerierten. Essayisten beschrieben, wie der gut aussehende Absolvent der Penn University eine vielversprechende Karriere als Computerwissenschafter begann, wie er in den sozialen Netzwerken aktiv war, Yoga betrieb, in Hawaii surfte, gesundheitliche Probleme bekam und sich schliesslich zum angeblichen Gerechtigkeitsfanatiker entwickelte.

Man zog Parallelen zu geächteten und verehrten Volkshelden der amerikanischen Geschichte von Jesse James über Bonnie and Clyde bis hin zu Walter White, der in der TV-Serie «Breaking Bad» vom Chemielehrer zum Crystal-Meth-Gangster mutiert, weil er seine Krebsbehandlung nicht bezahlen kann.

Viele weibliche Fans

Kaum verwunderlich, wurden die ersten Anhörungen des vermeintlichen antikapitalistischen Märtyrers vor Gericht zum öffentlichen und medialen Spektakel. Groupies und Politaktivisten, unter ihnen die Whistleblowerin Chelsea Manning, vereinten sich zu einer «Free Luigi»-Bewegung. Eine Reddit-Gruppe namens «FreeLuigi» zählt allein rund 39 000 Mitglieder. Gemäss einer Stichprobe sind diese mehrheitlich weiblich.

Zudem ist unter medialer Begleitung ein Crowdfunding lanciert worden, um die Gerichtskosten zu decken. Mit dem Verkauf von Luigi-Baseball-Käppis, «Free Luigi»-T-Shirts und Heiligenbildern mit seinem Konterfei sind nach Angaben der Pro-Luigi-Vereinigung «December 4th Legal Committee» über eine Million Dollar zusammengekommen. Nachdem Mangione im April auf unschuldig plädiert hatte, spendeten anlässlich seines 27. Geburtstags am 6. Mai über 28 000 Personen je 27 Dollar – rund eine Dreiviertelmillion Dollar.

Erhält er als Nächstes eine Netflix-Serie?

In der Zwischenzeit zieht die Legende vom Volkshelden und sexy Revolutionär «Luigi» weitere Kreise, in der Gesundheitspolitik und selbst in der Wirtschaft. Für den Journalisten und Buchautor Walter Kirn werden mit der Mystifizierung von «Luigi» politische Absichten verfolgt: Aus Sicht von linken Demokraten zeige seine Extremhandlung, dass das Gesundheitssystem der USA dringend «sozial gerechte» Reformen benötige. Die linke Instrumentalisierung des mutmasslichen Mordes ging so weit, dass das Nischenmedium «Washington Babylon» Mangione als potenziellen US-Gesundheitsminister handelte.

Die reichweitenstarke Journalistin Taylor Lorenz, die mit Mangione sympathisiert, sieht den mutmasslichen Schützen bereits als Fernsehstar. Schliesslich, so sagte sie, erhielten in den USA Mörder aller Art eine Netflix-Show.

Natürlich kann man die Verantwortung für das Phänomen «Luigi» nicht nur den Medien zuschieben. Viele Medien betonten, dass Mangiones Tat kategorisch zu verurteilen sei. So manche liessen allerdings ein Aber folgen, wonach die Gesundheitskonzerne eben auch böse sind. Zudem konnten alle kaum auf eine Story verzichten, die viel zu gut scheint. Daraus ein Musical zu machen, ist daher nur folgerichtig. Die ersten fünf Aufführungen sind bereits ausverkauft.

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