Ist Selenski Milliardär?

Von der Bahnhofstrasse hier in Zürich bis zum Handelsregister von Zypern haben wir auf der ganzen Welt nach Hinweisen auf Selenskis Vermögen gesucht.

Dabei haben wir festgestellt: Bei den Spekulationen um das Vermögen des ukrainischen Präsidenten geht es um so viel mehr als nur um seinen Kontostand.

Es geht um Korruptionsvorwürfe, Offshore-Unternehmen, Luxusjachten und um westliche Hilfsgelder.

Die tiefsten Schätzungen für Selenskis Vermögen liegen bei 1 bis 1,5 Millionen US-Dollar. Sie beziehen sich auf Selenskis Vermögenserklärung. Die müssen Politiker in der Ukraine abgeben. Eine Massnahme, um Korruption zu bekämpfen.

Die Erklärungen von Selenski reichen bis ins Jahr 2017 zurück.

Hier die neueste Erklärung.
Darauf sind die Vermögenswerte von Selenski und seiner Ehefrau aufgelistet. Dinge wie seine Autos, verschiedene Immobilien und Bankkonten.

Eine Bankadresse ist sogar hier in Zürich, gleich an der Bahnhofstrasse.

Hier liegen laut der Vermögenserklärung 385 000 Euro.

Ein grosser Teil seines Vermögens versteckt sich auch im Abschnitt «Patente und Markenrechte»: Vier dieser Einträge sind mit Hunderttausenden von Dollars bewertet.

Im ukrainischen Markenregister können wir diese anhand ihrer Trademark-Nummer nachschlagen: Es handelt sich um vier TV-Serien. Selenski war ja nicht immer Politiker. Den grössten Teil seiner beruflichen Karriere war er Comedian, Schauspieler und Produzent.

Lustigerweise hat er selbst einmal in der TV-Serie «Diener des Volkes» den Präsidenten der Ukraine gespielt. Das war, bevor er im echten Leben dann tatsächlich zum Präsidenten wurde. Netflix hat 2022 die Lizenzrechte an dieser Serie erneuert.

Von den Lizenzeinnahmen dieser TV-Shows stammt auch der Grossteil von Selenskis Vermögen. In seiner Erklärung gibt es viele Markenrechte, die keinen angegebenen Wert haben. Es ist zugegebenermassen aber auch schwierig, diese einzuschätzen. Wir haben sie deshalb ausgeklammert.

Es gibt noch weitere Punkte ohne Gegenwert: zum Beispiel hier seine Uhren, wo nur die Marke angegeben wird. Wir haben Bilder von Selenski gesucht, wo er Uhren trägt, so dass wir das Modell und damit den jeweiligen Wert so Pi mal Daumen abschätzen können.

So richtig ins Gewicht fallen die Uhren aber nicht.

Bis hier sind die Schätzungen von 1,5 Millionen realistisch.

Jetzt kommen aber noch Immobilien dazu. Da ist es um einiges komplizierter.

Sie gehören dem Ehepaar nur teilweise oder komplett irgendwelchen Unternehmen.

Hier ein Beispiel: Diese Immobilie steht in der Ukraine. In der Vermögenserklärung heisst es, dass sie dem Unternehmen Aldorante Limited gehört.

Ein wenig weiter unten in der Erklärung findet man dieses Unternehmen erneut: Olena Selenska gehören 2000 Shares.

Wie viele Prozente des Unternehmens das sind, ist auf den ersten Blick unklar. Aber zum Glück gibt es öffentliche Register!

Im Handelsregister von Zypern finden wir dieses Dokument:

Hier sehen wir: Es gibt bei dieser Aldorante Limited nur 2000 Shares. Somit gehört Olena Selenska das ganze Unternehmen. Und damit auch die zugehörigen Immobilien.

Ihr gehören noch mehr Unternehmen, an denen Immobilien hängen. Wie zum Beispiel die San Tommaso SRL. Wir haben uns diese italienische GmbH genauer angeschaut.

Aus der Erklärung von 2019 wissen wir, dass diesem Unternehmen einmal eine Villa in Italien gehört hat. Sie steht in der Toskana und hat einen ungefähren Wert von 4,6 Millionen Euro. In den Jahren nach 2019 fehlt sie aber.

Um herauszufinden, wem die Immobilie jetzt gehört, haben wir im italienischen Grundstücksverzeichnis nachgeschaut. Und siehe da: Die Villa ist noch immer im Besitz dieser San Tommaso.

Und «fun fact»: San Tommaso gehört Aldorante Limited, dem Unternehmen von vorhin. Also den Selenskis.

In der Vermögenserklärung taucht auch eine Liegenschaft in England auf. Wo die sich genau befindet, ist aber unklar.

Die Selenskis haben diese Immobilie in England als «leasehold». Das heisst, sie können die Immobilie für eine bestimmte Zeit nutzen, aber richtig besitzen tun sie die Wohnung nicht.

Auf welchen Zeitraum sich dieses Recht im Fall von Selenski bezieht, konnten wir nicht ausfindig machen. Dabei könnte es sich aber um Jahrzehnte handeln.

Laut dem Korruptionsgesetz muss Selenski alle Liegenschaften angeben, egal, nach welchem Nutzungsrecht er sie besitzt.

Dieses «leasehold» ist aber auch nicht gerade günstig: Inflationsbereinigt hat er für das Nutzungsrecht dieser Wohnung 2 Millionen Dollar gezahlt.

Die ganzen Erkenntnisse rechnen wir jetzt inklusive Inflation grosszügig zusammen. Bis hierher beträgt Selenskis Vermögen etwa 12 Millionen Dollar.

Das Wirtschaftsmagazin «Forbes» hat ebenfalls nachgerechnet: «Forbes Ukraine» schätzt Selenskis Vermögen auf 20 Millionen Dollar.

Nur kurze Zeit später rechnen auch ihre US-Kollegen nach. Sie beziffern den Gesamtwert mit weniger als 30 Millionen.

Mit Selenskis Vermögenserklärung kamen wir aber nur auf 12 Millionen. Aber «Forbes» hat noch andere Dinge dazugerechnet. Zum Beispiel Selenskis Anteile an der TV-Produktionsgesellschaft Studio Kvartal 95, die er mitgegründet hat.

In seiner Vermögenserklärung 2017 hat er diese Anteile noch deklariert. Jetzt schätzt «Forbes» den Wert dieser Anteile auf etwa 11 Millionen Dollar.

Vor seinem Amtsantritt 2019 hat er sie an seine Geschäftspartner überschrieben. «Forbes» ist sich aber sicher, dass er die Anteile nach seiner Präsidentschaft wiederbekommt.

Phew. Schon kompliziert, mit all diesen Unternehmen, Anteilen und Immobilien.

Natürlich hat Selenski schon ein rechtes Vermögen aufgebaut – er war ja einer der bekanntesten Schauspieler der Ukraine. Aber ist das normal, dass das Ganze so kompliziert und verschachtelt ist?

Das Halten von verschiedenen Unternehmensanteilen an sich ist ein Mittel der Diversifikation, also eine Risikoreduzierung bei der Anlage des Vermögens, und nicht per se ein Hinweis auf Wirtschaftskriminalität.

So ungewöhnlich ist das Ganze also gar nicht. Und bei dem Vermögen, welches wir uns bis jetzt angeschaut haben, handelt es sich um rechtmässig verdientes Geld. Selenski hat es grösstenteils bereits vor seiner Präsidentschaft erwirtschaftet und dann angelegt.

Es gibt aber Schätzungen, die weit darüber hinausgehen.

Und dabei schwingen schwere Vorwürfe mit: Es geht um Korruption.

Dass die Ukraine ein Korruptionsproblem hat, ist bekannt.

Selenski stellt sich schon seit Beginn seiner Präsidentschaft als Gegner der Korruption dar. Seit Kriegsbeginn hat er Leiter im Rekrutierungswesen, Dutzende Vizeminister und Gouverneure entlassen.

Verschiedene Quellen behaupten, dass er dabei nur den Scheinheiligen spiele. Er veruntreue selber Millionen oder sogar Milliarden. Dabei soll es um Hilfsgelder gehen, die aus dem Westen geschickt werden.

Also Klartext: Das westliche Geld würde gar nicht an die Front kommen, sondern in Selenskis Tasche fliessen. Das sind sehr schwere Vorwürfe.

Mit dieser Argumentation behaupten diverse Artikel und Social-Media-Posts, dass Selenski ein Vermögen von über einer Milliarde Dollar besitze.

Wir haben die erste Erwähnung dieser Behauptung auf Telegram gefunden. Diese wurde zwei Tage vor der russischen Invasion dort gepostet.

Russische Medien greifen diese Info unmittelbar auf. Seitdem hält sie sich hartnäckig.

Und immer mehr Vorwürfe kommen dazu:

Selenski soll heimlich Luxusjachten, ein riesiges Haus in Miami und eine Villa in Berlin besitzen. Seine Frau soll erwischt worden sein, als sie Millionen bei Shopping-Trips ausgab. Und: Auf einem geheimen Konto in Costa Rica soll er seine Milliarden versteckt haben.

Schauen wir uns das einmal etwas genauer an.

Die Behauptung, dass Selenski diese zwei Jachten gekauft habe, macht auf Social Media als Erstes die Runde. «Lucky Me» und «My Legacy» sollen sie heissen, der Deal sei über zwei seiner Freunde gelaufen.

Die Mediterranean Yacht Brokers Association soll den Verkauf abgewickelt haben. Eine kurze Google-Suche verrät uns aber: Diese Organisation heisst seit 2008 gar nicht mehr so. Seit über 15 Jahren nennt sie sich anders, ein neues Logo verwendet sie seither auch.

Die Dokumentvorlagen für diese Fälschung sind also auch über 15 Jahre alt. Dass man sie 2023 für einen Kaufvertrag noch verwenden würde, ist sehr unwahrscheinlich.

Eine Foto-rückwärts-Suche lässt den Fake endgültig auffliegen: Wenn man nach diesen Bildern sucht, findet man sie auf diesen Websites. Die Jachten sind hier immer noch zum Verkauf ausgeschrieben. Sie gehören Selenski also nicht.

Auf die gleiche Weise kann man auch das Haus in Miami genauer untersuchen. Laut diversen Behauptungen soll es über 20 Millionen wert sein und in Vero Beach, Florida, stehen.

Auch hier finden wir mit einer Foto-rückwärts-Suche das Haus auf einer Auktions-Website. Die «richtige» Villa auf den Fotos steht zum Verkauf – und befindet sich nicht einmal in Vero Beach.

Und Olena Selenska war auch nicht für 1,1 Millionen bei Cartier in New York shoppen. Das wurde in einer Instagram-Story behauptet, die dann über Tiktok weiterverbreitet wurde.

Auf dem Beleg steht als Kaufdatum der 22. September. Olena Selenska war an diesem Tag aber gar nicht in New York, sondern in Kanada – also weit weg von der Cartier-Boutique. Der Instagram-Account, auf dem das Ganze ursprünglich gepostet wurde, ist ebenfalls mehr als unglaubwürdig.

Bei der nächsten Anschuldigung kommt auch noch eine politische Komponente dazu: Selenski soll über die vorhin genannte Film Heritage Incorporated eine Villa in Berlin gekauft haben.

Und zwar nicht irgendeine Villa: Es geht um die Villa Bogensee. Joseph Goebbels, der NS-Propagandaminister, hat sie vor fast einem Jahrhundert gebaut und darin gewohnt.

Hier wird auf ein russisches Narrativ angespielt. Nämlich, dass Selenski ein Nazi sein soll.

Der Kauf soll ihn 8,2 Millionen Euro gekostet haben.

Die Behauptung wird in diesem Video aufgestellt. Der Kanal wie auch die Machart wirken auf den ersten Blick schon etwas dubios.

Diverse Faktenchecks bestätigen uns diesen Eindruck. Die Dokumente sind alle gefälscht. Die Personen, die laut den Papieren beteiligt gewesen sein sollen, wissen davon nichts.

Das ist also klare Desinformation.

Das geheime Konto auf Costa Rica, auf dem Selenski laut der Telegram-Nachricht sein Geld hat, gibt es ebenfalls nicht: Die Dresdner Bank, bei der laut der Behauptung das Geld liegen soll, hat schon seit über zehn Jahren keine Bankenlizenz mehr.

Es ist also meistens recht einfach, die behaupteten Dinge zu entkräften.

Nur weil eine Info auf Social Media viral geht, muss sie noch längst nicht stimmen. Für viele Behauptungen gibt es auch Faktenchecks bei grossen Medienhäusern.

Wenn Offshore-Konstrukte einzig dazu da wären, kriminelle Handlungen zu verfolgen, dann hätten sie schon seit längerer Zeit verboten werden müssen.

Die entscheidende Frage bei der Beurteilung von solchen Konstrukten ist deren Anwendung in der Praxis. Sie können also Stiftungen oder Trusts einsetzen, um Nachfolge- oder Erbfolgeregelungen zu treffen, oder sie aber auch illegal einsetzen, um beispielsweise Steuern zu umgehen.

Grundsätzlich ist es also nicht verboten, Offshore-Unternehmen zu besitzen. Es gibt durchaus auch legitime Gründe für deren Nutzung. Das kann auch bei Selenski der Fall sein. Aber um Milliarden geht es bei diesen Offshore-Konstrukten auf jeden Fall nicht.

Klar ist aber: Selenski hat ein kompliziertes Vermögensportfolio. Und in der Ukraine gibt es Korruption. Das ist ein perfektes Einfallstor für Desinformation. In diesen undurchsichtigen Verhältnissen ist es ein Leichtes, falsche Informationen dazuzudichten. So wirkt die Desinformation schnell plausibel und fällt auf fruchtbaren Boden.

Und diese Desinformation rund um Selenskis Vermögen zielt darauf ab, die westlichen Hilfsgelder infrage zu stellen. Es geht darum, Misstrauen zu säen.

Jetzt schon steht ein grosser Teil der Bevölkerung den Zahlungen kritisch gegenüber. Diese Umfragen aus den USA und Deutschland zeigen das klar, und Desinformation verstärkt diesen Trend nur weiter. Die Falschinformationen erreichen aber nicht nur die normale Bevölkerung, sondern auch Politiker und Entscheidungsträger. Das ist besonders gefährlich.

Hier zum Beispiel der US-Senator Vance, der in einem Podcast auf die Jacht-Gerüchte anspielt:

«There are people who would cut Social Security, throw our grandparents into poverty, why? So that one of Zelensky’s ministers can buy a bigger yacht? Kiss my ass Steve, it’s not happening.»

Diese Falschinformation, die Vance hier aufgreift, ist längst widerlegt.

Vieles weist darauf hin, dass es sich bei all diesen Behauptungen um russische Propaganda handelt.

Denn das grösste Problem ist: Wenn diese Informationen ungeprüft für bare Münze genommen werden, könnten die Bevölkerung und die Politiker des Westens langsam, aber sicher das Vertrauen in Selenski und die Ukraine verlieren. Das könnte sich auf die Zahlungen und Hilfeleistungen auswirken.

Und ohne diese Hilfestellungen des Westens ist klar, dass Russland die Ukraine früher oder später in die Knie zwingen wird.

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