Montag, Dezember 23

Die exklusiven Edelmarken werden zum Opfer ihres eigenen Erfolgs. Kunden wenden sich ab, weil sich zu viele teure Uhren oder Mode leisten können. Jetzt soll der Nimbus des Luxuriösen wiederhergestellt werden.

Der Luxus, abgeleitet vom griechischen Wort Luxuria, bedeutet Verschwendung, Übermut. Für die letzten 25 Jahre trifft das buchstäblich zu: Die Branche hat über die Stränge geschlagen. Abgesehen vom «Lehman-Knick» um 2008 ging es für die Verkäufer von Luxusprodukten nur immer aufwärts. Immer mehr Menschen wollten an Luxus teilhaben, alle sollten luxuriös leben und dank Statussymbolen glücklich werden. Mit der richtigen Handtasche, so das Versprechen, steht dem sozialen Aufstieg nichts mehr im Weg.

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Die Luxusgüterindustrie öffnete sich darum neuen Käuferschichten. Von «aspirational customers», ehrgeizigen Kunden, war nun die Rede, die für rasches Wachstum sorgten. Das «alte Geld» interessierte die Unternehmen dagegen kaum noch. Es mussten junge Rapper, Influencer, Pop-Sternchen und It-Boys her. Egal, wenn die nicht wussten, was für Visionäre Cristobal Balenciaga, Christian Dior, Hubert de Givenchy, Pierre Balmain oder Gianni Versace gewesen waren: Es zählte nur das Logo, und das musste möglichst gross sein.

Der Luxus der letzten Jahre war auf den schnellen Effekt bedacht, musste in der ständig bewegenden Timeline von Instagram rasch hervorstechen und entsprechend plakativ gestaltet sein. Dazu gehören die surrealen Entwürfe von Loewe oder Gucci – da steckten Skateboards in Pullovern oder trugen Models ihre eigenen Köpfe über den Laufsteg – oder die dystopische Endzeit-Ästhetik von Balenciaga oder Prada. Alles war laut und exzentrisch, praktischer Nutzwert oder Tragbarkeit interessierten kaum mehr.

Links: Gucci, 2018 in Mailand. Rechts: Balenciaga in Paris, 2022.

Louis Vuitton made in China

Doch steckt die Branche in der Krise. Der Glanz der scheinbar exklusiven, tatsächlich aber massenhaft produzierten Luxusartikel verblasst. Weil man den Bogen überspannt hat. Luxus ist zur Karikatur seiner selbst geworden, mit leicht erkennbaren Markenartikeln, die niemand mehr will. Es herrscht eine «luxury fatigue»: Luxusmüdigkeit. LVMH, Kering, Richemont – fast alle grossen Firmen bekommen dies zu spüren.

Der Ballon, der sich immer weiter aufgebläht hat, verliert Luft. Prognosen schätzen die Zahl der neu gewonnenen Kunden, die sich wieder aus dem Luxusmarkt zurückziehen, auf weltweit über 50 Millionen pro Jahr. Sogar die Chinesen begehren keine Statussymbole mehr. Und junge Leute begnügen sich inzwischen mit gefälschten Luxusartikeln. Eine Louis-Vuitton-Tasche made in China ist für viele kaum mehr vom Original zu unterscheiden.

Die Krise hat sich angekündigt. 2007 schrieb die amerikanische Journalistin Dana Thomas in ihrem Buch «Deluxe – How Luxury Lost Its Luster» (Wie der Luxus seinen Glanz verloren hat), wie aus kleinen, nur wenig bekannten Edelherstellern die heutigen Luxusmarken gewachsen sind. Diese gehören den reichsten Männern der Welt, die nur ein Ziel haben: den Gewinn zu steigern.

Thomas ortet ein Problem für den Bedeutungsverlust des Luxus in seiner Demokratisierung: Je mehr Menschen die Markenmode tragen, desto weniger exklusiv und attraktiv wird sie. «Die ‹Massifizierung› des Luxus macht das Besondere alltäglich, und das ist das Gegenteil von dem, was Luxus sein sollte», sagt Thomas im Gespräch.

Preis einer Chanel-Tasche hat sich verzehnfacht

Der Preis vieler Luxusprodukte ist inzwischen komplett von ihrem realen Wert entkoppelt. Dieser Wert bemisst sich aus Material- und Herstellungskosten sowie einer Handelsmarge. So kostet die «2.55»-Handtasche von Chanel heute gut das Zehnfache dessen, was sie bei ihrer Lancierung 1955 gekostet hat – umgerechnet rund 1000 Franken zahlte man damals dafür.

Das «Wall Street Journal» berichtete im Sommer, dass die Firma Dior ihrem italienischen Hersteller für eine Handtasche, die im Laden gut 2500 Franken kostet, nur gerade 53 Euro zahlt. Der Bericht stützte sich auf eine Untersuchung der Mailänder Staatsanwaltschaft.

Die Luxusmarken versuchen zum einen also mit Preissteigerungen aus der Krise zu kommen: So soll die neu gewonnene Kundschaft wieder abgehängt werden. Zum andern wollen sie die alte reiche Kundschaft zurückgewinnen. Dies soll etwa mit Marken-Suiten in exklusiven Hotels geschehen, in denen auserlesene Kunden diskret einkaufen können, ohne dass sie beobachtet werden von Leuten, die so sein wollen wie sie. So wird der Wert eines Luxusartikels wieder stärker betont, statt dass er bloss den Status erhöht.

Zuschauen, wie etwas entsteht

Manche Marken wiederum machen handwerkliche Prozesse sichtbarer: Sie veranstalten öffentliche Schauen, wo man zusehen kann, wie ein Kleid oder ein Paar Handschuhe entstehen. Man sieht, wie viel Zeit, Können und Sorgfalt darin steckt. So verstehen potenzielle Käufer eher, warum etwas so teuer ist und so rar.

Eine Folge der ganzen Entwicklung ist das Phänomen «quiet luxury»: ein Luxus, der nicht sofort als solcher erkennbar ist, sondern eine stille, zurückhaltende Strahlkraft hat. Marken, die diesen Wandel geschafft haben, sind so in den Luxusbereich vorgestossen. Sie stellen das her, was ursprünglich die Kernaufgabe der Luxusmarken war, nämlich zeitlose, qualitativ hochwertige und diskrete Ware von hervorragender Machart.

Viele Leute, gerade wenn sie Geld für Luxusartikel ausgeben, orientieren sich stärker denn je an einem ethisch-moralischen Kompass. Sie wollen sich etwas leisten und darüber hinaus sich gut fühlen dabei. Das, was sie schliesslich in den Händen halten, soll nicht nur oberflächlich edel, sondern auch inhaltlich wertvoll sein.

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