Die Festnahme des stellvertretenden Verteidigungsministers rückt den überaus ausschweifenden Lebensstil und die Heuchelei der russischen Elite ins Rampenlicht. Mehr als ein Signal ist es aber nicht.
Timur Iwanow hatte keine Zeit gehabt, seine Uniform abzulegen. So stand er am Mittwochmorgen mit einem Generalsstern an den Schulterklappen im Glaskäfig eines Moskauer Bezirksgerichts und senkte den Blick, als die Richterin ihn für zwei Monate in Untersuchungshaft schickte. Das entsprechende Video verbreitete später der Mediendienst des Gerichts. Die Staatsanwaltschaft wirft ihm und mindestens einem weiteren Verdächtigen Käuflichkeit in besonders grossem Umfang im Rahmen einer dafür gebildeten kriminellen Vereinigung vor. Er bestreitet die Annahme von Geld.
Iwanow war an seinem Arbeitsplatz im Verteidigungsministerium festgenommen worden. Er ist einer der Stellvertreter des russischen Verteidigungsministers Sergei Schoigu und einer von dessen langjährigen, engen Wegbegleitern. Und der 48-Jährige ist die Hauptperson in einer Geschichte von sagenhafter Bereicherung in Millionenhöhe in der russischen Elite, die auch einer Seifenoper entstammen könnte.
Erstaunlich an den Korruptionsvorwürfen gegen Iwanow ist eigentlich nur der Zeitpunkt. In zwei Wochen wird Wladimir Putin zum fünften Mal als Präsident vereidigt werden und es steht eine Regierungsumbildung bevor. Und nun liegt über dem im Krieg gegen die Ukraine glücklosen Schoigu auch der Schatten des Verfahrens gegen Iwanow. Das muss nicht viel bedeuten, zumal über die Günstlingswirtschaft des Ministers selbst ebenfalls wenig Schmeichelhaftes bekannt ist.
Zuständig für den Wiederaufbau von Mariupol
Iwanow, ursprünglich Mathematiker, hatte zunächst jahrelang in der Energiebranche gearbeitet. 2012 machte ihn Schoigu, damals Provinzgouverneur in der Moskauer Region, zu einem stellvertretenden Regierungschef; beim Wechsel ins Verteidigungsministerium ernannte ihn Schoigu zum Leiter eines dem Ministerium gehörenden Bauunternehmens. 2016 stieg Iwanow zum Vizeverteidigungsminister auf, wo er zuständig für alle Bauprojekte der Armee ist. Den Generalsrang bekam er zugesprochen, denn er ist eigentlich ein Zivilist.
Breitere Bekanntheit im Amt erlangte Iwanow, weil er den «Park Patriot» mit der Kathedrale der Streitkräfte verantwortete. Die in eklektizistischem Stil und zum Teil unter Verwendung von Kriegstrophäen gebaute orthodoxe Kirche in der Anlage ausserhalb Moskaus trägt Züge von Grössenwahn. Mosaiken zeigen unter anderem Wladimir Putin, und als Besonderheit sind eine Uniform und ein Helm Hitlers ausgestellt. Iwanow wurde 2022 ausserdem zum Verantwortlichen für den Wiederaufbau der von der russischen Armee zerstörten ukrainischen Stadt Mariupol. Stolz verkündete er in Fernsehsendungen, wie lebenswert die Stadt wieder aufgebaut werde. Subunternehmer des Ministeriums sind dort gross im Geschäft.
Im Luxus schwelgen
Der Ein-Stern-General im Glaskäfig ist aber noch aus einem anderen Grund ein Schlag ins Gesicht für Schoigu und manch andere Mitglieder der sogenannten Elite, die auch angesichts des Krieges unbekümmert in Saus und Braus lebt. Am Beispiel von Iwanow und dessen zweiter sowie dritter Ehefrau hatte Alexei Nawalnys Stiftung zur Bekämpfung der Korruption Ende 2022 und im Sommer 2023 zwei ausführliche Recherchen zum Luxusleben höchster Funktionäre veröffentlicht.
Die Enthüllungen, die auf gehackten E-Mails von Iwanows zweiter und dritter Ehefrau beruhen, zeigen nicht nur, welch glamouröses Leben zwischen Côte d’Azur, Paris und russischen Stadt-, Vorstadt- und Landvillen sich russische Funktionäre auf wundersame Weise leisten können. Auch die Verflechtungen zwischen privaten Bauprojekten und Anschaffungen sowie Subunternehmen des Verteidigungsministeriums werden offenbar: Was Iwanows zweite Ehefrau Swetlana an exquisiten Einrichtungsgegenständen bestellte und was das Paar bauen liess, ging demnach regelmässig zu Lasten dieser Baufirmen, die später wiederum in Mariupol beschäftigt wurden.
Hunderttausende Euro gaben die Iwanows für die Miete von Ferienhäusern und Mittelmeer-Jachten aus, für mehrere Rolls-Royces, die Hobbys der Kinder, exzessive Geburtstagsfeiern und andere Partys. Ein enger Freund Iwanows und ständiger Gast an dessen Partys war Putins Sprecher Dmitri Peskow. Die Anwesen auf dem Land und in der Stadt gehören Firmen, deren Besitzer offiziell der Fahrer der Familie sein soll.
Geradezu einer Seifenoper entsprungen scheint Iwanows fliegender Wechsel von Swetlana zur dritten Ehefrau Maria Kitajewa, einer zur Generalmajorin der Armee beförderten früheren Fernsehjournalistin. Diese hat aus einer nie öffentlich gemachten Beziehung zu einem anderen Vizeverteidigungsminister drei Kinder und lebt ein ähnlich ausschweifendes Leben wie Swetlana.
Die Beträge für Luxus, die aufgrund des geleakten E-Mail-Verkehrs eindeutig den Frauen zugeordnet werden können, stehen in keinem Verhältnis zum regulären Einkommen Timur Iwanows, Maria Kitajewas und des Vaters von deren Kindern.
Jahrelang die Augen zugedrückt
Nawalnys Mitstreiter sprechen zu Recht davon, dass sich diese frivole Elite wie ein neuer Adel verhält. Gewissensbisse angesichts des Kontrasts zum Durchschnittsleben in Russland und zum propagierten Kampf gegen den «sündigen Westen» haben diese «Diener des Staates» nicht. Und der Kreml liess sie jahrelang gewähren.
Bleibt es nur bei einem Verfahren gegen Iwanow, wäre das höchstens ein Tropfen auf den heissen Stein. Die Mehrheit der Bevölkerung macht angesichts der grassierenden Korruption ohnehin die Faust in der Tasche.