Das Bundesamt für Gesundheit hat eine neue Kampagne lanciert, um die Verbreitung von sexuell übertragbaren Krankheiten einzudämmen. Doch die Präventionsbeamten haben vergessen, wie sie einst die Jungen erreichen konnten.
Ein Mann und eine Frau beim Zelten im Wald. Ein Mann beim Beziehen des Betts. Eine Frau beim Schminken und ein Mann beim Posieren vor dem Spiegel: Ready? Willkommen zur neuen Präventionskampagne des Bundesamts für Gesundheit! Die Sujets sollen auf den Schutz vor sexuell übertragbaren Infektionen aufmerksam machen. Nicht nur vor HIV oder Hepatitis B und C, sondern auch vor Ansteckungen, die weniger bekannt sind, aber in den vergangenen Jahren dramatisch viel häufiger registriert worden sind als früher: Im Jahr 2022 meldeten die mikrobiologischen Labors des Landes über 5000 Fälle von Gonorrhö, über 13 000 Fälle von Chlamydien – und über 1000 Fälle von Syphilis, einer Uralt-Lustseuche. Experten gehen von einer hohen Dunkelziffer aus.
Und so fokussiert das BAG nun auf «persönliche, risikobasierte Schutz- und Testempfehlungen», die man auf der Website von «Love Life» (wie die nationale Kampagne seit 2005 heisst) in Erfahrung bringen kann: «Mach deinen Safer-Sex-Check», lautet das Motto, danach sei man «ready» für Sex. Wie wichtig die «Sensibilisierung» noch immer ist, belegt das BAG gleich selbst – mit einer repräsentativen Umfrage zum Thema «Safer Sex»: Fast 80 Prozent der Befragten wissen laut dieser Bescheid über HIV, aber weniger als 50 Prozent über die restlichen sexuell übertragbaren Infektionen. Aufklärung tut also not, zumal das Kondom nicht vor allen Ansteckungen gleich zuverlässig schützt.
Doch hier beginnt nicht nur die Kampagne, sondern auch ihr Problem: Sie ist in ihrer ganzen Bravheit ein Abbild des hypersensiblen Zeitgeists. Und damit eine Abkehr des alten Erfolgsprinzips, um das uns die Gesundheitsbehörden anderer Länder jahrzehntelang beneidet haben: Werbung als Wagnis – direkt, anzüglich, provokativ.
Rüssel mit Schnupfen
Los ging es Mitte der 1980er Jahre mit der Bekämpfung der Aids-Epidemie, später als anderswo, dafür mit Wumms. Das Logo «Stop Aids» war 1987 zugleich genialer Slogan, und mit dem aufgerollten rosa Kondom wurde fortan jedes o-haltige Wort zur potenziellen Präventionsbotschaft: «ok», «bravo» oder «tonight». Das war im besten Sinn Anleitung zur Eigenverantwortung in einem Tabubereich.
Die Kampagnen lösten Staunen und Entsetzen aus. Die Plakate von Schweizer Städten mit Kondom als Vollmond am Nachthimmel ärgerten den Bürgermeister von Lugano so sehr, dass er sie verbot – mit der Begründung: «Im katholischen Tessin gibt es kein Aids.» Um den katholischen Gesundheitsminister Flavio Cotti zu besänftigen, wurden sogar Sujets angepasst: Statt Pariser-O gab es den Ehering – «Bliib treu, Stop Aids». Derweil sang Polo Hofer im offiziellen Kampagnensong: «Bim Siitesprung im Minimum e Gummi drum.»
Jede neue Kampagne des Bundesamts für Gesundheit sorgte für Schlagzeilen. Angefangen beim «Tagesschau»-Sprecher Charles Clerc, der sich 1987 bei der Anmoderation des Stop-Aids-Beitrags ein Präservativ über den Mittelfinger rollte und sagte: «Dieses kleine Ding kann also über Leben und Tod entschieden. Daran ändern weder erotische noch ästhetische oder moralische Bedenken etwas.» Über diesen Auftritt berichteten wiederum Zeitungen in der ganzen Welt.
Aus Slogans wurden geflügelte Worte: «ohne Dings kein Bums» oder – aus dem TV-Spot mit Banane und Kondom – «röllele, röllele, röllele». Selbsternannte Sittenwächter liefen regelmässig Sturm, etwa als 1994 auf Plakaten sexfreudige Menschen im Grünen gezeigt wurden, unter ihnen ein schwules Paar. Später kamen splitternackte Fechter und Eishockeyspieler als Sujet hinzu («Hier schützt man sich ja auch») oder belustigende Botschaften im öffentlichen Verkehr: «Mein Rüssel hat Schnupfen» oder «Buschbrand in der Bikinizone». Kirchliche Kreise zogen wegen einer Kampagne mit expliziten Sexszenen sogar bis vor Bundesgericht. Das höchste Gericht entschied schliesslich: Es sei keine Pornografie. In Bundesbern stapelten sich über die Jahre die Vorstösse, die den «Präventionswahnsinn» stoppen – oder zumindest die Millionenbudgets kürzen wollten.
Hochgesteckte Ziele
Es war immer Gratiswerbung. Oder wie es der der legendäre BAG-Direktor Thomas Zeltner einmal in einem Interview mit der NZZ formulierte: «Wir haben die Kampagnen so gestaltet, dass sie nicht verboten wurden, aber eine öffentliche Debatte auslösten und von den Medien multipliziert wurden.»
Der Erfolg gab dem BAG recht: Die Anzahl der HIV-Infektionen sank kontinuierlich und fiel auf unter 500 Fälle pro Jahr. Auch die Zahlen für Hepatitis B und C sind seit über 20 Jahren rückläufig. Möglich machten das nicht nur die Fortschritte in der Medizin, sondern eben auch die flächendeckende und kontinuierliche Information, die das Thema «Safer Sex» wachhielten.
Das ambitionierte Ziel, das das BAG am Donnerstag mit der Kampagne «Ready!» verkündet hat: «Bis 2030 soll es in der Schweiz zu keinen neuen Übertragungen von HIV sowie des Hepatitis B- und C-Virus mehr kommen, und die Ansteckungen mit anderen sexuell übertragbaren Infektionen sollen sinken.» Ob das mit einer komplizierten Kampagne, die im ersten Jahr 1,2 Millionen Franken kostet, gelingen kann? Immerhin sind die Videos, die im Fernsehen und im Internet zu sehen sein werden, etwas lustvoller als die Plakate. Ein bisschen Sex sowie Bilder, die rückwärts laufen. Aufregen wird auch das niemanden mehr.