Mittwoch, Oktober 2

Die UBS wehrt sich gegen strengere Kapitalvorschriften aus Bern – vorerst noch vorsichtig. Ein aggressives Vorgehen könnte ihr schaden. Wie die Strategie der Bankspitze um Sergio Ermotti aussieht.

Zur Kunst der Verhandlung gehört auch, zur richtigen Zeit gezielt Verwirrung zu stiften. Habe ich mich verhört? Sprechen wir vom gleichen? Oder baut mir mein Gegenüber gerade eine Brücke zum Kompromiss? Gewiefte Verhandler können mit nur einem Zug den Kontrahenten destabilisieren und so ihrem Ziel ein Stück näher rücken.

Was also hat es mit der Zahl auf sich, die der UBS-Konzernchef Sergio Ermotti diese Woche en passant in den Raum gestellt hat?

Die Grossbank hat am Dienstag ausgezeichnete Quartalsergebnisse vorgelegt und sich nach etwas mehr als einem Jahr der staatlich beförderten Übernahme der Credit Suisse (CS) in bestem Licht präsentiert. Die UBS-Aktie machte an diesem Handelstag einen Sprung nach oben.

Und doch wandte der Bankchef Ermotti einen bedeutenden Teil seiner Zeit, die er an diesem durchgetakteten Tag für Medienvertreter und Finanzanalysten eingeplant hatte, für ein Thema mit wenig Sex-Appeal auf: die Kapitaldecke der UBS. Fast 20 Milliarden Dollar an Eigenkapital baue man derzeit auf, rechnete Ermotti vor.

Dies sei zum einen auf künftige, weltweit gültige Vorgaben zurückzuführen («Basel III»). Zum andern bedinge auch die Integration der CS-Gesellschaften eine üppigere Kapitalausstattung.

Die Analysten verfielen denn auch nicht in uneingeschränkte Kauflaune, und einige schrieben skeptische Kommentare. Das «regulatorische Umfeld» bleibe unsicher, hiess es etwa von Keefe, Bruyette & Woods. Man sei nicht klüger geworden in der Frage, was die Bank nun erwarte.

Der Hintergrund: Auch das Finanzdepartement hat Handlungsbedarf in Sachen Eigenkapital angemeldet. Bundesrätin Karin Keller-Sutter stellte im April auf einer anderen Basis ebenfalls eine Zahl in den Raum. Sie sprach implizit von 15 bis 25 Milliarden Franken.

In Finanzkreisen weiss jetzt niemand, wie viel Kapital die UBS noch aufbauen muss. Muss die UBS zusätzlich zu ihren 20 Milliarden noch einmal 15 bis 25 Milliarden an Eigenkapital äufnen? Oder sind Ermottis 20 Milliarden ein Verhandlungsangebot an Keller-Sutter?

Ein Zahlenstreit entsteht

Dass die UBS, die einzige der Schweiz verbliebene Grossbank, sicherer werden muss, gilt in der Schweizer Politik seit dem Untergang der CS als ausgemacht. Ebenso klar ist, dass die UBS, sollte sie in ernste Nöte geraten, nicht mehr vom Staat gerettet werden darf, sondern dass ihr Geschäft abgewickelt werden kann.

Im April hat Bundesrätin Karin Keller-Sutter den Bericht des Bundesrats präsentiert, wie die Bankenregulierung in Zukunft aussehen soll. Eine vermeintliche Randnotiz – und das ist der Auslöser für den Zahlenstreit – löste bei der UBS und im Markt Unruhe aus: Die Regel, mit wie viel Eigenkapital das Stammhaus der Bank seine Tochtergesellschaften im Ausland absichern muss.

Bisher erhielten die Grossbanken einen Rabatt. Sie mussten für diese Auslandsbeteiligungen bloss 60 statt 100 Prozent Eigenkapital halten. Die CS hatte diesen Rabatt in der Vergangenheit so sehr ausgereizt, dass es ihre Handlungsfähigkeit im Überlebenskampf ab Herbst 2022 einschränkte.

Bis jetzt müssen Banken ihre Auslandtöchter nicht voll mit Eigenkapital unterlegen

Künftig soll die UBS weniger oder gar keinen solchen Rabatt mehr erhalten. Das heisst, sie muss mehr Eigenkapital aufbauen. Wie viel das genau sein wird, weiss niemand, weil es auf den Wortlaut der entsprechenden Verordnung ankommt. Diese ist aber noch nicht ausgearbeitet. Der Bundesrat wird seinen Entwurf wohl erst Anfang 2025 vorstellen.

Künftig sollen die Beteiligungen bis zu 100 Prozent mit Eigenmitteln gedeckt sein

Künftig sollen die Beteiligungen bis zu 100 Prozent mit Eigenmitteln gedeckt sein

Dass nun trotzdem schon eine Zahl im Raum steht, geht auf ein Statement von Keller-Sutter im «Tages-Anzeiger» zurück. Dort bestätigte die Finanzvorsteherin Schätzungen von Analysten, wonach die UBS in der Folge dieser Regelung wohl zwischen 15 und 25 Milliarden Franken an Eigenkapital aufbauen muss.

Ein Vorgang, der bei der Bankspitze dem Vernehmen nach Bestürzung auslöste. Denn gerechnet hat das Finanzdepartement noch nicht. Und trotzdem hat sich in den Köpfen die Spanne 15 bis 25 Milliarden festgesetzt. Sie ist ein Anker, eine Basis, welche die Einschätzungen prägen wird, ob der Bundesrat die UBS zu hart anfasst oder zu leicht davonkommen lässt.

Eine Art verdecktes Angebot

Wenn solche Zahlen einmal publik sind, beeinträchtigen sie den Verhandlungsspielraum beider Seiten. Auch die UBS, die sich über Wochen nicht zur Abschaffung des Tochter-Rabatts geäussert hat, weiss um deren Bedeutung.

Wohl auch um das Heft wieder in die Hand zu bekommen, hat Ermotti eine eigene Zahl vorgelegt: Fast 20 Milliarden Dollar, welche die UBS wegen anderer Verschärfungen der Regeln aufbaue und weil sie gewisse andere CS-Rabatte nicht weiterführe.

Darüber hinaus könne er nicht spekulieren, was die neuen Pläne des Bundesrats für die UBS bedeuten würden, sagte Ermotti, auch weil die Bank im Konsultationsprozess zum bundesrätlichen Bericht nicht involviert gewesen sei.

Der UBS-Chef betonte aber noch einmal die Bedeutung seiner Bank als Arbeitgeberin, Steuerzahlerin sowie als Kreditgeberin für Schweizer Firmen und Privatpersonen. Er sei weiter hoffnungsvoll, dass eine «verhältnismässige Lösung» gefunden werde.

Rhetorisch ist das Vorgehen geschickt. Ermotti nimmt mit der «Verhältnismässigkeit» einen Kernbegriff aus dem Bericht des Bundesrats auf. Und er versucht den Vorschlägen den Wind aus den Segeln zu nehmen, nicht, indem er sie für untauglich erklärt, sondern indem er darauf hinweist, dass die UBS sie ja erfüllen will – nur halt auf eine bessere Art und Weise.

Die Bank weiss, dass sie diese Partie mit einem ungestümen Vorgehen nicht gewinnen, aber verlieren kann. Vorerst will die UBS den Verhandlungsspielraum nicht weiter verkleinern und gibt sich vorsichtig.

Das Dümmste, das der Bank passieren könnte: Sie äufnet 20 Milliarden an zusätzlichem Eigenkapital – und wird dann vom Bund noch einmal zu 15 bis 25 Milliarden verdonnert. Dies liesse den Schweizer Steuerzahler möglicherweise ruhiger schlafen. Es könnte die Bankspitze um Ermotti – die UBS ist die global führende Vermögensverwalterin – im weltweiten Wettbewerb benachteiligen.

Das Finanzdepartement äussert sich auf Anfrage nicht zu den von Ermotti erwähnten 20 Milliarden Dollar. Es schreibt jedoch: Die im Bericht zur Bankenstabilität vorgeschlagenen Massnahmen «sind neu und zusätzlich zu den bereits geltenden». Ob es zu «kompensatorischen Effekten mit anderen Kapitalmassnahmen kommen könnte», stehe noch nicht fest.

Mit anderen Worten: Es besteht durchaus noch Spielraum, in dem Bund und Bank sich finden können. Gut möglich, dass Ermotti mit den 20 Milliarden eine Art verdecktes Angebot abgegeben hat, auf das Keller-Sutter dereinst eingehen kann.

Härte zeigen, Angriffsfläche verringern

Das Problem: Zwar wollen Bundesrat wie UBS, dass die Öffentlichkeit die CS-Rettung 2023 als Erfolg wahrnimmt. Aber in der Frage, ob die Bank nun mehr Eigenkapital braucht oder nicht, verfügen die beiden Seiten über unterschiedliche Interessen – weil sie unterschiedliche Interessengruppen berücksichtigen müssen.

Finanzministerin Karin Keller-Sutter will verhindern, dass die UBS jemals wieder auf Staatshilfe angewiesen ist. Zudem muss sie auf die Stimmung der Öffentlichkeit reagieren. Der CS-Niedergang ist zwar aus den Schlagzeilen verschwunden, doch hat sich in der Bevölkerung der Glaube festgesetzt, dass für Banken in Bern immer ein paar Milliarden bereitliegen, wenn sie in Probleme geraten.

Keller-Sutter hat zwar am Abend der Rettung 2023 und danach meist den richtigen Ton getroffen. Doch steht sie als Freisinnige besonders unter Beobachtung, da Linke und SVP der FDP noch immer gern das Etikett der «Bankenpartei» anhängen wollen.

Der UBS-Chef Sergio Ermotti hat eine ganz andere Zielgruppe im Nacken: Er steht unter dem Druck seiner Aktionäre. Kurz nach der Notübernahme der Credit Suisse im März 2023 waren sie noch nicht überzeugt, dass der Deal ihre Bank besserstellen wird.

Erst als sich die Analysten davon überzeugt hatten, dass die UBS mit der CS auch viel gesundes Geschäft günstig kaufte, besserte sich die Stimmung. Die UBS-Aktie legte in einem Jahr von 17 auf bis zu 28 Franken zu.

Die Bank befeuerte den Optimismus der Börsianer, indem sie eine höhere Dividende und immer höhere Aktienrückkäufe für die kommenden Jahre ankündigte. Wenn sie nun aber Dutzende von Milliarden an Eigenkapital äufnen muss, ist es mit dem Geldsegen vorbei.

So entwickelt sich der Aktienkurs der UBS

Aktienkurs der UBS, Tagesschlusskurse in Franken

1

CS-Übernahme wird vollzogen (12. Juni 2023)

2

Rückgabe der Staatsgarantie (11. August 2023)

3

Entscheid Integration CS Schweiz (31. August 2023)

4

Präsentation der Finanzergebnisse 2023 (Februar 2024)

5

Too-Big-Too-Fail-Vorschläge des Bundesrats (April 2024)

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