Mittwoch, Oktober 9

Noch bevorzugen die Betreiber europäischer Windkraftwerke einheimische Ausrüster. Doch die mächtige chinesische Konkurrenz hält Ausschau nach neuen Absatzmärkten. Dies verunsichert auch den Schweizer Zulieferer Gurit.

Windräder sind für viele hässliche Ungetüme. In der Schweiz hat die Windkraft vor allem wegen Sorgen um das Landschaftsbild denn auch noch immer einen schweren Stand. Doch in den meisten europäischen Ländern hat sie längst einen festen Platz in der Stromversorgung gefunden.

In Deutschland beispielsweise stammten im ersten Quartal dieses Jahres 39 Prozent des ins Netz eingespeisten Stroms von Windkraftwerken. Damit erreichte die Windkraft mit Abstand den höchsten Anteil. Die beiden nächstgrösseren Energiequellen, Kohle und Erdgas, waren für 23 beziehungsweise für 16 Prozent des Strommix verantwortlich.

Mehr als 250 europäische Fabriken

Anders als bei der Solarenergie, die sich in Europa ebenfalls wachsender Beliebtheit erfreut, sind es zudem nicht chinesische, sondern nach wie vor westliche Hersteller, welche die Anlagen mit ihrer Technologie ausstatten. Der dänische Konzern Vestas beherrscht das Geschäft mit der Ausrüstung von Windkraftanlagen in Europa zusammen mit dem spanisch-deutschen Unternehmen Siemens Gamesa (Tochterfirma von Siemens Energy). Die Dritte im Bunde ist die Offshore-Windkraft-Sparte des amerikanischen Industrieriesen General Electric, deren Sitz sich in Frankreich befindet.

Diese Anbieter betreiben zusammen mit einer grossen Zahl von Zulieferern ein engmaschiges Produktionsnetz. Laut Branchenangaben gibt es in Europa mehr als 250 Fabriken für Turbinen und weitere Komponenten für Windkraftanlagen.

Zugleich herrscht weitherum die Befürchtung, dass der europäischen Industrie der Windkraftanlagen-Ausrüster dasselbe Schicksal blühen könnte wie den einst hoffnungsvollen, primär in Ostdeutschland domizilierten Herstellern von Photovoltaikanlagen. Wie diese könnten die Anbieter von Konkurrenten aus China überrannt werden. Zur Erinnerung: Im Reich der Mitte haben die Kapazitäten für die Produktion von Solarpanels ein enormes Übermass angenommen. Schätzungen gehen davon aus, dass die chinesischen Produktionskapazitäten mehr als das Doppelte dessen betragen, was weltweit zurzeit pro Jahr an Photovoltaikanlagen installiert wird. Die Hersteller erhalten oft hohe staatliche Subventionen.

Grossauftrag für Ming Yang

Sorgen um Überkapazitäten werden auch an den Schweizer Zulieferer von Windkraftanlagen-Herstellern Gurit herangetragen. Am Montag fragte ein Analyst der UBS das Management bei der Präsentation des Halbjahresergebnisses, ob die Betreiber europäischer Windparks in Zukunft verstärkt auf chinesische Ausrüster setzen könnten. Der Branchenbeobachter verwies auf das Beispiel von Finanzinvestoren, die bei der Projektierung eines Windparks vor der deutschen Küste den chinesischen Turbinenhersteller Ming Yang berücksichtigt hätten. Er erwarte in den nächsten zwei bis drei Jahren in Europa keine grossen Auswirkungen, antwortete ihm Mitja Schulz, der Chef von Gurit.

Eine Analystin wollte vom Management wissen, ob es denn realistisch sei, dass chinesische Konkurrenten im grossen Stil Windblätter auf Vorrat produzieren und damit dereinst Jahr für Jahr den europäischen Absatzmarkt überschwemmen könnten. Schulz räumte ein, dass Hersteller von Windkraftanlagen aus China und ihre einheimischen Zulieferer schon heute mit Überkapazitäten konfrontiert seien. Dies führe dazu, dass es einen starken Preisdruck gebe.

Allerdings fehlen solchen Unternehmen nach Einschätzung des Konzernchefs von Gurit noch die Möglichkeiten, um Kunden in Europa in der Wartung der Anlagen zu unterstützen. Die chinesischen Anbieter waren bis anhin damit beschäftigt, ihren riesigen Heimmarkt zu bedienen. Laut Schulz entfallen noch immer rund zwei Drittel der weltweit installierten Windkraftanlagen auf die Volksrepublik.

Brückenkopf Marokko

Wie Javier Perez-Freije, der Finanzchef von Gurit, im Gespräch mit der NZZ ergänzte, sind für chinesische Hersteller die hohen Transportkosten ebenso wie Strafzölle Hindernisse bei Exportgeschäften. Perez-Freije erwartet denn auch eher, dass chinesische Konkurrenten erst Produktionskapazitäten in einem benachbarten Niedriglohnland wie Marokko aufbauen, ehe sie im grossen Stil Kunden in Europa zu beliefern versuchten. «Ähnliche Entwicklungen hat man bei der Produktion von Autoteilen gesehen, bei der Marokko ebenfalls als Brückenkopf für Geschäfte chinesischer Firmen in Europa dient.»

Auf die Frage, ob sich in der Herstellung von Windkraftanlagen ähnliche Überkapazitäten wie in der Solarbranche gebildet hätten, wollte der Finanzchef nicht eingehen. Er habe keine Schätzungen dazu. Er könne lediglich bestätigen, dass die Werke branchenweit nicht ausreichend ausgelastet seien.

Auch Gurit bleibt davon nicht verschont. Das Traditionsunternehmen, das 1835 von Georg Philipp Heberlein in Wattwil als Textilfärberei gegründet worden war und im Laufe der Zeit in verschiedene andere Branchen wie die Gummi-, die Chemiefaser- und die Klebstoffherstellung diversifiziert hatte, war jüngst erneut von sinkenden Einnahmen betroffen. In der ersten Hälfte dieses Jahres sank der Umsatz um 13 Prozent auf 214 Millionen Franken. Beim Konzernergebnis resultierte lediglich eine schwarze Null.

Gurit hat in der Schweiz kaum noch Mitarbeiter

Das Management machte dafür neben dem Preisdruck hausgemachte Probleme bei westlichen Windkraftanlagenbauern geltend. So hatten Qualitätsmängel bei Onshore-Anlagen Siemens Energy im vergangenen Jahr derart in Schieflage gebracht, dass der Konzern eine Bürgschaft des deutschen Staates in Höhe von 7,5 Milliarden Euro beanspruchte. Auch sonst lief es 2023 für die Branche mangels Bestellungen miserabel. Dies lässt sie im Einkauf von Komponenten sowie bei der Entwicklung neuer Produkte offenbar noch immer auf die Bremse stehen. Und darunter leidet auch der Zulieferer Gurit, der als Spezialist für die Verarbeitung von Leichtbaumaterialien zu zwei Dritteln von Geschäften mit Ausrüstern von Windkraftanlagen lebt.

Trotz seiner langen Geschichte, die von manchen Hochs, mehr noch aber von Tiefschlägen geprägt war, weist der Industriekonzern Gurit kaum noch schweizerische Züge auf. In Wattwil befindet sich lediglich noch der juristische Sitz, produziert wird in der Schweiz seit Jahren nichts mehr. Von den weltweit knapp 2800 Mitarbeitenden sind nur 20 – in der Firmenzentrale in Zürich Oerlikon – verblieben.

Der starke Kostendruck in der Branche zwingt das Unternehmen, verstärkt auf Niedriglohnländer auszuweichen. Die Produktion im Werk im dänischen Middelfart, das erst vor gut zwei Jahren im Rahmen einer Akquisition zu Gurit gestossen war, wird an bestehende Standorte in Indien und in China verlagert. In Indien beschäftigt Gurit bereits 660, in China 740 Mitarbeiter. In Dänemark verlieren nun 80 bis 90 Personen ihre Stelle.

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