Sonntag, Oktober 6

Das spanische Label machte sich mit seinen hektischen Mustern und fröhlichen Slogans viele Freunde – und so einige Feinde. Nun zeichnet sich ein Comeback ab, bei dem sich manche fragen, wie ernst das zu nehmen ist.

Es ist ein seltsames Gefühl, wenn man feststellt, dass man ins Visier einer zielgruppengerichteten Marketingkampagne geraten ist. Es ist ein noch seltsameres Gefühl, wenn man feststellt, dass sie funktioniert. In den Tiktok-Kommentarspalten zu Videos über die Modemarke Desigual wird derzeit genau das untersucht. «Denkt ihr, Desigual hatte wirklich ein Glow-up, oder sind wir einfach alt geworden?», schreibt eine Tiktok-Userin. Das sei eine Frage fürs Philosophie-Abitur, entgegnet eine andere.

«Glow-up» ist das aktuelle Wort für ein gelungenes Make-over, für eine erfolgreiche Neugeburt. Und es ist das Wort dafür, dass die einst für ihre wirren Pseudo-Hippie-Patchwork-Kleider verschriene Marke aus Barcelona plötzlich Mode macht, die jungen Frauen im Jahr 2024 gefällt: Cargo-Taschen mit einem Hauch Neunziger-Jahre-Miu-Miu, Kooperationen mit angesagten, kleinen Labels wie Collina Strada und Tyler McGillivary und halbtransparente Oberteile mit grafischen Prints.

Unmissverständlich fröhlich

Desigual war immer eine unkonventionelle Marke. Der Schweizer Thomas Meyer gründete sie 1984 mit Anfang zwanzig, nachdem er eine Patchwork-Denimjacke aus mehreren Paaren Jeans zusammengeflickt hatte. Seine Ambitionen schrieb er wenig subtil in den Namen ein: Das spanische «desigual» bedeutet «ungleich». Zwei Jahre später eröffnete er das erste Geschäft am Hafen von Ibiza. Das dazugehörige Logo war eine rot-gelbe, abstrakte Filzstiftzeichnung von einem nackten Mann und einer nackten Frau. Ein Modelabel, das mit Nacktheit wirbt! Und das war erst der Anfang.

Die Blütezeit von Desigual begann in den nuller Jahren, als die Marke auf Expansion setzte und alles mit ihrem charakteristischen, knallbunten Flickenteppichprint bedeckte. Besonders nach der Finanzkrise 2008 schossen die Umsätze in die Höhe. Im Akkord wurden neue Geschäfte an teuren Standorten eröffnet.

Dort verkaufte Desigual Kleidung, aber vor allem auch radikalen Optimismus. Slogans wie «la vida es chula» (das Leben ist schön) oder «happy ideas all the time» buchstabierten es unmissverständlich aus. Ein 2014 lanciertes Damenparfum hiess schlicht «Sex» und kam in einer violetten Schachtel, die fröhlich proklamierte: «Have sex every day!» Das konnte wie Balsam wirken, und es zahlte sich aus. Im selben Jahr knackte Desigual mit seinem Umsatz beinahe die Milliardengrenze. Fragwürdige Werbeaktionen – wie kostenlose Kleidung für die ersten 100 Kunden, die nur in Unterwäsche auftauchten – halfen der Bekanntheit der Marke.

Anders ist nicht unbedingt besser

Doch bald darauf begannen die Umsätze stetig zu sinken. Wichtige Personen im Management verliessen die Firma. Geschäfte, darunter solche in der Schweiz, wurden geschlossen. Während Konkurrenten wie Zara und Mango – beide auch spanisch, beide auch Fast Fashion – wuchsen, litt das viel zu einspurige Desigual an optischer Übersättigung.

Das präferierte Adjektiv zur Beschreibung des Desigual-Stils war «frech», und als Kompliment war das selten gemeint. Ein Twitter-Account namens @desigualisugly sprach es noch expliziter aus. Dass ausgerechnet die rechtspopulistische französische Politikerin Marine Le Pen eine Tasche der Marke trug, half nicht. Desigual war in vielen Kreisen zum Synonym für schlechten Geschmack geworden. Der Fotograf Jean-Paul Goude, der ab 2017 frischen Wind hätte einbringen sollen, blieb nicht einmal die drei Jahre, die sein Vertrag als Artistic Director vorgesehen hätte: Vielleicht lag es daran, dass er kurz vor Antritt seiner Position der «New York Times» erzählte, er finde die Gewohnheiten der Marke «sehr provinziell» und ihre Läden «wirklich, wirklich hässlich». 2020 rutschte Desigual zum ersten und bisher einzigen Mal in die roten Zahlen.

Desigual, die Zweite

Seither wird an einer neuen Strategie gearbeitet. Sie heisst, wie immer, wenig subtil: #newdesigual. Ein neuer Designer steckt vordergründig nicht dahinter, denn Desigual nennt seine Kreativdirektoren bewusst nicht namentlich. Doch ein Blick auf die Website zeigt ein Bild, das sich weniger als früher von den Konkurrenten abhebt: Die Models lächeln nicht, und manche Schuhe erinnern an Dries Van Noten oder Dior. Die bunten Prints sind da, aber etwas ausgewaschener als früher. Luftige Häkelkleider erinnern an die Anfänge in Ibiza. Ein Midikleid ist mit Wörtern wie «embrace» und «spirituality» bedruckt, ist aber auch schlicht und in Schwarz-Weiss gehalten. Vorsichtiger statt radikaler Optimismus, könnte man sagen.

Ob das funktioniert? Die Schweizer Warenhauskette Manor führt Desigual seit 2012 im Sortiment. «Momentan spüren wir keine Veränderung in der Nachfrage», schreibt Miriam Kathrin Anlauf, Einkaufsdirektorin für den Bereich Mode und Accessoires, auf Anfrage. Sie sei jedoch gespannt auf die Entwicklung in den kommenden Monaten, «da Desigual seit dem Rebranding vor etwa drei Jahren seine Kollektionen modernisiert und jünger gestaltet hat». Seitdem habe die Marke an «Reife und Eleganz» gewonnen, so Anlauf. Besonders in der Romandie sei sie beliebt. Desigual selbst veröffentlicht keine Zahlen mehr.

Die Kleider sind noch immer beschriftet

Dieses Jahr wurde Desigual 40 Jahre alt. Zum Jubiläum veranstaltete die Marke im Juni eine grosse Show vor ihrem Hauptsitz in Barcelona, im Hintergrund der Sonnenuntergang über dem Meer. Die Schauspielerin Hari Nef («Barbie», «The Idol») eröffnete die Show in einem transparenten Kleid mit Farbverlauf. Amelia Gray, Model, «Real Housewives»-Tochter und neues Desigual-Markengesicht, schloss sie.

Aufnahmen der Jubiläumsshow von Desigual in Barcelona.

Paris Jackson und die spanische Schauspielerin Ester Expósito («Elite») sassen im Publikum. Sogar der 64-jährige Thomas Meyer, der sonst eher öffentlichkeitsscheue Gründer und CEO, liess sich fotografieren und gab im Nachgang einige Interviews mit spanischen Zeitungen.

Doch am besten in Erinnerung blieb das Statement-Shirt der Angestellten und einiger Gäste. «I never thought I’d wear Desigual», stand da, unmissverständlich, in schwarzen Lettern: «Ich hätte nie gedacht, dass ich einmal Desigual tragen würde.» Eine Zeitlang verhasst zu sein, kann in der Modewelt eben auch ein Geschenk sein. Man muss es nur zu nutzen wissen.

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