Montag, Februar 24

Hunderttausende geben dem im September von Israel getöteten Hizbullah-Chef das letzte Geleit. Der Pomp kann aber nicht darüber hinwegtäuschen, wie angeschlagen die Miliz ist.

Von überall her sind sie gekommen. Sie sitzen auf den zerbröselnden Rängen des Nationalstadions im Süden von Beirut, auf Plastikstühlen auf der ausgebleichten Tartanbahn oder in Reihen auf dem Rasen. Fahnen wehen im Wind – die gelben Banner des Hizbullah, aber auch die Flaggen des Iraks, Irans oder der jemenitischen Huthi. Die Sonne scheint, am Himmel sind nur ein paar Wölkchen zu sehen. Als ob das Wetter Hassan Nasrallah noch einmal gewogen wäre.

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Vor fünf Monaten war der von seinen Anhängern als Halbgott verehrte Chef des Hizbullah, jener schwerbewaffneten Schiitenmiliz in Libanon, bei einem israelischen Luftangriff auf seinen Kommandobunker getötet worden. Sein Tod war der Höhepunkt jener Militärkampagne im Herbst letzten Jahres gewesen, mit der Israel die mit Iran verbündete Truppe entscheidend schwächte.

«Als ob die Zeit stehengeblieben wäre»

Nun hat der Hizbullah seinen toten Führer am Sonntagnachmittag endlich zu Grabe getragen. Schon bevor der Leichnam des Generalsekretärs, den hier alle nur «Sayyed» – den Noblen – nennen, zu einem eigens für ihn errichteten Mausoleum gefahren wird, zeigt sich, wie schwer der Verlust für die Miliz ist.

Überall herrscht tiefe Trauer. Reihenweise sitzen schwarzgekleidete Frauen auf den Rängen des heruntergekommenen Stadions. Sie habe mehr als ein Dutzend Familienmitglieder im Krieg verloren, sagt Chaula al-Teiss, die extra aus der Bekaa-Ebene hergekommen ist und die Gesichter ihrer getöteten Liebsten als umrahmte Fotocollage vor sich herträgt. Aber nichts sei so schlimm gewesen wie der Tod des Sayyed. «Es war, als ob die Zeit stehengeblieben wäre.»

Vorne auf der Bühne, wo der Hizbullah zwei gewaltige Leinwände aufgestellt hat, überbieten sich derweil Kaderleute der Partei mit Lobpreisungen des gefallenen Führers. Immer wieder betonen sie, dass sein Geist weiterhin unter den Anwesenden weile und der Kampf nicht vorbei sei. Der Tod des mächtigen Hizbullah-Chefs sei eigentlich nichts anderes als ein weiterer, glorreicher Sieg.

Wie ein Jahrhundertereignis

Die Miliz hat deshalb keinen Aufwand gescheut, um die Beerdigung zu einem Jahrhundertereignis zu machen. Seit Tagen lud das Begräbniskomitee fast täglich zu Pressekonferenzen, um über die Vorbereitungen für den grossen Tag zu berichten. Man habe sogar extra Erde aus Jerusalem eingeflogen, erklärte ein Parteivertreter am Freitag stolz und zeigte ein Plastikfläschlein mit grauem Sand.

In der Hizbullah-Hochburg Dahiye im Süden Beiruts fieberte man dem Ereignis entgegen. Hunderttausende Besucher seien extra nach Beirut gekommen, vermeldeten lokale Medien. Alle Hotels in der libanesischen Hauptstadt waren ausgebucht. Aus dem Irak trafen täglich Sonderflüge ein.

Zu den Trauernden zählt auch der 41-jährige Hassan, der seinen Nachnamen nicht nennen will. Er arbeitet als Filialleiter in einer Bäckerei in Genf. «Ich habe mir extra freigenommen», sagt der Schiit, der 2006 in die Schweiz kam. Er sei stolz, dabei zu sein, denn Nasrallah sei mehr als nur ein Milizenführer gewesen. «Er hat für das libanesische Volk und sein Land gekämpft», sagt er.

Der Hizbullah ist schwer angeschlagen

All der Pomp kann jedoch nicht darüber hinwegtäuschen, wie geschwächt der einst allmächtig scheinende Hizbullah inzwischen ist. Im Krieg gegen Israel, den er im Oktober 2023 zur Unterstützung der Hamas im Gazastreifen begonnen hatte, musste er enorme Verluste hinnehmen. Tausende seiner Kämpfer fielen, ihre oberste Führungsebene wurde ausgelöscht. «Natürlich war das kein Sieg», sagt Hassan. «Wir müssen realistisch sein.»

Auch politisch und finanziell ist der Hizbullah angeschlagen. Mit dem Fall des Asad-Regimes im benachbarten Syrien wurden seine Nachschublinien unterbrochen. In Beirut hat inzwischen eine prowestliche Regierung die Macht übernommen, die die Miliz am liebsten entwaffnen würde. In den vom Krieg zerstörten südlibanesischen Stammlanden des Hizbullah verbreitet sich Unzufriedenheit, weil die Miliz nicht rasch genug Geld für den Wiederaufbau zur Verfügung stellen kann.

Zudem machen Gerüchte über innere Konflikte die Runde. Der einzige überlebende Militärführer der Miliz, Wafik Safa, steht offenbar in einem Machtkampf mit dem Politikchef Mohammed Raad. Dabei geht es auch um die zukünftige Ausrichtung der Truppe. Während die militärischen Führungsleute Stärke zeigen wollen, wünschen sich die Politiker des Hizbullah einen konzilianteren Kurs gegenüber der neuen libanesischen Regierung.

Israelische Flugzeuge im Tiefflug

Am Sonntag sollen all die Probleme für einmal in den Hintergrund treten. Als der Sarg des Führers gemeinsam mit demjenigen seines ebenfalls von Israel getöteten Nachfolgers Hashem Safieddine auf einem Lastwagen durch das Rund des Stadions gefahren wird, ist es einen kurzen Moment so, als wäre Nasrallah noch am Leben. «Labeika – wir folgen dir!», ruft die Menge wie im Rausch.

Kleidungsstücke werden auf den Sarg geworfen. Männer klettern auf riesige Lautsprecher und recken die Fäuste in die Luft. Dann ist mit einem Mal ein dumpfes Dröhnen am Himmel zu hören. Kurz darauf donnern vier israelische Kampfjets im Tiefflug über das Stadion hinweg – als wollten sie noch einmal in Erinnerung rufen, wer für den Tod Nasrallahs verantwortlich ist. «Tod Israel», brüllen die Leute im Stadion, wütend und ohnmächtig zugleich.

Als schliesslich Naim Kassem – der neue Generalsekretär – ans Mikrofon tritt, verlassen die Trauernden in Scharen das Stadion. Sie bevorzugen es offenbar, den Sarg Nasrallahs durch die verstopften Strassen von Dahiye zu geleiten, anstatt dem blassen Nachfolger zuzuhören. Die Beerdigung, die auch als Machtdemonstration mit Blick auf die Zukunft gedacht war, wirkt daher eher wie ein Abschied und wie das Ende einer Ära.

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