Mittwoch, März 12

Im Gottlieb-Duttweiler-Institut in Rüschlikon wurde in den 1970er Jahren die Zukunft geplant. Christian Haller lässt die damaligen Diskussionen in seinem neuen Roman «Das Institut» aufleben. Sie wirken beklemmend aktuell.

Kein Geheimnis ist es, dass der inzwischen einundachtzigjährige Christian Haller, Schweizer-Buchpreis-Träger des Jahres 2023, sein literarisches Werk gern zum Anlass nimmt, seine eigene Familie und nicht zuletzt sich selbst zu erkunden. Dies, lange bevor es Mode wurde, solchen Arbeiten das Etikett «autofiktional» aufzukleben. So hatte er 2020 in seinem Roman «Flussabwärts gegen den Strom» davon berichtet, wie er nach einem Zoologiestudium beruflich Fuss fasste – als Bereichsleiter in der Denkfabrik des Gottlieb-Duttweiler-Instituts in Rüschlikon.

Acht Jahre hat Haller dort gearbeitet – eine offenkundig prägende Zeit, die nun im Mittelpunkt seines neuen, die Jahre 1975 bis 1981 umfassenden Romans «Das Institut» steht. Thyl Osterholz heisst Hallers Alter-Ego-Figur. Osterholz, ein Diplombiologe, ist sich über seine beruflichen Pläne unsicher und findet per Zufall einen Job in einer Einrichtung, die sich Institut für Soziales nennt – und von Alois Baltensperger, dem Begründer des Einzelhandelskonzern Wilfors, ins Leben gerufen wurde.

Golo Mann, Hazel Henderson und Ralph Nader zu Gast

Dass sich hinter Baltensperger der Migros-Gründer Gottlieb Duttweiler verbirgt und dass Thyls neuer Arbeitsplatz dem Duttweiler-Institut (GDI) nachgebildet ist, ist in Hallers Roman unschwer zu erkennen. In den Machtkämpfen und Ränkespielen, die der Autor innerhalb des Instituts und des Wilfors-Konzerns schildert, sind auch die Migros-Chefs Rudolf Suter und Pierre Arnold zu erkennen, auch wenn sie ebenfalls andere Namen tragen.

Um hinter die Kulissen der Denkfabrik und ihrer ambitionierten Vorhaben zu schauen, wählt Haller einen geschickten Erzählkniff. Denn mit Thyl tritt ein anfangs unscheinbarer Protagonist auf, der staunend als quasi «tumber Tor» die Institutsabläufe registriert. Die Verblüffung schlägt allmählich in eine doppelte Faszination um.

Thyl gefällt es, wie das Erbe des «rebellischen Geistes» Baltenspergers fortgeführt werden soll: wirtschaftliches Erfolgsstreben mit sozialem Engagement zu verknüpfen und der «Verblödung der Menschen als Konsumenten» vorzubeugen. Zum anderen kann Thyl, trotz den Warnungen seiner Freundin Isabelle, nicht verhehlen, dass er stolz darauf ist, plötzlich mit den Global Players aus Wirtschaft, Soziologie oder Philosophie zu tun zu haben und weltweit beachtete Kongresse zu organisieren. Figuren wie Hazel Henderson, Golo Mann, Ralph Nader oder Fritjof Capra gehören nun zu seinem Leben.

Konflikte zwischen Kapitalismuskritikern und Firmenbossen

Schneller als gedacht macht Thyl Karriere und wird zum Bereichsleiter «Internationale Kongresse» berufen, nachdem man sich seines Vorgängers auf üble Weise entledigt hat. Die Aktivitäten des Instituts sollen dazu dienen, die «besten Köpfe der Regierungen und der Wirtschaft zusammenzubringen, um die wirtschaftliche Krise zu bewältigen und die politischen Probleme, die sie verursachte, zu lösen». Da es um Themen wie das «Ende des Ölzeitalters» oder «Kritik an der Atomenergie» geht, kommt es zu Konflikten zwischen Kapitalismuskritikern und Industriebossen.

Der Roman gewinnt dadurch eine fast beklemmende Aktualität, denn was 1972 mit dem alarmierenden Bericht «Grenzen des Wachstums» des Club of Rome einsetzte, führte zu düsteren Zukunftsszenarien. Diese haben ein halbes Jahrhundert später nichts von ihrer Brisanz verloren, und Lösungen scheinen weiter entfernt denn je. Christian Haller ist klug genug, diese Bezüge nicht auszuwalzen. Es genügt, schnörkellos davon zu erzählen, worum es Mitte der 1970er Jahre ging, um anschaulich zu machen, welche Stagnation in den letzten Jahrzehnten geherrscht hat.

Alltägliche Übergriffe gegen Frauen

Diesen globalen Konflikten steht ein Arbeitsalltag im Institut gegenüber, der den nach aussen verkündeten hehren moralischen Vorstellungen nicht entspricht. In der männerdominierten Welt geht es darum, seine Pfründen zu sichern, sich mit dem Wilfors-Oberen und der Baltensperger-Witwe gut zu stellen, Leichen im Keller zu verbergen und missliebige Kollegen auszuschalten. Kein Wunder auch, dass Frauen dabei ständig zu Opfern sexueller Übergriffe ihrer Vorgesetzten werden. Das rücksichtslose Sich-Nehmen dessen, was einem qua Position zuzustehen scheint, ist noch eine Selbstverständlichkeit.

Schlüsselfigur in diesem Haifischbecken ist der Institutsleiter Werner Lavetz, hinter dem sich unverkennbar der langjährige GDI-Chef Hans A. Pestalozzi verbirgt. Wie dieser radikalisiert sich Lavetz zusehends. Er träumt davon, in der Hierarchie ganz nach oben zu rücken, und wird mit weltanschaulich diffusen Reden zu einem viel interviewten Mediengast. In der Wilfors-Dynastie sieht man diesem egogesteuerten Treiben nicht lange zu und entlässt Lavetz kurzerhand.

Christian Haller hat ein äusserst lesenswertes Buch geschrieben, das von der Schwierigkeit handelt, sowohl im Kleinen wie im Grossen etwas zu bewegen. Sein Held Thyl Osterholz erkennt nach und nach, in welchem Dilemma er steckt. Die Gefahr, an den Widersprüchen zu zerbrechen, ist gross.

Christian Haller: Das Institut. Roman. Luchterhand-Verlag, München 2024. 270 S., Fr. 32.–.

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