Aussenpolitiker fordern mehr Mitspracherecht bei der Wiederaufbauhilfe für die Ukraine. Mitte-Rechts ist gespalten, die Linke will das ausnützen und Umweltauflagen durchdrücken.
Als ob nichts wäre, kommunizierte der Bundesrat am Mittwoch sein Länderprogramm für die Ukraine. Seit Russland das Land überfallen hat, leistet die Schweiz humanitäre Hilfe und hilft beim Entminen oder bei der Reparatur von Wasser- oder Stromleitungen. Das Engagement geht weiter: 1,5 Milliarden Entwicklungsgelder sollen in den Jahren 2025 bis 2028 in die Ukraine fliessen, 500 Millionen via Privatsektor. So will die Schweiz unter anderem ihren Firmen den Markteintritt in die Ukraine erleichtern.
So weit, so nachvollziehbar. Die Mehrheit des Parlaments hat den Rahmenkredit der Entwicklungshilfe in der Dezembersession festgelegt. Doch nun zeichnet sich ein kleiner Machtkampf zwischen Bundesrat und Aussenpolitikern ab. Letztere wollen ein Wörtchen mitreden, wie die 500 Millionen Franken an die Schweizer Unternehmen vergeben werden. Die aussenpolitischen Kommissionen von Stände- und Nationalrat (APK) haben im September respektive November eine gleich lautende Motion eingereicht. Sie fordern eine rechtliche Grundlage zur Regelung dieser Wirtschaftshilfe.
Den Aussenpolitikern geht es dabei unter anderem um ihren Einfluss: Bei einem befristeten Staatsvertrag kann das Parlament nur ja oder nein sagen. Bei einem Gesetz dagegen gibt es eine Verhandlung in den beiden Räten, man kann eigene Regulierungen einbringen und das Referendum ergreifen. Die Kommissionen orientieren sich bei ihrer Forderung am befristeten Osthilfegesetz, welches die Unterstützung der kommunistischen Staaten Osteuropas und Zentralasiens sowie der Länder der EU-Osterweiterung regelte.
Der Bundesrat hat andere Pläne. Bereits im November entschied er trotz den Wünschen aus den Kommissionen, einen Staatsvertrag aufzugleisen. Im Januar hat er das entsprechende Verhandlungsmandat gutgeheissen und diesen Mittwoch noch einmal bekräftigt. Die Schweiz sei darauf angewiesen, dass sich die Ukraine verbindlich zur Einhaltung bestimmter Regeln verpflichtet, schrieb die Landesregierung in der Antwort auf die Motionen. Der schweizerische Gesetzgeber könne aber einen ausländischen Staat nicht zu einem bestimmten Verhalten zwingen, daher brauche es kein Gesetz, sondern einen Staatsvertrag.
SVP schwenkt um
In der Wandelhalle des Bundeshauses sorgt das Vorgehen des Bundesrats für Konsternation. Beispielsweise bei Beat Rieder (Mitte), welcher das Geschäft für die ständerätliche APK vertritt. «Es ist nicht ratsam, dass der Bundesrat die Variante Staatsvertrag weiterverfolgt», warnt der Ständerat. Am Ende laufe der Bundesrat im Parlament damit auf.
Tatsächlich hätte sich unter den Parteien fast eine unheilige Allianz gebildet, welche die 500 Millionen Franken Wirtschaftshilfe ganz zu kippen drohte. Denn die Polparteien haben nicht nur regulatorische, sondern auch inhaltliche Kritik an dem Geschäft.
Die SVP ist aus finanz- und neutralitätstechnischen Überlegungen grundsätzlich nicht begeistert von der Wiederaufbauhilfe. Und die Linke kritisiert, dass das Geld für die Ukraine aus dem Topf der Entwicklungshilfe stammt und zu einem Drittel Schweizer Unternehmen zugutekommt. Das sei opportunistisch und konkurriere ukrainische Firmen. Zum Ausgleich fordert sie daher Auflagen im Umweltschutz, welche sich in einem Gesetz festlegen lassen: «Ohne eine Entwicklungskomponente stimmen wir dem Prestigeprojekt des Bundesrats nicht zu», sagt Fabian Molina von der SP auf Anfrage. Die Hoffnung ist wohl, dass die Bürgerlichen sich zugunsten demokratischer Mitsprache auf linke Forderungen einlassen.
Bei der SVP hat diese Drohkulisse nun offenbar zu einem Sinneswandel geführt. Sie scheint auf die Linie ihres Bundesrats Guy Parmelin umgeschwenkt zu sein. Am Dienstag war Jacques Gerber, der Delegierte für die Ukraine, in der Aussenpolitischen Kommission des Nationralrats zu Gast. Dabei wurde die APK zum Vorgehen des Bunderats konsultiert. Diese zeigte sich mit 13 zu 10 Stimmen bei 1 Enthaltung plötzlich offen für einen Staatsvertrag. Damit sei «eine raschere und flexiblere Umsetzung möglich als mit einem Spezialgesetz», hiess es in der Medienmitteilung.
Als nächstes steht die Konsultation in der aussenpolitischen Kommission des Ständerats an. Und demnächst könnte die Motion für eine Gesetzesgrundlage in die kleine Kammer kommen. Gut möglich, dass die SVP-Vertreter dort nun ebenfalls auf die Variante Staatsvertrag umschwenken. Entscheidend wird daher sein, was die Mitte- und die FDP-Vertreter machen und ob sie den Linken bei ihren Umweltweltschutzauflagen entgegenkommen wollen.
Nebst Wirtschaftsminister Parmelin ist auch Ignazio Cassis (FDP) als Vorsteher des Aussendepartements für das Geschäft zuständig. Beiden Bundesräten war es immer ein Anliegen, die Privatwirtschaft stärker in die Entwicklungshilfe einzubinden. Während dieser Punkt in der Schwebe hängt, setzt die Schweiz die Aufbauhilfe in den anderen Bereichen fort. Für die Jahre 2029 bis 2036 will der Bundesrat weitere 3,5 Milliarden Franken zur Verfügung stellen. Wo er das Geld her nimmt, ist noch unklar.