Mittwoch, November 27

Kaum 100 Tage im Amt entlässt Premierminister Starmer seine Stabschefin – und gesteht damit ein, dass seine Regierung einen Fehlstart hingelegt hat.

Im Frühling 2023 brachte Sue Gray konservative Politiker und Kommentatoren in Rage. Die Spitzenbeamtin im Kabinettsministerium gab überraschend ihren Rücktritt bekannt, um als Stabschefin ins Team des damaligen Oppositionsführers Keir Starmer zu wechseln. Von einer Spitzenbeamtin wird strikt parteipolitische Neutralität erwartet. Das galt bei Gray besonders, weil sie ein gutes Jahr davor einen heiklen Auftrag zu erledigen hatte. Sie untersuchte im Auftrag des damaligen Premierministers Boris Johnson die Partys am Regierungssitz an der Downing Street Nummer 10 während der Corona-Lockdowns, die letztlich zum Sturz Johnsons führten. Die empörten Konservativen witterten ein Komplott zwischen Labour und der Verwaltung. Doch ihre Bemühungen, Grays Wechsel zu verhindern, schlugen fehl.

Fehlstart der Labour-Regierung

Knapp hundert Tage nach dem Aufstieg Starmers zum Premierminister hat Grays Engagement als rechte Hand des Labour-Chefs nun doch ein abruptes Ende gefunden. Zu Fall brachten die 67-Jährige allerdings nicht die Tories. Vielmehr wurde sie Opfer von Streitigkeiten innerhalb von Starmers Führungsteam an der Downing Street Nummer 10.

Schliesslich waren immer mehr interne Klagen über Grays Führungsstil an die Öffentlichkeit gedrungen. Geleakt wurde auch ihr Salär – das für Aufsehen sorgte, weil die Beraterin mit einem Gehalt von 170 000 Pfund mehr verdiente als der Premierminister. Sie rückte immer mehr ins Zentrum des medialen Interesses, bis Starmer sie am Wochenende zum Abgang zwang und zur Gesandten für die britischen Nationen und Regionen degradierte. In ihrem Rücktrittsschreiben merkte Gray an, dass der Wirbel um ihre Person von der inhaltlichen Regierungstätigkeit abzulenken drohte.

Hintergrund des Rücktritts ist ein erbitterter Machtkampf zwischen Gray und Morgan McSweeney, der die Wahlkampagne Labours geleitet hatte. In Starmers Regierung war McSweeney für die politische Strategie zuständig, Gray sollte mit ihrer Verwaltungserfahrung die Regierungsführung im Alltag vorantreiben. Doch Labour wirkte schlecht auf die Machtübernahme vorbereitet: Starmer und seine Minister liessen in Affären um teure Geschenke politisches Fingerspitzengefühl vermissen und verfolgten eine widersprüchliche Kommunikationsstrategie. Zudem hat die Regierung hehre Ziele verkündet, aber noch kaum konkrete Massnahmen zur Umsetzung präsentiert.

Direktorin für Ethik und Schicklichkeit

Gray gilt als machtbewusste und geschickte politische Akteurin. Ihr Aufstieg an die Spitze der Verwaltung war aber keineswegs vorgezeichnet. Die in London geborene Tochter irischer Einwanderer besuchte keine Universität. Sie trat in den späten siebziger Jahren in niedriger Stellung in die Verwaltung ein. Nachdem sie vorübergehend mit ihrem Mann ein Pub in Nordirland geleitet hatte, diente sie in unterschiedlichen Ministerien, bis sie Ende der neunziger Jahre ins Kabinettsministerium wechselte.

Dort stieg sie zur Direktorin für Ethik und Schicklichkeit auf und untersuchte diverse Skandale. So musste beispielsweise der einstige konservative Vizepremierminister von Theresa May nach einer Untersuchung Grays zurücktreten, weil er auf seinem Bürocomputer Pornografie angesehen und die Polizei darüber «in die Irre geführt» hatte. In Westminster hiess es, Gray wisse, welcher Minister in welchem Keller welche Leichen vergraben habe. Auch darum verübelten ihr die Konservativen den Wechsel zu Labour.

Die Mutter eines Sohnes, dem im Juli die Wahl zum Labour-Unterhausabgeordneten glückte, hielt sich stets im Hintergrund – bis Boris Johnson sie Anfang 2022 mit der Untersuchung der «Party-Affäre» beauftragte. Ihr Bericht fiel gemessen an den hohen medialen Erwartungen nüchtern aus. Dennoch wird sie in konservativen Kreisen für den Fall Johnsons mitverantwortlich gemacht. Johnson selber erklärte jüngst, die Ernennung Grays zur Leiterin der Administrativuntersuchung sei ein grosser politischer Fehler gewesen.

Zu Beginn von Johnsons Zeit als Premierminister hatte sein Chefstratege Dominic Cummings immer wieder für Schlagzeilen gesorgt, anstatt sich wie ein herkömmlicher Berater im Hintergrund zu halten. Unter Starmer wurde nun Gray in ähnlicher Weise zum Gegenstand der medialen Berichterstattung. Dass der Labour-Premierminister sein Team nach weniger als hundert Tagen im Amt von Grund auf umstellen muss, ist eine Anerkennung des Fehlstarts, den seine Regierung hingelegt hat. Neuer Stabschef wird Grays Rivale Morgan McSweeney. Nun muss sich weisen, ob er Starmers Team zu mehr kommunikativem Geschick und mehr Durchschlagskraft verhelfen kann – oder ob die Probleme tiefer liegen.

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