Dienstag, Oktober 15

Im Frühling hatte London den Verkauf des Traditionsblatts «Telegraph» nach Abu Dhabi verhindert. Nun könnte mit Dovid Efune ein pointiert-proisraelischer Verleger aus den USA zum Zug kommen.

Der seit eineinhalb Jahren tobende Kampf um die Zukunft der wichtigsten konservativen Traditionszeitung Grossbritanniens geht in eine entscheidende Phase. Gemäss Medienberichten steht Dovid Efune, der Besitzer der «New York Sun», kurz davor, mit den derzeitigen Besitzern des «Daily Telegraph» und des «Sunday Telegraph» exklusive Übernahmeverhandlungen von rund sechs Wochen aufzunehmen. Efune soll für den Kauf 550 Millionen Pfund (615 Millionen Franken) geboten haben – das ist mehr, als seine Konkurrenten im langwierigen Bieterverfahren offerierten.

Efune ist in Grossbritannien geboren, wo sein Grossvater als Finanzchef des Elektronikwaren-Händlers Dixons wirkte. Doch verdiente Efune seine publizistischen Sporen in den USA ab, weshalb er im Vereinigten Königreich kaum bekannt ist. Er hat bisher auch nicht öffentlich verlauten lassen, welche Pläne er für den «Telegraph» hegt. Umso eingehender analysierten britische Beobachter in den letzten Tagen Efunes Kolumnen und Kommentare in den sozialen Netzwerken, wo er mit einer pointiert-proisraelischen Positionierung im Nahostkonflikt auffällt. Der 39-Jährige bezeichnet sich selber als «deutlich erkennbaren Juden» und ergreift regelmässig Position gegen Antisemitismus.

Intervention per Gesetz

Dass Efune vor dem Kauf des «Telegraph» steht, kommt im Kampf um das Traditionsblatt einer überraschenden Wende gleich. Nachdem die langjährige Besitzerfamilie Barclay die Mediengruppe zur Tilgung hoher Schulden im Sommer 2023 zum Verkauf ausschrieb, kam Ende letzten Jahres ein amerikanisches Konsortium mit dem Namen Redbird IMI zum Zug. Doch das löste in Politzirkeln Alarmstimmung aus: Denn hinter dem Konsortium verbarg sich der Scheich Mansur bin Zayed Al Nahyan, Vizepräsident und führendes Mitglied der Herrscherfamilie der Vereinigten Arabischen Emirate.

Der 1855 gegründete «Daily Telegraph» gehört zu den einflussreichsten Medientiteln Grossbritanniens. Wegen seiner Nähe zur Konservativen Partei wird das Blatt auch «Tory-Graph» genannt. Die Zeitung beteiligt sich immer wieder an personellen Debatten innerhalb der Konservativen Partei und gibt die ideologische Stallorder durch.

Entsprechend schwer wog die Befürchtung, eine autoritäre Golfmonarchie könnte Einfluss auf die Positionierung der Zeitung ausüben. Efune schien diese Sorgen zu teilen. Der «Telegraph» sei in ernsthafter Gefahr, von den Vereinigten Arabischen Emiraten «geschluckt» zu werden, schrieb er in einem Newsletter. Nach langwierigen Abklärungen unterband die damals noch von den Konservativen geführte britische Regierung im Frühling den Verkauf mit einem neu geschaffenen Gesetzesartikel. Dieser verbietet explizit den «Besitz, die Beeinflussung oder die Kontrolle» von britischen Medientiteln durch einen ausländischen Staat.

Diverse Interessenten

Damit war Redbird IMI gezwungen, den «Telegraph» sowie das ebenfalls zur Mediengruppe gehörende Wochenmagazin «Spectator» wieder zum Verkauf auszuschreiben. Neben dem Verleger David Montgomery, der in Grossbritannien mehrere Regionaltitel besitzt, meldete auch der frühere konservative Schatzkanzler Nadhim Zahawi Interesse an: Zahawi gilt als Vertrauter der vormaligen «Telegraph»-Besitzerfamilie Barclay. Er soll im Nahen Osten Geldgeber gesucht haben und wollte Boris Johnson als Chefredaktor engagieren.

Rupert Murdochs Firma News UK, welche die «Times» oder die «Sun» herausgibt, signalisierte ebenfalls Interesse, doch hätte ein Kauf des «Telegraph» wettbewerbsrechtliche Fragen aufgeworfen. Als aussichtsreicher Interessent galt überdies der Hedge-Fund-Manager und Multimillionär Paul Marshall, der hinter dem rechten TV-Sender GB News steht. Ihm wurde nachgesagt, er wolle den «Telegraph» zum Flaggschiff eines wachsenden Imperiums von rechtsgerichteten Medientiteln machen.

Am Ende begnügte sich Marshall mit dem einflussreichen «Spectator», den er Redbird IMI Ende September für 100 Millionen Pfund abkaufte. Das ist ein stattlicher Preis angesichts der Tatsache, dass das konservative Magazin derzeit jährliche Gewinne von rund 2 Millionen Pfund abwirft. Marshall will in den «Spectator» investieren und hat nun den langjährigen konservativen Minister Michael Gove als neuen Chefredaktor eingesetzt.

Relaunch der «New York Sun»

Efune stieg erst ganz am Schluss ins Rennen um den «Telegraph» ein. Sein Angebot kam auch insofern überraschend, als er bisher nie Interesse am britischen Medienmarkt signalisiert hatte. Efune ist in Manchester geboren. Als Knabe zog er nach Brighton, wo seine Eltern eine jüdische Schule gründeten und der Vater als Rabbiner wirkte. Efune erklärte einmal, er habe ab dem Alter von 11 Jahren keine weltliche Schulbildung mehr genossen, sondern sich nur noch dem Studium der Tora gewidmet.

2008 zog er nach New York, wo er die Leitung der jüdischen Zeitung «The Algemeiner» übernahm. Efune verwandelte die Publikation mit Erfolg von einem jiddischsprachigen in ein englischsprachiges Produkt. 2021 kaufte Efune die Konkursmasse der Traditionszeitung «New York Sun». Efune positionierte die Marke als reine Online-Zeitung. Diese fährt einen politisch konservativen Kurs, den Efune als «wertebasiert, prinzipienfest und verfassungstreu» beschreibt.

Der «Telegraph» ist im Vergleich zur «New York Sun» eine grössere Schuhnummer mit deutlich mehr Abonnenten und Leseminuten online. Ob Synergien zwischen den beiden Blättern möglich wären, ist ungewiss. Zweifelhaft ist auch, ob und wie sich der tief in der englischen Gesellschaft verankerte «Telegraph» im gesättigten amerikanischen Medienmarkt etablieren liesse.

Die Chancen, dass die Transaktion zustande kommt, stehen gut. Der Kaufpreis von 550 Millionen Pfund übertrifft die Erwartungen von Redbird IMI. Zudem sind keine wettbewerbsrechtlichen Probleme erkennbar, da Efune in Grossbritannien keine anderen Zeitungen besitzt. Zu seinen Geldgebern gehören könnten laut Medienberichten die Vermögensverwalter Oaktree und Hudson Bay Capital, der amerikanische Hedge-Fund-Manager Michael Leffell oder der Investitionsarm der kanadischen Immobilienfirma Beedie. Damit schart Efune ausländische Investoren um sich. Aber anders als im Fall des Scheichs Mansur bin Zayed Al Nahyan dürfte sich unter ihnen kein Exponent eines ausländischen Regimes verbergen.

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