Montag, Oktober 28

In den nächsten Jahrzehnten wollen die Bergkantone und -gemeinden die meisten Wasserkraftwerke übernehmen. Den grossen Konzernen aus dem Mittelland droht damit ein bedeutender Teil der Stromproduktion wegzubrechen.

Der heimischen Stromwirtschaft steht eine fundamentale Umwälzung bevor. In den nächsten zwei Jahrzehnten laufen die Konzessionen für die meisten Wasserkraftwerke aus. Und die Bergkantone – allen voran Graubünden und das Wallis – haben bereits angekündigt, dass sie diese nicht einfach so erneuern werden. Stattdessen wollen sie die Kontrolle über die Wasserkraft übernehmen, indem sie den sogenannten Heimfall ausüben und sämtliche Anlagen übernehmen.

Das Nachsehen haben die grossen Stromfirmen aus dem Mittelland. An sie ist bisher der grösste Teil der Gewinne aus dem Geschäft mit dem «blauen Gold» geflossen. Die Konzessionen gaben ihnen das Recht, das Wasser am Standort des Kraftwerks für eine vereinbarte Dauer von 40 bis 80 Jahren zu nutzen. Mit dem Ablauf der Konzession drohen nun sämtliche Staumauern, Stollen und Turbinen an die Gemeinden und Kantone zurückzufallen, was die Firmen einen grossen Teil ihres Stammgeschäfts kosten könnte.

Axpo hat viel zu verlieren

Viel zu verlieren hat nicht zuletzt der grösste Stromkonzern des Landes, die Axpo. Sie betreibt mit ihren Partnerunternehmen etwa 60 Wasserkraftwerke. Machen die Bergkantone Ernst, könnte die Produktion aus der Wasserkraft in 20 Jahren auf ein Drittel oder ein Viertel des heutigen Wertes schrumpfen. Ähnliche Konsequenzen drohen anderen grossen Betreibern wie Alpiq, EWZ und BKW. Entsprechend viel steht in den Heimfall-Verhandlungen mit den Bergkantonen und -gemeinden auf dem Spiel.

Wie die Arbeitsteilung zwischen Unternehmen und öffentlicher Hand in Zukunft aussehen könnte, zeigt sich nun bei einigen kleineren Kraftwerken, bei denen die Beteiligten vor Auslaufen der Konzession eine Vereinbarung getroffen haben.

Eines davon ist das Kraftwerk Pintrun in der Surselva. Am Flem, einem Nebenfluss des Vorderrheins, betreibt die Axpo ein Kraftwerk mit einem kleinen Stausee. Ende November läuft die Konzession der Anlagen aus – 80 Jahre nach der Inbetriebnahme. Wie weiter also? Nach jahrelangen Verhandlungen verzichteten dort die Standortgemeinde Trin und der Kanton Graubünden darauf, den Heimfall auszuüben. Stattdessen wird das Kraftwerk in eine neue Partnergesellschaft übergeführt. Mit 70 Prozent wird Trin neu Hauptaktionärin, der Kanton beteiligt sich mit 10 Prozent und die Axpo mit 20 Prozent.

Für den Aargauer Konzern bedeutet der Deal, dass er einen grossen Teil seiner bisherigen Stromproduktion verliert – das Kraftwerk gehört ihm heute zu 100 Prozent. Trotzdem zeigt sich die Axpo zufrieden mit der Vereinbarung. «Wir müssen den politische Wille der Kantone und Gemeinden akzeptieren», sagt Viktor Lir, beim Unternehmen für die Konzessionserneuerungen zuständig. Die Rolle des Unternehmens bei der Wasserkraft werde in Zukunft nicht zwangsläufig kleiner. «Die Vermarktung der Energie, der Betrieb und das Engineering bleiben eine Kernkompetenz von uns.» Da es dazu auch eine gewisse Grösse brauche, gehe man davon aus, dass viele Gemeinden weiterhin ihre Dienstleistungen in Anspruch nehmen würden.

Auch für die Standortgemeinde Trin bietet die partnerschaftliche Lösung Vorteile. Sie muss nun nicht von einem Tag auf den anderen ein Kraftwerk übernehmen und allein betreiben – das Know-how der Axpo steht ihr weiterhin zur Verfügung. Zumal das Kraftwerk nicht nur sichere Gewinne abwirft, sondern auch Risiken birgt. In den vergangenen Jahren waren die Preise auf den internationalen Strommärkten sehr volatil. Es gab lange Perioden, in denen die Wasserkraftwerke ihre Kosten nicht decken konnten.

Auch bleibt den Beteiligten mit der Lösung, die den Einbezug der jetzigen Konzessionärin vorsieht, eine langwierige juristische Auseinandersetzung erspart. Gehen die Kraftwerke an die öffentliche Hand über, erhält diese die «nassen Teile» – etwa die Staumauer und die Turbinen – gratis, die «trockenen» Teile wie etwa die elektrischen Schaltanlagen jedoch müssen entschädigt werden. Doch bleibt es Ermessenssache, welche Teile nass sind und welche trocken. Zudem hatte sich in den Verhandlungen gezeigt, dass die Auffassungen über den Zustand der Anlagen, für welche die Gemeinde bei einem Heimfall eine Entschädigung hätte zahlen müssen, weit auseinandergingen.

Ähnliche Einigungen erzielte auch die Alpiq im Wallis. Beim Kraftwerk Salanfe, bei dem die Konzession Ende 2032 ausläuft, fallen 60 Prozent der Anlagen an die sieben beteiligten Gemeinden und den Kanton heim. Wie auch in Pintrun bleibt jedoch die bisherige Konzessionärin Alpiq als Minderheitsaktionärin mit 40 Prozent am Kraftwerk beteiligt. Und beim Kraftwerk Orsières erhielt die Alpiq im Zuge einer Neukonzessionierung vor kurzem den Zuschlag für eine Minderheitsbeteiligung von 10 Prozent. Das ist umso erstaunlicher, da es sich dabei um ein Kraftwerk handelt, das die Alpiq bisher nicht betrieb.

Auf Euphorie folgt Pragmatismus

«Als die Preise vor ein paar Jahren stiegen, war bei den Kantonen und Gemeinden eine gewisse Euphorie bezüglich Heimfall zu spüren», sagt Amédée Murisier, Leiter des Geschäftsbereichs Schweiz bei der Alpiq. Jetzt kehre Vernunft ein. Es sei nicht mehr ein Gegeneinander, sondern ein Miteinander. Dabei zeige sich, dass Lösungen möglich seien, bei denen die Eigentümerstrategie der Bergkantone berücksichtigt werden könne, die Stromfirmen aber Teil der zukünftigen Eigentümerschaft blieben.

Können Axpo, Alpiq und Co. also darauf hoffen, dass sie auch im Geschäft bleiben, wenn in den nächsten 20 Jahren die Eigentümerschaft der grossen Wasserkraftwerke neu geregelt wird?

Der Kanton Graubünden will von Fall zu Fall entscheiden, ob eine Konzession erneuert oder der Heimfall ausgeübt wird. «Wir betrachten jedes Werk einzeln», sagt Carmelia Maissen. Jeder Fall sei anders, was die technische Ausgestaltung der Anlage, die Qualität des produzierten Stroms oder die Struktur der Eigentümerschaft betreffe. «Wir gehen aber davon aus, dass wir in der Mehrheit der Fälle den Heimfall ausüben werden.»

Wertschöpfung bleibt im Kanton

Heute fliesst ein grosser Teil der Gewinne aus der Wasserkraft zu den grossen Stromkonzernen im Mittelland ab, wo sie auch versteuert werden. Das soll sich fortan ändern: «Über eine höhere Beteiligung an den Kraftwerksgesellschaften wollen wir erreichen, dass ein höherer Anteil der Wertschöpfung in Graubünden bleibt», sagt Maissen. Partnerschaften mit Stromfirmen will sich die Regierungsrätin jedoch nicht grundsätzlich verschliessen. Man sei offen für den Dialog, betont sie.

Bereits einen Schritt weiter ist man im Kanton Wallis. Dort schreibt das Gesetz vor, dass nach Ablauf der Konzessionen jeweils 60 Prozent der Produktion der Wasserkraft in Kantonsbesitz wandern müssen. Mindestens die Hälfte davon wird dabei an die kantonseigene Stromfirma Forces Motrices Valaisannes verkauft. «Es ist fair, dass die Aufwertung der natürlichen Ressourcen in stärkerem Masse dem Standortkanton zugutekommt», sagt der Walliser Energiedirektor Roberto Schmidt. Er betont, dass es den jeweiligen Gemeinden überlassen sei, die restlichen 40 Prozent an ausserkantonale Partnerfirmen oder lokale Stromunternehmen zu verkaufen.

Für die grossen Stromfirmen aus dem Mittelland heisst das, dass sie einen beträchtlichen Teil ihrer Stromproduktion aus der Wasserkraft einbüssen werden. Wie viel sie vom Geschäft mit dem «blauen Gold» werden retten können, werden erst die Verhandlungen in den kommenden Jahren zeigen.

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