Donnerstag, Juli 10

Der amerikanische Rapper befeuert mit Verschwörungstheorien und antisemitischen Klischees seine Karriere. Damit ist er im Musikgeschäft nicht allein. Veranstalter stellt das vor Probleme, auch in der Schweiz und in Deutschland.

Er trägt kurze blonde Haare und einen schmalen Oberlippenbart, seine rosaweisse Haut ist mit Tattoos verziert, um den Hals hat er ein Palästinensertuch geschlungen. «Ich habe geschwiegen», sagt er, schliesst die Augen und seufzt, als wäre er ergriffen von den eigenen Worten. Dann sagt er: «Ich hatte Angst.» Angst, Freunde zu verlieren und seine Karriere. Aber nun habe er keine Angst mehr, denn er habe viel gelernt und «die Wahrheit erkannt».

Optimieren Sie Ihre Browsereinstellungen

NZZ.ch benötigt JavaScript für wichtige Funktionen. Ihr Browser oder Adblocker verhindert dies momentan.

Bitte passen Sie die Einstellungen an.

Die «Wahrheiten», die der Rapper Macklemore an jenem 22. März 2025 bei einem propalästinensischen Meeting in New York enthüllt, sind auf Video zu sehen – und sie bringen das Publikum immer wieder zum Jauchzen. Sie lauten, kurz zusammengefasst: Der Kapitalismus hat sich mit dem weissen Rassismus und dem Zionismus verbündet, um das palästinensische Volk zu unterdrücken; die US-Regierung ist «gekauft von der israelischen Lobby», die Medien interessieren sich nur für den 7. Oktober statt für den «Genozid» an den Palästinensern.

«Gegen Macklemores Judenhetze auf dem Gurten»

Macklemore heisst eigentlich Benjamin Hammond Haggerty, er ist Amerikaner irisch-katholischer Abstammung. Diese Herkunft hat er auch schon in einem patriotischen Lied verarbeitet, in dem es um Pints, englische Kolonialisten und Iren geht, mit denen man sich besser nicht anlege. Derzeit sorgt der 42-Jährige jedoch vor allem mit seiner obsessiven «Israelkritik» für Aufsehen. Denn diese vermischt er gern mit Relativierungen der Shoah, faktischer Parteinahme für die Hamas und antisemitisch gefärbten Verschwörungstheorien.

Dies auch in Deutschland und in der Schweiz, wo Macklemore schon bald an grossen Festivals auftreten wird. Am 16. Juli ist er am Gurtenfestival in Bern zu Gast, zwei Tage später am Deichbrand-Festival an der Nordsee, am 22. Juli steht er am Paléo in Nyon auf der Bühne. «Feel-good-Hip-Hop» kündigen die Paléo-Veranstalter an, auf der Website des Gurtenfestivals wird Macklemore als hypererfolgreicher Künstler gefeiert, der noch nicht von «PR-Strateg*innen» verdorben sei. Er dürfe sich Ecken und Kanten erlauben und setze sich unter anderem gegen «systemischen Rassismus» ein.

Andere sind weniger begeistert. So erklärte der niedersächsische Antisemitismusbeauftragte Gerhard Wegner, man dürfe diesem «unerträglichen antisemitischen und antiisraelischen Propagandisten» am Deichbrand keinen Raum bieten. Auch der Zentralrat der Juden forderte Macklemores Ausladung. In Bern hat die jüdische Publizistin Hannah Einhaus einen offenen Brief lanciert, in dem die Veranstalter des Gurtenfestivals und dessen Hauptsponsor Migros aufgefordert werden, Macklemores Einladung zu überdenken. Titel: «Gegen Macklemores Judenhetze auf dem Gurten».

Massive Attack sind wieder in – als Terrorsympathisanten

Solche Reaktionen mögen überzogen sein. Die Besorgnis dahinter ist jedoch gerade in jüdischen Kreisen nachvollziehbar. Gewalt, Drohungen und Übergriffe gegen Juden nehmen fast überall zu. Allzu oft tragen Musiker und Partyveranstalter zu diesem aggressiven Klima bei, indem sie berechtigte Empörung über das israelische Vorgehen in Gaza mit Vernichtungsphantasien und Sympathien für Terroristen verbinden.

Klubs laden, wie in Bern geschehen, Vertreter der mit der Hamas verbundenen Gruppe Samidoun ein, Aktivisten schüchtern Künstler ein, die sie verdächtigen, israelfreundlich zu sein. Ein vorläufiger Tiefpunkt war das Glastonbury Festival, wo die Band Bob Vylan vor einer johlenden, Palästina-Flaggen schwenkenden Menge zur Tötung aller israelischen Soldaten aufgerufen hat.

Dabei ist eine Art gruppendynamischer Wettbewerb im Gang, wer am lautesten schreit. Die britischen Idles zum Beispiel skandieren an ihren Konzerten umso inbrünstiger «Viva Palestina», seit sie von Bob Vylan als Feiglinge kritisiert worden sind. Die etwas aus der Mode gekommene Gruppe Massive Attack darf sich mit ihrer seit Jahren gepflegten antiisraelischen Agitation plötzlich wieder modern fühlen. Kürzlich hat sie bei einem Auftritt in London ein Video gezeigt, in dem der ehemalige Hamas-Führer Yahya Sinwar zu sehen ist.

Das, so versicherten die Trip-Hopper, habe nichts zu bedeuten. Gleichzeitig bekundeten sie ihre Abneigung gegen das israelische «Apartheidsystem», forderten die Freilassung eines Terroristen und solidarisierten sich mit der nordirischen Band Kneecap.

Auftritt als Kostümjude mit Hakennase

Kneecap unterhalten ihr Publikum wie Macklemore mit einem Mix aus Sozialkitsch, irischem Nationalismus, Sympathien für Terroristen und Parolen wie «Fuck Israel». Ihr Name ist eine Anspielung auf die IRA, die ihren Feinden in die Kniescheibe schoss und einst mit der PLO verbündet war. Kneecap sind immer wieder mit Boykottforderungen und Konzertabsagen konfrontiert. Dies unter anderem, weil sie den Terror der Hamas und des Hizbullah feiern, mit Flaggen und «Up Hamas!»-Rufen.

Nachträglich wollen sie es stets nicht so gemeint haben und weisen die angeblich unerhörten «Anschuldigungen» zurück. Ob es bei Kneecap um Provokation oder um Überzeugung geht, ist umstritten. Für manche stehen sie in der Tradition der Sex Pistols, für andere sind sie Hohlköpfe, die alte katholische Ressentiments gegen Juden mit postkolonialen Phrasen modisch verpacken.

Bei Macklemore geht es offensichtlich um mehr als Provokation. Er betätigt sich als Wanderprediger, der es trotz angeblich drohendem Karriereende wagt, «die Wahrheit» auszusprechen. In dieser Rolle hat er auch schon Kinder in einem Spital im islamistischen Emirat Katar besucht, das die Hamas mitfinanziert. Sein Song «Hind’s Hall» lieferte vor einem Jahr den Soundtrack für die antiisraelischen Aufmärsche und Randale an der Columbia University. Joe Biden, so heisst es darin, habe «Blut an den Händen».

Propaganda mit Adolf Hitler, Nelson Mandela und Holocaust

Natürlich will auch Macklemore nur Antizionist sein. Als er 2014 in Seattle als Kostümjude auftrat, mit schwarzer Perücke, Bart und riesiger Hakennase, will er nicht gewusst haben, welche Stereotype er bediente. Die Episode wäre kaum von Belang, wenn Macklemores Reden und seine millionenfach aufgerufenen Musikvideos nicht auch von Wahnvorstellungen und altbekannten Klischees durchzogen wären. Etwa, dass jüdisches Geld Medien und «Eliten» manipuliere.

Im Video zu seinem Lied «Fucked Up» wird eine Dollarnote eingeblendet, die mit einer israelischen Flagge verwoben ist. Dazu erscheinen Bilder der «Oligarchen» Trump, Bezos, Musk und Zuckerberg, die angeblich alles kontrollieren, so dass man nicht einmal mehr «#FreePalestine» sagen dürfe.

Aber, so rappt Macklemore in «Hind’s Hall» triumphierend, selbst wenn sie Tiktok verböten, sei es zu spät, «wir haben die Wahrheit gesehen». Tiktok ist ein Netzwerk, das bekanntlich geflutet wird mit Fake News und Hamas-freundlicher Propaganda. Passend dazu zitiert Macklemore den Slogan «From the river to the sea», mit dem Aktivisten verklausuliert zur Vernichtung Israels aufrufen. Im Video zu «Fucked Up» sind Demonstranten zu sehen, die ein Schild mit der Aufschrift «Widerstand ist gerechtfertigt» hochhalten.

Auch Bilder von Nelson Mandela und Adolf Hitler dürfen bei «Fucked Up» nicht fehlen, als ob die beiden in Gaza indirekt mitwirken würden. Hitler, so suggeriert Macklemore, stehe heute auf der Seite Israels. Damit es auch der Dümmste begreift, blenden Macklemores Videoproduzenten zwei Bilder gleichzeitig ein. Eines zeigt ein palästinensisches Kind. Das andere einen jüdischen Jungen im Warschauer Ghetto, der 1943 bei einer Razzia die Hände hochhält – wahrscheinlich bevor er in ein Vernichtungslager gebracht wird.

Die Botschaft, die damit seit Jahren von Rechtsextremen, Linksextremen, Islamisten und neuerdings auch postkolonialen Aktivisten verbreitet wird, ist klar: Die Israeli würden dasselbe mit den Palästinensern machen wie Hitler mit den Juden. Wer derartigen Unsinn verbreitet, muss heute nicht um seine Karriere bangen. Vielmehr kann er auf Applaus zählen.

Migros und Gurten führen Publikum in die Irre

Seit dem 7. Oktober, so schreibt der «Musikexpress»-Kolumnist Linus Volkmann, habe sich der Nahostkonflikt wie ein Fluch über die Pop-Welt gelegt. Wer sich als links und progressiv markieren möchte, schmücke sich mit einer Kufiya. Auch der «abgehalfterte weisse Rapper» Macklemore habe nach dem Flop seines Albums «Ben» eine neue Rolle gefunden, als vermeintlicher Nahostexperte. Er habe die Regeln des Marktes erkannt: «Antisemitismus sells».

Mit dieser Einschätzung steht Volkmann eher einsam da. Denn viele Medien mögen sich nicht ernsthaft mit Macklemores Weltbild beschäftigen. Die «Berner Zeitung» etwa erkennt im Song «Fucked Up» eine «bitterböse Kritik» an weisser Vorherrschaft. Dass Macklemore den Holocaust relativiert, ist für die Zeitung bloss ein Vorwurf. Das SRF wiederum findet, Macklemore sei «bekannt für seine sozialkritischen Texte».

Dabei führen manche Medien, Veranstalter und Sponsoren das Publikum bewusst oder unbewusst in die Irre. So erklärte eine Sprecherin des Gurtenfestivals Anfang April im «Blick», Macklemore spreche sich für «ein sicheres Leben aller Menschen aus, egal welcher Ethnie, Nationalität oder Religion». Seine Aussagen seien gemäss den Richtlinien der International Holocaust Remembrance Alliance (IHRA) nicht antisemitisch.

Die Medien sollen sich um anderes kümmern

Gleiches behauptete eine Sprecherin der Migros, die den Anlass sponsert. Die Aussagen sind in den Medien nicht hinterfragt worden, obwohl sie offensichtlich falsch sind. Denn die IHRA stuft die Behauptung, wonach die Existenz des Staates Israel ein rassistisches Unterfangen sei, als antisemitisch ein. Gleiches gilt für die Verbreitung von Stereotypen über die Macht von Juden, etwa über die Medien. Und es gilt auch für «Vergleiche der aktuellen israelischen Politik mit der Politik der Nationalsozialisten».

Auf Fragen der NZZ, wie man zu diesen irreführenden Interpretationen gekommen sei, verweist die Migros auf das Gurtenfestival. Dort wertet man die Medienanfrage als «Versuch, Menschen zu spalten» – und klagt darüber, dass man seit einiger Zeit Druck- und Nötigungsversuchen ausgesetzt sei, «was die Engagements verschiedener Künstler*innen angeht, die entweder aus Israel stammen oder sich kritisch zur israelischen Politik äussern».

Man orientiere sich jedoch weiter an der Kunst- und der Meinungsfreiheit. Tatsächlich gilt für Macklemore Ähnliches wie für die Band Kneecap. Über diese schreibt die englische Publizistin Julie Burchill, sie halte es für falsch, ihr den Mund zu verbieten. Aber sie sei auch nicht dafür, in dieser Band etwas anderes zu sehen «als die bisher letzte miese Fussnote in der judenhasserischen Geschichte des Katholizismus im Allgemeinen und des katholischen Irland im Besonderen».

Exit mobile version