Freitag, Oktober 11

Eine Netflix-Serie über eine Amerikanerin in Europa verzückt ein grosses Publikum – und belebt die Rivalität zwischen Italien und Frankreich.

Manchen mag Emily Cooper mit ihrer etwas naiven Art auf die Nerven gehen. Doch die Netflix-Telenovela, die die amourösen Verstrickungen der jungen, nach Paris migrierten Amerikanerin zeigt, ist ein Riesenerfolg. Eine Art «Sex and the City», geboren während der Pandemie, als alle vor ihren Bildschirmen sassen und sich ausmalten, wie schön die Welt da draussen doch eigentlich sein könnte.

«Emily in Paris», so der Titel der Serie, wurde diesem Bedürfnis gerecht. Die Serie zeigte Macarons und Mode, Bistrots und Bérets, dazu den Eiffelturm von allen Seiten, die Seine und die Tuilerien – eine einzige Aneinanderreihung von Klischees, die über inzwischen fünf Staffeln so lang wurde, dass sich selbst der Herr im Élysée-Palast, Emmanuel Macron, damit befassen musste. Die Serie sei «gut für das Image Frankreichs und super positiv», beschied der Präsident diese Woche in einem Interview mit «Variety», einem Branchenblatt der Unterhaltungsindustrie. Selbst Brigitte, seine Gattin, hatte schon einen kleinen Gastauftritt in einer der Episoden.

Statt Eiffelturm das Kolosseum

Dumm nur, dass Emily inzwischen, der Liebe folgend, erst einmal nach Rom weggezogen ist. Die Serie spielt mittlerweile in der italienischen Hauptstadt, wobei das Erfolgsrezept unverändert ist. Statt an der Seine spaziert Emily jetzt halt am Tiber, statt Croissants gibt’s Cornetti, und der Eiffelturm ist dem Kolosseum gewichen.

Nun sind «Roman Holidays» verführerisch, man weiss es nicht erst seit Audrey Hepburns und Gregory Pecks ikonischen Vespa-Touren über die Pflastersteine Roms. Wer sich einmal auf die Stadt einlässt, bleibt gerne hier. So steht zu vermuten, dass sich auch Emily länger in Rom niederlassen könnte. Wer möchte es ihr verargen, der Kaffee (und nicht nur er) ist um Welten besser hier!

Frankreichs Präsident freilich sieht das anders. Eine Serie mit dem Namen «Emily in Paris» in Rom spielen zu lassen, ergebe keinen Sinn, sagte er zu «Variety» – womit er ja auch nicht ganz unrecht hat. Der Präsident kündigte an, «hart dafür zu kämpfen», dass die junge Amerikanerin bald nach Paris zurückkehrt.

Das wiederum konnte Roms Bürgermeister Roberto Gualtieri nicht auf sich sitzenlassen. «Lieber Emmanuel Macron, Emily geht es in Rom sehr gut», schrieb er auf X und fügte an: «E poi al cuor non si comanda», frei übersetzt: Das Herz will, was das Herz will. «Lassen wir sie entscheiden», meinte Gualtieri und garnierte seinen Tweet mit einem Zwinker-Emoji.

Gut gegeben, Sindaco, möchte man ihm zurufen. Typisch italienische Antwort: Lasst die Liebe entscheiden! Für den Bürgermeister, der sonst nicht die Lockerheit in Person ist und als eher spröder Manager gilt, geradezu ein Volltreffer.

Gebt Ihnen die Gioconda!

Er hätte es damit bewenden lassen können und wäre wohl als Sieger aus der kleinen Stichelei zwischen den beiden europäischen Kulturmetropolen hervorgegangen – hätte er nicht gegenüber dem «Hollywood Reporter» nachgedoppelt und der Sache noch eine unnötig ernste Note gegeben. Ob Macron angesichts der Kriege auf der Welt und der Klimakrise nichts Besseres zu tun habe, als sich um eine Netflix-Serie zu kümmern, fragte Gualtieri.

Damit war es mit dem Spass fürs Erste vorbei, und zum Vorschein kam die alte Rivalität zwischen Italien und Frankreich, die die Beziehungen zwischen den Nachbarn seit je charakterisiert. Rom fühlt sich von Paris meist übergangen, und Paris seinerseits tut wenig, um diesem Eindruck entgegenzuwirken. In der Migrationsfrage und innerhalb der EU fliegen zwischen den beiden Ländern regelmässig die Fetzen. Unvergessen ist auch Giorgia Melonis vielsagendes Augenrollen bei der Begrüssung Emmanuel Macrons am letzten G-7-Gipfeltreffen in Apulien.

Dem breiten Publikum freilich ist das alles ziemlich egal. Seit Macrons Interview jagen sich die Witze in den sozialen Netzwerken. Einer meinte etwa: «Tauschen wir Emily doch gegen die Gioconda aus.» In der Tat: Da Vincis Mona Lisa würde sich auch in einem Römer Museum ganz gut machen.

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