Zwei Kunstschaffende schreiben für den Eurovision Song Contest ein Lied über die Schweiz. Die Reaktionen reichen bis zum Broadway. Was ist da los?

Wenn sich die Schweiz am Eurovision Song Contest inszeniert, dann ist Wilhelm Tell eine Frau. Und erst noch eine Schwedin. Es ist Dienstagabend, in Basel findet der erste Halbfinal des ESC statt. Zig Menschen wirbeln über die Bühne, besingen Fondue, Schoggi, Roger Federer. Mittendrin steht die schwedische Komikerin Petra Mede als Schweizer Nationalheldin.

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«Made in Switzerland» heisst die Show-Einlage der Schweiz. Die ESC-Moderatorinnen Sandra Studer und Hazel Brugger singen und tanzen, als hätten sie in ihrem Leben nie etwas anderes getan.

Eigentlich sollte diese Show ja ein Nebenschauplatz sein, eine Pausenunterhaltung, um das Publikum bei Laune zu halten. Doch das alles ist erstaunlich humorvoll. Auf Social Media werden Videos dieses Minimusicals millionenfach aufgerufen, Fans schreiben dazu: «Das ist der eigentliche Gewinner-Song des ESC.» Wie kam es?

Cellophan und Sparschäler

Der Schweizer Musikproduzent und Künstler Lukas Hobi und der Kabarettist und Texter Christian Knecht haben «Made in Switzerland» geschrieben. Hobi hat die Melodie komponiert, von Knecht stammt der Text.

Lukas Hobi ist seit zwanzig Jahren Mitglied von Bliss, einer Schweizer A-cappella-Gruppe. Daneben war er an der Produktion von zahlreichen Musicals beteiligt, zum Beispiel «Ewigi Liebi» oder «Billy Elliot». Im vergangenen Herbst fragte ihn die SRG, ob er das Lied für die Showeinlage produzieren würde. Später holte er Christian Knecht dazu, der schon zahlreiche Texte für Hobis A-cappella-Gruppe schrieb.

Am Freitagmorgen sind Hobi und Knecht noch immer völlig überrumpelt. Beide erzählen von zig Nachrichten, Anrufen und von einem Artikel von Broadway-World, einer Website für Nachrichten vom Broadway in New York. Darin bedauert die Autorin, dass das Lied nicht Teil des Wettbewerbs sei. Knecht sagt: «Dass ich auf dieser Seite einmal erwähnt werde, das hätte ich niemals gedacht.»

Dass das Gastgeberland für den Wettbewerb einen solchen Auftritt plant, ist üblich. Berühmt geworden ist zum Beispiel die irische Show «Riverdance» aus dem Jahr 1994, eine Mischung aus Stepptanz und keltischer Musik.

«Made in Switzerland» ist ein Ritt durch sämtliche Klischees und Stereotype, die die Schweiz zu bieten hat. Sechs Minuten lang singen Brugger und Studer vom Jodeln, von Uhren, von Käse und vom Skifahren. Irgendwann kommt die schwedische Komikerin Petra Mede als Überraschungsgast dazu, sie spielt Wilhelm Tell. Mede hat im vergangenen Jahr den ESC in Malmö moderiert.

Eine andere Szene handelt vom Teleshopping, Studer und Brugger präsentieren Cellophanfolie und Sparschäler. Die Erzählung: Alles wurde in der Schweiz erfunden. So wie der ESC. Tatsächlich fand die erste Ausführung des Gesangswettbewerbs 1955 in der Schweiz statt.

Aber das Lied ist auch frech, sogar ein Hauch ironisch. Auch die «neutrale Waffenindustrie» sei eine Errungenschaft der Schweiz, singt Hazel Brugger an einer Stelle. Und, ach ja, die Schweiz sei sowieso so unpolitisch wie der Eurovision Song Contest.

Welche Aussagen tolerierbar seien und welche nicht, habe man intensiv mit der SRG und der European Broadcast Union, die Organisatorin des ESC, besprochen, sagt der Musikproduzent Hobi. Das Produktionsteam habe sich viele Gedanken über potenzielle Reaktionen gemacht. Es gab auch polarisierende Themen, die in dem Lied keinesfalls vorkommen durften. Die Sterbehilfe, zum Beispiel. Der assistierte Suizid ist in der Schweiz legal, aber umstritten.

Die Schweiz hält mit

Zum Entstehungsprozess des Liedes sagt Hobi: «Die Ideen purzelten nur so aus mir heraus.» Hobi liebt Musicals. Deshalb findet man in dem Lied zahlreiche Anspielungen auf Musicals, zum Beispiel auf «Wicked», das in der Welt der Zauberer von Oz spielt.

Der Songwriter Knecht sagt, er habe nach der Anfrage nicht stillsitzen können und sofort drauflos geschrieben. Dabei war ihm das Sujet ESC bereits bekannt. Jahrelang hat er im Comedy-Duo «Maurizio & Fabrizio» den ESC parodiert. Etwas aber war neu: Für den ESC hat Knecht zum ersten Mal überhaupt einen Song auf Englisch geschrieben.

Für die kleine Schweiz ist der ESC ein grosses Spektakel, eine Kraftanstrengung. Als Nemo im vergangenen Jahr mit «The Code» den Wettbewerb gewann und es klar war, dass die nächste Ausgabe in der Schweiz stattfinden würde, mag sich manch einer gefragt haben: Kommt das gut? Denkt die Schweiz gross genug?

Der Songwriter Knecht stand bei «Made in Switzerland» als Einstein selbst auf der Bühne. Klar, bei der ersten Probe habe ihn die Show noch an «Benissimo» erinnert, an diese Unterhaltungssendung des SRF mit Beni Thurnheer, sagt er. Aber sie hätten viel geübt. Nun ist klar: Die Schweiz kann ESC.

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