Donnerstag, Dezember 26


Herbsttrends 2024

Komfort, Eskapismus und ein düsterer Unterton prägten die jüngste Fashion Week in Paris. Ausserdem gab der neue Designer von Alexander McQueen zu reden. Was erwartet uns modisch für Herbst und Winter 2024?

Darf sich eine Fashion Week noch Fashion Week nennen, wenn sie sagenhafte neun Tage dauert? Paris stellt mit seinem Monsterprogramm alle anderen Modewochen in den Schatten. Hier zeigen die ganz Grossen, gleichzeitig zieht es unbekanntere Brands in die französische Hauptstadt. Gegen Ende war die Müdigkeit vieler beruflich angereisten Gäste – Einkäufer, Journalistinnen, Influencer – nicht mehr zu übersehen. Doch war sie auch immer wieder rasch vergessen, sobald das erste Model den Laufsteg betrat.

Am meisten zu Reden gab das Debüt des Designers Seán McGirr bei Alexander McQueen. Es sind grosse Fussstapfen, in die der 35-Jährige nun tritt, nachdem Sarah Burton, die Nachfolgerin und langjährige Mitarbeiterin des 2010 verstorbenen Lee Alexander McQueen, ihren Posten letztes Jahr verliess. McGirr tat das mit entsprechend klobigen Schuhen, Pullovern mit massiven Rollkragen und Kleidern aus (buchstäblich) Stahl.

McGirr verwies auf McQueens ikonische «The Birds»-Kollektion aus 1994, aber Kritikern enthielten die Entwürfe nicht genug von dessen finsteren und doch romantischen Handschrift und schneiderischen Qualität. Seán McGirr hat eine Herkulesaufgabe zu meistern, und es wird sich nächste Saison zeigen, welche Richtung er längerfristig einschlägt.

Und abseits der Mode? Aufpäppelung war ein Thema: Bei der Show von The Row gab es Brot, Butter, Green Juice und ein Social-Media-Verbot, bei Stella McCartney vegane Beauty-Kapseln. Die an der Fashion Week wohl meistgesehene Prominente war die Sängerin Noah Cyrus, die kleine Schwester von Miley Cyrus. Die grösste Show war Louis Vuitton, mit um 4000 Gästen, einer riesigen, kreischenden Menge vor dem Louvre und einem im Cour Carrée eigens aufgebauten Pavillon.

Dazu gab es mehrere Ideen von Designern, die in der Mode-Community kontrovers diskutiert werden: Bei Miu Miu und Balenciaga sah man Skinny Jeans, während Ottolinger das Comeback des Sneakers mit Keilabsatz ankündigte. Auch Hüte in allen Formen und Farben waren unumgänglich. Langweilig wird es nicht.

Fünf grosse Modetrends von der Paris Fashion Week:

1. Gut gestiefelt

Aus Mailand (Schauplatz der Fashion Weeks eine Woche zuvor) nach Paris weiter stapften breite, oft derbe Stiefel mit hohem Schaft, unter anderem bei Rick Owens (mit Luft aufgeblasen, wie schon bei seiner Männershow im Januar), Sacai (wie steife Stulpen über spitzen Stilettos) und dem derzeit gehypten Nachwuchsdesigner Duran Lantink (flauschig).

Viele sehen aus wie Watstiefel und erinnern an das ikonische Foto von Johnny Cash aus den siebziger Jahren, das auf Social Media regelmässig die Runden macht. Diese Art von Schuh ist aus demselben Grund spannend, aus dem man Cashs Outfit nicht aus dem Kopf kriegt: Sie wirft die Proportionen komplett aus der Bahn. Eine spannende Ausgangslage für stilistische Experimente. Und praktisch, wenn man seine kurzen Sommerkleider nächsten Herbst noch nicht verstauen möchte.

Oder seine Miniröcke. Maria Grazia Chiuri zeigte bei Dior eine Hommage an die sechziger Jahre und die damals lancierte Kollektion Miss Dior, die jüngere Kundinnen abseits der Haute Couture ansprechen sollte. Ihre Stiefel, schwarz oder weiss und bis ans Knie, sind mit Miniröcken und schwarzen Rollkragenpullovern gepaart. Damals enorm zeitgeistig, heute klassisch.

2. Textur ist alles

Die Shows diese Saison wären auch interessant gewesen, ohne sie anzuschauen. Denn: Viele der Kleider konnte man hören, und alle wollte man fühlen. Ähnlich wilde und überbordende Texturen, wie sie vergangene Woche die Laufstege dominierten, sieht man sonst eher in der Haute Couture. Bei Akris, wo sich die Expertise von Albert Kriemler immer wieder auszahlt, war es Kaschmir, mal als Bouclé, mal gefilzt, mal ultraleicht und mal zu spielerischen Schlaufen gestrickt.

Glitzerndes Lametta – die Festlichkeit in Person – hüpfte beim eingefleischten Dries Van Noten an Schuhen und bei Newcomer Zomer an Mänteln über den Laufsteg. Und Jonathan Anderson nutzte bei Loewe Tausende kleine «Kaviar»-Perlen, um die Bilder des Malers Andrew York auf seinen Kleidern zu neuem Leben zu erwecken.

Dass Science Fiction und Sinnlichkeit einander nicht fremd sind, zeigte Nicolas Ghesquière mit seiner Jubiläumsshow für Louis Vuitton. Seit zehn Jahren schon entwirft er für das Modehaus die Damenkollektionen. Das ist heute keine Selbstverständlichkeit, wie die vielen Designer-Debüts der vergangenen Modewochen zeigen. Sicherlich ist sein Erfolg auch seiner Handschrift zu verdanken und der unten ausgestellten Silhouette, die er so geprägt hat. Die raschelnden, glitzernden Jupes, die mit jedem Schritt nach Aussen ausschlugen und mit gerade geschnittenen Oberteilen kombiniert waren, sind das beste Beispiel dafür.

Textur war auch bei Chanel wichtig, wo Virginie Viard die charakteristischen Silhouetten und Reverenzen des Hauses weiterhin gekonnt interpretiert. Die Pastellfarben des Normandie-Himmels ergänzte sie mit Tweed und Wolle, klar, aber überraschenderweise auch mit Schafspelz, der zu Jacken, Mänteln, hohe Stiefeln und Taschen geschneidert war. Sie sind inspiriert von Anouk Aimées Shearlingjacke im Film «Un homme et une femme» (1966) und werden, man kann es sich vorstellen, zu Sammlerstücken.

3. Bürotauglich, was war das nochmals?

Die Bedeutung von «Business Casual» wird seit der Corona-Pandemie auf der ganzen Welt neu verhandelt, aber besonders genüsslich dekonstruiert wird der Dresscode zurzeit auf dem Laufsteg. Das Schweizer Design-Duo Ottolinger tat dies unter anderem mit Blazern, die aussahen, als seien sie kurz in den Dokumentenschredder geraten, bevor sie gerettet und zusammengeflickt wurden.

Balenciaga hingegen führt nächste Saison zum ersten Mal seit langem Krawatten ein. Sie sind weich und ultralang und aus demselben Stoff wie die dazugehörigen Hemden gefertigt. Man vermutet, dass sie – wie vieles beim Modehaus – nicht ganz ernst zu nehmen sind. Ein guter Twist für ein Accessoire, das kaum eine andere Funktion hat, als den Träger als ernstzunehmend auszuweisen.

Und dann kam Miuccia Prada, seit Jahren Herausgeberin von cleveren Spielereien mit der Idee von professioneller Kleidung. Ihre neue Kollektion für Miu Miu mischte Damen- und Mädchenhaftigkeit kreuz und quer durcheinander: Perlen zum Pyjama, Lederschlappen zum Pencil Skirt. Das Resultat waren genüssliche modischer Anachronismen mit der Garderobe eines Frauenlebens. Das passende Backstage-Zitat lieferte Prada gleich nach: «Every single morning I have to decide if I am a 15-year-old girl or an old lady near to death.»

4. Mode für düstere Aussichten

Comme-des-Garçons-Designerin Rei Kawakubo sagte zu ihrer neuen Kollektion, sie verspüre Wut über alles auf der Welt, «vor allem über mich selbst.» Statt ihre Wut einzudämmen, gab sie ihr mit raumfüllenden Kleidern aus gefaltetem, geknöpften, gerüschtem, mit Stacheldraht bedrucktem Polyurethan eine Form. Bei Valentino schwor Pierpaolo Piccioli dem Pink vollständig ab und setzte ganz auf Schwarz.

Und bei Hermès, da regnete es auf dem Laufsteg schlicht in Strömen. Gibt es eine schönere Trostlosigkeit als das? Die Kleider von Nadège Vanhee-Cybulski waren zum Glück alles andere als trostlos: Jacken mit sanft, aber bestimmt betonter Taille, Ensembles in Tomatenrot oder hellem Gelb («Jaune Blé» heisst es, Weizengelb) und dieses glatte Leder, das die Designerin so präzis zu aalglatt wirkenden Kleidungsstücken formen kann. Nach dem Motto: Es gibt kein schlechtes Wetter, nur schlechte Kleidung.

5. Boho is back

Die schiere Masse an hölzernen Keilabsätzen in der ersten Reihe der Chloé-Show – sicherlich von der Marke für die berühmten Trägerinnen wie Clémence Poésy und Sienna Miller bereitgestellt – ist ein besonders potentes Signal dafür, dass der Boho-Look aus den nuller Jahren bald ein Revival feiern könnte. Mit Chemena Kamali, die vergangene Woche ihre erste Kollektion für Chloé zeigte, hat das Modehaus eine Kreativdirektorin, die neuen Wind, flattrige Seidenkleider und einen Sinn für spielerische Accessoires mitbringt. Wer hätte gedacht, dass eine Tasche mit goldenem Bananenhenkel eine gute Idee sein könnte?

Die Boho-Version von Ann Demeulemeester, unter Kreativdirektion des jungen Designers Stefano Gallici, ist etwas ernster und reduzierter, aber nicht weniger verführerisch. Ob die Kopfbänder mit Federn sich wieder durchsetzen, wird sich zeigen. Stella McCartney zumindest wäre vermutlich dabei, wären Federn nicht ein tierisches Produkt, was ihren Grundsätzen widerspricht. Als damalige Chloé-Designerin prägte sie den Boho-Chic wie keine andere. Es ist nicht verwunderlich, tauchten auf ihrem Laufsteg diese Saison perlenbestickte Tops auf, die Modellen von damals enorm ähnelten.

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