Die angebliche Krise des Mannes erfordert viel Körperarbeit. Neuerdings tun junge Männer alles, um markantere Gesichtszüge zu erhalten.

Männer in Mode und Werbung werden femininer. Volle Lippen, heller Teint, schmale Schultern, Perlen im Ohr. «Genderfluid» ist das Wort dafür. Das Bemühen, die traditionellen männlichen und weiblichen Schönheitsideale zu überwinden, ist gross. Nun gibt es von jungen Männern aber auch den gegenteiligen und umso stärkeren Wunsch: Gesichtszüge wie ein harter Kerl zu haben.

Dazu gehören ein kantiges Kinn und ein klar konturierter Kiefer, vielleicht noch hohe Wangenknochen und ein Muskel, der bei grosser Anspannung zuckt – so ein Gesicht gilt gemeinhin als männlich und schön. Denn so ein Mann strahlt aus, dass er entscheidungsfreudig und durchsetzungsstark ist.

Diese Eigenschaften werden seinem Aussehen zugeschrieben, ohne dass sie zutreffen müssen. Studien zum Dating-Verhalten zeigen: Frauen wählen Männer mit markantem Gesicht. Da können Gendertheoretiker nichts ausrichten, für die selbst erotische Anziehung ein soziales Konstrukt ist.

Neuerdings wollen junge Männer ihre Kieferpartie mit sogenannten Fitness-Kaugummis schärfen. Dem Trend begegnet man vor allem auf Tiktok, wo Marken wie Rockjaw oder Jawz (von «Kiefer») ihre Jawliner Chewinggums bewerben. Die Hersteller behaupten, die Produkte würden über 50 Gesichts- und Nackenmuskeln straffen und festigen, «jederzeit und überall». Das Baumharz ist bis zehnmal so hart wie dasjenige in normalem Kaugummi, was zu einem «geschnitzten Kiefer» führe.

Kopfweh, Knacken, Kieferschmerz

Wer also einen Kiefer haben will wie Johnny Depp, Brad Pitt, Robert Pattinson oder Jacob Elordi, der kürzlich Elvis spielte im Film «Priscilla», schiebt sich zwei Stück des Jawliner-Kaugummis in den Mund, wie es empfohlen wird. In unzähligen Videos dokumentieren die Nutzer den neuen Körperfetisch mit Vorher-nachher-Bildern. Der Kamerawinkel und das Licht dürften beim «erstaunlichen» Resultat mithelfen.

Es ist wissenschaftlich nicht erwiesen, dass das Muskeltraining des Gesichts die Kieferpartie schärft, also die Kaumuskeln wachsen lässt. Das Gesicht wird vielleicht eckiger. Aber man muss dafür auch eine entsprechende Knochenstruktur haben.

Kritische Konsumenten sagen zudem, nach fünf Minuten Herumkauen auf dem harten Material sei der Kiefer wund und knacke bei jedem Biss. Auch Kopfweh verursacht die Kauerei. Man kann sich vorstellen, was Zahnärzte und Kieferorthopäden dazu sagen.

Nun gibt es auch sanftere Methoden, sein Gesicht härter aussehen zu lassen. Beliebt für das Kiefer-Training ist das «Mewing». Beim «Miauen» wird die Zunge an den Gaumen gelegt, Mund geschlossen, Position gehalten. Sofort hat der Kiefer Kontur. Diese bekommt er oft sowieso mit zunehmendem Alter. Aber bis dahin geht es noch so lange.

Der Bart ist da, um zu bleiben

Die sozialen Netzwerke vergrössern jeden körperlichen Makel. Sie fördern so die Beschäftigung mit dem Körper zur Besessenheit. Man findet immer neue Stellen, die optimiert werden müssen. Dafür gibt es den Begriff «Looksmaxxing», von «Aussehen» und «maximieren»: Das Äussere wird dabei so verändert, dass es geschlechtsspezifischen Schönheitsnormen entspricht.

Das «Looksmaxxing» ist heute eine Bewegung. Ihren Ursprung hat sie in der Incel-Gemeinschaft. Incels sind Männer, die sich abgehängt fühlen und durch das Erstarken der Frauen bedroht. Sie feiern traditionelle männliche Eigenschaften, die das Innere und Äussere betreffen.

Mehr Mann bedeutet etwa auch mehr Haar im Gesicht, eine Mode, die sich bei Männern seit einigen Jahren hält. Auch der Bart als männliches Attribut ist eine Antwort auf die Krise der Männlichkeit. Nun steht der Bart aber im Widerspruch zur scharfen Kieferpartie, die er überwächst. Das Gute an Bärten ist wiederum, dass sie weiche Gesichtszüge in Gestalt eines schwach definierten Kiefers an einem Mann tarnen.

Es ist heute nicht einfach, ein Mann zu sein. Die Männer müssen fest die Zähne zusammenzubeissen. Und der kräftige Kiefer kommt von selbst.

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