Theater Basel zeigt «Empusion». Das Stück ist eine «Zauberberg»-Parodie nach dem gleichnamigen Schauerroman der polnischen Nobelpreisträgerin Olga Tokarczuk.
Als erstes Buch nach der Verleihung des Nobelpreises veröffentlicht die polnische Autorin Olga Tokarczuk 2022 einen provokanten, vieldeutigen Schauerroman, der es in sich hat. «Empusion» ist auf einer ersten Ebene eine feministische Parodie auf Thomas Manns «Zauberberg» und entfaltet ein wildes Panorama männlicher Frauenverachtung.
Tokarczuk legt den Figuren Originalzitate aus über zweitausend Jahren Kulturgeschichte in den Mund: von Plato über Augustinus, Thomas von Aquin, Schopenhauer, Darwin und Nietzsche bis hin zu Strindberg, Freud oder Sartre. Immer geht es um die geistige und moralische Minderwertigkeit des Weibes.
Mehr als Männer-Bashing
Die beklemmende Konstante der Misogynie über die Jahrtausende hinweg – mit Andeutungen aktueller Entwicklungen in autoritativen Regimen – wird auf der Bühne zwar zum abgründigen Vergnügen. Olga Tokarczuk will aber mehr als Mann-Parodie und Männer-Bashing. «Ich wäre nicht Autorin geworden, wenn es Thomas Mann nicht gäbe», betont sie. «Er ist einer meiner Meister.»
In «Empusion» taucht sie lustvoll ein in die Naturmystik ihrer Heimat, in die europäische Geistesgeschichte, in symbolistische Rätselhaftigkeit, Grusel, Kriminalistik und krude Kulinarik. Jedes Jahr kommen im Dorf ein, zwei Männer zu Tode. Man findet sie von weiblichen Spukgestalten, den Empusen, in Stücke zerrissen im Wald.
Fürs Theater Basel hat Lucien Haug den 400-Seiten-Roman auf ein Dutzend Dialogszenen von knapp 48 Seiten eingedickt. Erstaunlich, wie viel vom Zauber des Originals in dieser konzentrierten Spielfassung erhalten bleibt.
Sechs lungenkranke Männer treffen sich kurz vor dem Ausbruch des Ersten Weltkriegs im Sanatorium eines schlesischen Dorfes. Der Regisseur Antú Romero Nunes besetzt alle Rollen mit Frauen. Selten war eine gegengeschlechtliche Rollenbesetzung auf dem Theater stimmiger, zwingender, erhellender. Es steigert Horror und Komik, wenn Frauen breitbeinig Männerphrasen dreschen.
Im Zentrum steht – parallel zu Hans Castorp im «Zauberberg» – ein Student der Ingenieurwissenschaften, Wojnicz. Der nervöse Feingeist ringt um seine Identität und erweist sich am Ende als hermaphroditisches Zwischenwesen. Aenne Schwarz verleiht der verzweifelten Gespaltenheit eine anrührende Nähe. Ein zaghaftes Vertrauen entwickelt sich zwischen Wojnicz und dem Kunststudenten Thilo (Gro Swantje Kohlhof), während sich der erzkatholische Traditionalist Lukas (Charlotte Müller) und der Wiener Schriftsteller und Sozialist August (Sabine Waibel) kuriose Hahnenkämpfe liefern.
Die Doppelrolle des Gastwirts Opitz und des Kurarztes Dr. Semperweiss gibt Anne Haug die Gelegenheit zu rasanten Wechseln zwischen den beiden so konträren Charakteren. Schade nur, dass die Regie den Gastwirt in eine sprachlich plumpe Zwangsjacke schweizerischen Hochdeutsches steckt.
Das provokative Zwischenwesen
Dem einigermassen aufgeklärten Kurdoktor aber stehen zentrale Sätze des Abends zu – zum Beispiel wenn er sich an den hermaphroditischen Protagonisten wendet: «Mit ihrem Selbst zeigen Sie uns eine Welt des Dazwischen, die schwer zu ertragen ist, deshalb wecken Sie Unmut und Hass. Sie zeigen uns, dass die Welt grösser ist, als wir dachten. Sie sind Zündstoff, Wojnicz.» Selbst die Empusen als weibliche Rachegeister verschmähen am Ende dieses Zwischenwesen.
Der Abend bleibt in der ersten Stunde etwas zahm. Die Komik entfaltet ihre Sprengkraft erst, wenn sie in der zweiten Stunde bitterer und böser wird. Nun treten die mörderischen Zurichtungsrituale zu Härte, Militarismus und vermeintlicher Männlichkeit immer deutlicher und schmerzhafter zutage.