Montag, November 25

Die Russen mögen politisch kaum noch etwas zu sagen haben, der volkstümliche Spott gegen die Mächtigen, der tief in die Zeit der Sowjetunion zurückreicht, lebt weiter. Insbesondere Präsident Putin lässt man unzählige Verunglimpfungen angedeihen.

«Ja, ich wünsche mir den Sieg der Ukraine über den Faschismus, na und?» Dieser und andere Posts der siebzigjährigen Anastasia Gordienko auf der Social-Media-Plattform Odnoklassniki brachten ihr kürzlich eine bedingte Freiheitsstrafe von anderthalb Jahren ein. «Russland» und «Faschismus» würden als Synonyme verwendet, Russland werde damit als faschistischer Staat charakterisiert, befand das Gutachten der bestellten Kriminalexpertin.

Gordienko hat einen ukrainischen Namen, genauso wie das Dorf, aus dem sie kommt und das vor über hundert Jahren von ukrainischen Siedlern gegründet worden ist – Odesskoje in der Oblast Omsk. Sie und ihr Mann haben sich nicht von russischer Propaganda beeinflussen lassen, anders als viele andere ukrainischstämmige Dorfbewohner, die, paradox genug, auf Ukrainisch antiukrainische Parolen deklamieren und gegen ihr einstiges Heimatland in den Krieg ziehen. «Die Propaganda tat ihr Werk, aber wir hatten keine Zeit, sie zu schauen», sagt Anastasias Ehemann Sergei im Gespräch mit dem Oppositionsmedium OWD-Info.

Staatlichen Repressionen sieht sich die Bauernfamilie schon seit 2022 ausgesetzt – damals erhielt der ältere Sohn einen Stellungsbefehl; Anastasia sagte, sie würde eher das Kommissariat anzünden, als ihre Kinder in den Krieg ziehen zu lassen, und protestierte in Omsk mit einem Plakat: «Mütter, stoppt den Krieg!» Daraufhin wollte man sie des Extremismus oder sogar des Terrorismus anklagen, auch ihren Ehemann verfolgte man später wegen «Diskreditierung der Armee».

Für ihre Verurteilung sorgte nun nicht nur, dass sie Russland als faschistisch beschrieben, sondern auch, dass sie in einem anderen Post eine brüskierende Bezeichnung für Putin benutzt hatte: «Pukin».

Alphabetische Verzeichnisse

Die Referenz dieses Lexems sei als der Präsident der Russischen Föderation, Wladimir Wladimirowitsch Putin, zu bestimmen, das Bild des Präsidenten werde damit negativ beurteilt, erklärt das forensische Gutachten so amtssprachlich wie nur irgend möglich – dies im grotesken Kontrast zum begutachteten «Lexem». Denn «Pukin» ist ein ordinärer Kalauer; das russische Verb für furzen verschmilzt darin mit dem Namen des Präsidenten.

Dabei handelt es sich um eine der unzähligen Verunglimpfungen, die Ukrainer und regimekritische Russen dem Namen des verhassten Machthabers angedeihen lassen. Im Internet wird solche wortspielerische Despotenverspottung beinah zum Volkssport, die Majestätsbeleidigung zur Meisterdisziplin. Nicht nur existieren im Internet ganze Listen und alphabetische Verzeichnisse hämischer Putin-Namen – einschliesslich derjenigen seiner angeblichen Doppelgänger, von denen Verschwörungstheoretiker mindestens sieben kennen wollen. Beinah könnte man die gesamte Biografie des Präsidenten anhand seiner Spottnamen erzählen.

Als Kind und Jugendlicher soll Putin auf «Putja», «Put’ka» und «Putina» gehört haben, Namensformen, die bald mehr, bald weniger liebevoll interpretiert werden können. Heute verbreiteter ist das ähnlich kindlich, doch gröber wirkende «Pynja», das allerdings nicht auf Putins Jugendzeit zurückgeht. So hiess ursprünglich ein hässliches graues Männlein aus einer Animationsfilmreihe, das Zerrbild eines russischen Lehnstuhlliberalen, der gemütlich vom heimischen Computer aus über das eigene Land herzieht, ohne auch nur das Geringste zu leisten. In propagandistischer Hinsicht wenig erfolgreich, wurde «Pynja» später vom liberalen Gegenlager selbst aufgegriffen, umgedeutet und mit Putin identifiziert.

«Pynja», «Putja» oder «Put’ka» können zwar reichlich respektlos klingen. Dennoch bleiben sie semantisch harmlos: Sie sind reine Rufnamen ohne tieferen Sinn. Nur regional hat «Put’ka» tatsächlich eine Bedeutung: Truthuhn. Im deutschsprachigen Raum wiederum ist «Putinfleisch» nicht nur ein wiederkehrender Tippfehler auf Speisekarten, sondern präsentiert sich etwa als Schriftzug auf Hoodies, illustriert mit einer gerupften Pute.

In Russland hingegen wurden im Jahr 2017 Bikinis mit einer anderen Präsidenten-Geflügel-Kombi vertrieben: Darauf war Putin mit einer Gummiente in den Händen zu sehen. Lässt man bei Putin den Anfangsbuchstaben weg, meint man, es sei vom russischen Wort für Ente abgeleitet, und auf diese lautliche Assoziation gehen zahlreiche Kalauer zurück.

Schon früh war Putin der Märchenname «gadki putjonok» zugesprochen worden, also «hässliches Put-Entlein». Doch anders als im dänischen Märchen wurde das russische Entlein im Laufe der Zeit nicht etwa zum schönen Schwan, sondern nur noch hässlicher: Im Jahr 1999 erklärte Putin nach den vom Geheimdienst FSB orchestrierten Anschlägen in Moskau, man werde die Terroristen «in den Aborten kaltmachen»; dem Knastjargon entstammend, gelangte dieser Spruch zu zweifelhaftem Ruhm – und liess dessen Urheber prompt zum «WC-Put-Entlein» avancieren.

Die Zwerge im Kreml

Mit anderen animalischen und kaum schmeichelhafteren Namen war Putin schon während seiner Zeit beim Geheimdienst KGB bedacht worden, etwa «Graue Motte» oder «Zigarettenstummel» – vermutlich spiegelten sich darin seine Unscheinbarkeit und seine schmächtige Statur. Diese nahm man noch Jahre später, da er in den Kreml einzog, aufs Korn, indem man ihn «Gnom» und «Zwerg» taufte.

«Die Kremlzwerge» – so hiessen Putin und Medwedew zur Zeit ihrer scheinbaren Doppelregentschaft, die in der Namensfusion «Medwedoput» kulminierte. Es war dann Boris Johnson, der Putin mit dem verschrumpelten Schrumpfelf Dobby aus den «Harry Potter»-Filmen verglich. Deren Ähnlichkeit scheint derart frappant, dass manche spekulierten, Dobby sei nach Putins Vorbild geschaffen worden – und in Russland wollte man die Filmemacher dafür sogar juristisch zur Rechenschaft ziehen. Dass sich «Dobby» als Spitzname für Putin etablierte, war freilich nicht mehr zu verhindern. Seine dobbyartig glubschige Augenpartie verschaffte Putin überdies das griechisch-antik anmutende Attribut «Plötzäugiger» – die Plötze ist in Russland als Zubiss zu Wodka und Bier besonders verbreitet.

Solche Sprachkarikaturen konterkarierten Putins Machismo-Theater. Dieses musste ohnehin nach und nach dem Image eines zwar leicht tyrannischen, aber doch fürsorglichen Väterchens der Nation weichen: Der prollig-präpotente Kraftprotz wurde zum «Opa» – ein Wort, das im Russischen selten liebevoll, meist eher grob daherkommt, mehr «Oppa» als «Opa». Hinzu kam der rüde, schon für Lenin gebräuchliche «Glatzkopf», nochmals deftiger in Gestalt des doppelt maliziösen «Glatzzwergs». Und mit Blick auf Putins frühere Spionagetätigkeit ironisierte man ihn nun als den «greisen Tschekisten».

Nicht unbedingt frischer wirken liess ihn seine um dreissig Jahre jüngere Geliebte, die Turnerin Alina Kabajewa: Der Kontrast machte ihn umgekehrt zu «Kabajew dem Alten». Das suggerierte mit doppelbödiger Häme, er habe ihren Nachnamen angenommen, während er sie in Wahrheit noch nicht einmal heiraten wollte – «traditionelle russische Werte» hin oder her.

Genauso wenig halfen dem alternden Diktator die zahlreichen kosmetischen und schönheitschirurgischen Verjüngungsversuche – weder in optischer Hinsicht noch als Remedur gegen die Altersschmähungen. Ganz im Gegenteil: Aus dem «Opa» wurde nunmehr der «Botox-Opa». Und die ironisch-panegyrische Rede vom «Sonnengesichtigen» schien plötzlich auf die Form seines omnipräsenten Gesichtes anzuspielen, das durch unterspritzte Filler zum bleichen Rund aufgedunsen war.

Während dieser sogenannte «Kremlpatient» immer mehr ästhetische und medizinische Behandlungen zu benötigen schien, sorgte sich der politische Widerstand eher um seine geistige Gesundheit. So mit der Phrase «Opa, schluck Tabletten»: Einst mit ähnlicher Stossrichtung wie «Okay, Boomer» gebraucht, richtete man sich damit 2021 an Putin, um gegen die Inhaftierung von Alexei Nawalny zu protestieren. Dieser hatte schon zuvor, als Putin sich in seinen Bunkern vor Covid versteckt hielt, den «Botox-Opa» zum «Bunker-Opa» aktualisiert.

Bunker und Unterhosen

Der «Bunker-Opa» wiederum mutierte seit Kriegsbeginn immer häufiger zum «Bunker-Führer». Noch direkter war da nur die Personalunion «Putler», hin und wieder zu «Wladolf Waldemarowitsch Putler» erweitert. Diverse andere Autokraten, Diktatoren und Tyrannen dienten ebenfalls als Folie: «Kim Jong Pu», «Pugabe», «Putinescu» und «Putinochet», daneben «Caligula der Zweite», «Beinahpoleon» oder sogar «Vlad the Annexer».

«Wladimir Borgia» nannte man Putin, um ihn als Vergifter seiner Feinde vorzuführen – vor allem mit Blick auf Nawalny, dessen Unterhosen, gewiss auf höchstes Geheiss, mit dem Nervengift Nowitschok präpariert worden waren. In seinem letzten Wort vor Gericht erfand Nawalny deshalb einen weiteren königlichen Beinamen für seinen Widersacher: «Es gab Alexander den Befreier und Jaroslaw den Weisen, nun werden wir auch Wladimir den Unterhosenvergifter haben.»

Nicht minder royal klang die Titulatur «Zar Wladimir der Nullte» – ein Ausdruck von vielen, die Putins Bestreben persiflierten, sich für immer und ewig auf Russlands Thron zu behaupten: 2020 ratifizierte die Staatsduma eine Gesetzesnovelle zur «Nullifizierung der Amtszeit», die es dem Präsidenten erlaubte, sein Amt über mehr als zwei Fristen hinweg zu bekleiden. Das bescherte Putin den obigen Herrschertitel nebst weiteren Variationen – zum Beispiel «obnuljator», also etwa «Nullifizierer». Aus gleichem Grund beschwört man Putin noch heute raunend als den «Unablösbaren».

Pointierter ist allerdings die geschickte Abwandlung von «president» zu «peresident», also vom «Vorsitzenden» zum «Übersitzenden». Wie von einem Produkt, dessen Haltbarkeitsdatum überschritten ist, spricht man von ihm als dem «Verfallenen» oder «Abgelaufenen». Immerhin preist man ihn aber auch als «Garanten der Instabilität» angesichts seiner von Krisen und Katastrophen geprägten Dauerherrschaft. Und deren herbeigesehntes Ende antizipiert der Name «Kaputin».

Diesen Spottnamen darf man allerdings auch auf die Zerstörungswut des rasenden Präsidenten beziehen, womit er sich auch in der Bedeutung dem klangähnlichen «Chaputin» annähert. Im Letztgenannten wird das ukrainische oder russische Verb für raffen, schnappen hörbar: Kleptokratie, Korruption und Landraub gehören also zum Wesen «Schnapputins».

Auf seine verbrecherischen Qualitäten zielt eine eigene Gruppe von Verbalinjurien ab – die sich damit der Ursprungsbedeutung seines echten Namens annähern. Verehrer und Patrioten schliessen «Putin» zwar gern an das Wort «puti», also Weg, an: Er sei der Mann, der Russland auf den richtigen Weg führen werde, in eine herrliche Zukunft, zurück zu imperialer Grösse, als Wegweiser und Wegbereiter einer neuen Ära. Geradezu gegenteiligen Sinn offenbart allerdings – laut der Philologin und Lyrikerin Olga Sedakowa – die tatsächliche Etymologie, die wirkliche Herkunft des Namens: Er gehört zur Wortfamilie um «puty» und hat also mit Ketten, Fesseln, insbesondere Fussfesseln zu tun. Nomen est omen: Nicht nur Putins geistiger, sondern auch sein sprachlicher Kern steht im Bannkreis von Gefangenschaft, Straflager, Verbrechen und Unrecht.

Im Dunstkreis der Mafia

Der Präsident wird insofern durchaus treffend als der oberste Mafioso Russlands verstanden und beispielshalber als «Kremlpate» tituliert. Von seiner Brutalität ist eine abermalige Zwergvariation inspiriert, nämlich der «Blutige Zwerg», der mit dem englischen «Bloodymir» korrespondiert. Vor allem aber kann das russische Wort für Leiche, «trup», erstaunlich leicht in seinen Namen hineingelesen werden: «Trupin». Mit derart martialisch-morbiden, sprachdrastischen Formeln sollen Putins Greuel auf den Begriff gebracht werden.

Andere stellen umgekehrt Putins Nichtigkeit mokant aus und strafen ihn mit totaler Geringschätzung. Da wäre etwa die Verstümmelung von «Putin» zum bedeutungslosen, lächerlichen, winzigen «Pu», das nicht selten in der sarkastisch-paradoxen Kombination «der grosse Pu» auftritt. Genauso wie «russland», «kreml» und ähnliche Wörter wird «putin» zum Zweck der Herabsetzung oft einfach kleingeschrieben, in der Ukraine sogar vonseiten staatlicher Organisationen und zumal der Presse. Omnipräsent ist im Internet übrigens auch «puten» – eine subversive, despektierliche Falschschreibung, in der Aussprache kaum hörbar.

Deutlicher wird hingegen das angeekelte «Pfuitin». Und noch weitaus deutlicher das blamable «Bljadimir», worin die erste Silbe von Wladimir durch eine obszöne Partikel ersetzt ist. Manchmal ergänzt «Bljadimir» die verschiedenen Verunglimpfungen des Nachnamens – darunter die wohl beliebteste und zugleich derbste: «Puilo». Zu einem Wort verdichtet findet sich darin der Spruch «Putin – chuilo», der, von ukrainischen Fussballfans erfunden, Putin mit einem höchst unflätigen phallischen Schimpfwort belegt.

Auch wenn all diese Verunglimpfungen in Russland zunehmend geahndet werden – dem Regime kann Majestätsbeleidigung kaum gefährlich werden, und leider hat noch so scharfer Spott bislang keine einzige Diktatur zu Fall gebracht. Andernfalls wäre der Kriegsverbrecher Putin längst auf seine Namensherkunft verwiesen und läge in Ketten – «puty».

Alexander Estis, geboren 1986 in Moskau, ist Schriftsteller und lebt in der Schweiz. 2020 erschien sein «Handwörterbuch der russischen Seele».

Exit mobile version