Donnerstag, Mai 15

Die Messerattacke bei einer islamkritischen Veranstaltung in Baden-Württemberg hat nicht nur in der Bevölkerung zu einer tiefen Verunsicherung geführt. Auch bekannte Islamkritiker sind unter Druck. Die NZZ hat mit fünf von ihnen gesprochen.

Vor wenigen Tagen erlag der Polizist, den ein Islamist in Mannheim erstochen hatte, seinen Verletzungen. Der Messerangriff auf ihn und den islamkritischen Aktivisten Michael Stürzenberger hat eines vor Augen geführt: Den politischen Islam öffentlich zu kritisieren, ist in Deutschland gefährlich. Menschen wie Ahmad Mansour, Susanne Schröter, Eren Güvercin, Hamed Abdel-Samad und Seyran Ates tun das regelmässig. Die NZZ sprach mit ihnen über Ängste, Gefährdungsstufen und darüber, ob die Einschüchterungsversuche bei ihnen wirken.

Herr Mansour, wie ging es Ihnen, nachdem Sie von dem Polizistenmord erfahren hatten?

Am Anfang war ich geschockt, traurig, und dann folgte die Angst. Seit dem 7. Oktober ist mein Leben und das Leben viele anderer nicht mehr das Gleiche. Aber mitzubekommen, dass Menschen, die sich kritisch mit dem Islam auseinandersetzen, um ihr Leben fürchten müssen, ist leider nicht neu. Das haben Salman Rushdie und andere Fälle gezeigt. Das bestimmende Gefühl seit dem Wochenende ist Angst.

Sie leben seit Jahren unter Polizeischutz und werden massiv bedroht.

Ich finde es beschämend, dass «wir» Angst haben müssen und nicht unsere Gegner. Die sind mittlerweile so selbstbewusst geworden, dass sie überhaupt kein Problem damit haben, uns zu beschimpfen, zu diffamieren, fertigzumachen und uns auf offener Strasse zu bedrohen.

Wie muss man sich das vorstellen?

Manchmal, wenn ich mit dem Auto unterwegs bin, wird von aussen gespuckt. Das ist eine Stimmung, die ich in Iran oder Gaza erwartet hätte, aber nicht in Deutschland. Bei jeder Bedrohung, die von Rechtsradikalen kommt, gerät die ganze Republik in Unruhe. Aber wenn ich – seit Jahren – darauf hinweise, dass es auch eine andere extremistische Gruppierung in diesem Land gibt, dann habe ich das Gefühl, die Leute denken: «Er ist eigentlich selbst schuld.»


Frau Schröter, was beschäftigt Sie gerade?

Als mir das Landeskriminalamt Hessen im Jahr 2017 mitteilte, dass mir eine Gefährdungsstufe wegen einer islamistischen Bedrohung zugeteilt wurde, war ich schockiert. Wer sich mit islamischem Terrorismus beschäftigt, weiss, dass es nicht viel bedarf, um ins Visier von Fanatikern zu geraten, die keinerlei Skrupel besitzen, Menschen zu ermorden.

Gibt es eine Veränderung seit 2017?

Ja, in den sozialen Netzwerken schüren sie den Hass auf vermeintliche Feinde des Islam, zu denen liberale Muslime ebenso gehören wie Islamismuskritiker. Regelmässig veröffentlichen Gruppen wie «Realität Islam» und «Generation Islam» Bilder und Namen von allen, die sie als ihre Feinde betrachten, mehrere Male auch von mir. Spätestens seit dem Mord an dem französischen Lehrer Samuel Paty wissen wir, wie gefährlich das ist.

Was bedeuten die Ereignisse von Mannheim für Sie als Publizistin?

Das Signal, das von dieser Tat ausgeht, ist fatal. In einem Land, in dem Religionskritik zum guten Ton gehört und ganze Satiremagazine von respektlosen Darstellungen christlicher Würdenträger leben, wagt sich schon jetzt kaum noch jemand, den Islam zu kritisieren. Selbst der islamische Extremismus verschwindet in einer Tabuzone. Auch für Muslime, die einen zeitgemässen Islam leben, bedeutet dies, sich nicht öffentlich zu zeigen und lieber den Mund zu halten.


Herr Güvercin, kannten Sie den Aktivisten Michael Stürzenberger?

Ich habe einige Kundgebungen von Herrn Stürzenberger live erlebt. Dabei kam es auch zu Wortgefechten mit Muslimen, die da zufällig vorbeiliefen. Ich habe mir immer wieder die Frage gestellt, wann es zu einer direkten Konfrontation kommt. Als ich dann das Video von der Messerattacke sah, das im Netz kursierte, war ich entsetzt, aber auch nicht verwundert.

Warum nicht?

Weil man seit dem 7. Oktober, seit dem Terrorangriff der Hamas auf Israel, schon eine gewisse Enthemmung in der islamistischen Szene in Deutschland beobachten kann. Vor allem in den sozialen Netzwerken radikalisiert sich die Rhetorik. Es war eigentlich nur eine Frage der Zeit, bis es zu so einer schrecklichen Tat kommt.

Fühlen Sie sich selbst stärker bedroht?

Seit dem 7. Oktober bemerke ich eine neue Intensität der Beleidigungen und auch Bedrohungen über die sozialen Netzwerke. Aber ich kenne das seit vielen Jahren, also ist es für mich nichts Neues. Ich lasse mich davon nicht einschüchtern. Aber wenn ich in Berlin unterwegs bin, werde ich nicht unbedingt in der Sonnenallee allein Kaffee trinken.


Herr Abdel-Samad, hat sich seit dem Anschlag in Mannheim etwas für Sie verändert?

Die Bedrohung kommt näher, und man fragt sich natürlich: Wann bin ich dran? Das ist das Erste, was mir durch den Kopf ging.

Was ist das Zweite?

Ob alle unsere Warnungen in den letzten Jahren umsonst waren. Ich fühle mich oft wie ein einsamer Rufer in der Wüste. Und wie hat sich eine Minderheit eine politische Elite schaffen können, die das Problem des Islamismus so herunterredet? Aus der politischen Tagesordnung ist es verbannt.

Der Kanzler Olaf Scholz hat es heute in seiner Regierungskritik zum Thema gemacht. Was erwarten Sie sich davon?

Ich glaube Politikern kein Wort mehr. Ich habe so oft gehört, dass etwas nicht geduldet werden kann – und dann duldet man es doch. Nach dem Breitscheidplatz kamen exakt die gleichen Verlautbarungen wie jetzt. Nach den fürchterlichen sexuellen Übergriffen auf Frauen in der Kölner Silvesternacht 2016/17 haben wir erwartet, dass mehr für die öffentliche Sicherheit getan wird, mehr für die Sicherheit von Frauen. Nichts ist passiert. Stattdessen steigt die Zahl der Gruppenvergewaltigungen. Wenn, dann erwarte ich von der Bevölkerung, dass sie aufwacht und sich mit Lippenbekenntnissen nicht mehr begnügt.

Sie leben seit zehn Jahren unter 24-stündigem Polizeischutz. Ändert der Polizistenmord von Mannheim etwas an den Sicherheitsvorkehrungen?

Es kann bei mir nicht höher gehen. Ich habe bereits die höchste Sicherheitsstufe.


Frau Ates, was hat Sie in der vergangenen Woche am meisten überrascht?

Mich schockiert, wenn Linke nun sagen, der Messerangriff des Islamisten werde von rechts instrumentalisiert. Dabei werden Solingen und Hanau seit Jahren von linken Politikern ausgeschlachtet, um gegen rechte Politik Stimmung zu machen. Die Ungleichbehandlung von Sylt und Mannheim ist eine bodenlose Frechheit. In Mannheim ist ein Mensch ermordet worden.

Wie reden Sie mit Ihren Personenschützern über mögliche Angriffe?

Wenn mir etwas passieren würde, würden sich meine Schützer, ich nenne sie meine «Schutzengel», dazwischenstellen. Als ich die Bilder des Polizisten sah, dachte ich, dasselbe könnte auch meinen Engeln passieren. Ein entsetzlicher Gedanke. Wir sind wie gelähmt.

Ihre Schützer würden sich dazwischenstellen?

Ja, natürlich, das ist schon passiert. Ich wurde an einem Bahnhof von einem muslimischen Mann angegriffen, er schrie: «Ates, du machst den Islam schlecht!» Meine Schützer brachten mich weg von ihm, aber einer blieb mit ihm allein. Hätte er ein Messer oder eine andere Waffe gehabt, hätte das schlimm enden können.

Wie blicken Sie in die Zukunft?

Die Gesellschaft – aber vor allem unsere Regierenden – leugnen wider besseres Wissen, wie viele aggressive Islamisten im Land leben. Unsere offene Gesellschaft ist ernsthaft bedroht und hat sich schon negativ gewandelt. Ich bin jetzt 61 Jahre alt. Ich weiss, dass ich in Deutschland nicht ohne Personenschutz leben kann. Daran wird sich nichts ändern. Ich kann hier nicht alt werden.

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