Dienstag, Oktober 8

Am Montag wird die Tamedia-Belegschaft über eine «neue Strategie» informiert. Es wird mit Druckereischliessungen und Entlassungen gerechnet. Mitarbeiter sind beunruhigt.

Das schulterlange Haar sorgfältig frisiert, die Hände zu einer halben Merkel-Raute gefaltet, steht sie vor der Kamera und begrüsst die «lieben Kolleginnen und Kolleginnen». Man wolle, so sagt sie auf Hochdeutsch, «neue Wege beschreiten», die «Herausforderungen eines multilingualen Unternehmens» meistern und «euch alle auf dem Weg der Transformation» mitnehmen.

Die Frau, die da in einem internen Video zu den rund 1800 Mitarbeitern von Tamedia spricht, sieht täuschend echt aus. Aber sie ist nicht echt. Sie ist mit künstlicher Intelligenz kreiert worden. Ein Avatar, mit dem sich Jessica Peppel-Schulz manchmal an die Belegschaft wendet, wenn wieder eine ihrer obligatorischen «All Inn»-Sitzungen ansteht. Ihr künstliches Alter Ego spricht neuerdings auch perfekt Französisch, das sie im echten Leben nicht beherrscht.

Die letzte Sparrunde ist noch nicht lange her

Jessica Peppel-Schulz ist seit Herbst 2023 CEO von Tamedia, dem grössten privaten Medienhaus in der Schweiz, das den «Tages-Anzeiger», die «Basler Zeitung», die «Tribune de Genève» und weitere Blätter herausgibt. Intern fällt die 54-jährige Deutsche vor allem durch ihre spezielle Kommunikation auf. «Unser Avatar» nennen sie manche Mitarbeiter, und in der Welschschweiz hat man etwas irritiert zur Kenntnis genommen, dass man vorwiegend mit einem Sprachroboter kommuniziert.

Doch Jessica Peppel-Schulz sorgt derzeit nicht nur für Heiterkeit. Denn sie ist von Pietro Supino engagiert worden, dem Präsidenten der TX-Gruppe – um zu sparen. TX besitzt unter anderem die Medienhäuser Tamedia und «20 Minuten», das grosse Geld verdient der Konzern jedoch längst in anderen Sparten als im Journalismus. Supino hat den Tamedia-Zeitungen und «20 Minuten» schon mehrere, von lauten Protesten begleitete Sparrunden verordnet. Die letzte im Herbst 2023, als bei TX 80 Stellen gestrichen wurden, davon 28 bei den Tamedia-Titeln in der Romandie.

Nun drohen weitere Einschnitte. Am Montagabend werden die Tamedia-Mitarbeiter über eine «neue Strategie» des Unternehmens informiert, am Dienstagmorgen präsentiert der Konzern die Halbjahreszahlen und lädt zu einem «exklusiven Mediengespräch» mit Jessica Peppel-Schulz. Da die Massnahmen börsenrelevant sind, herrscht höchste Geheimhaltung, nicht einmal hohe Kader sollen eingeweiht sein.

Gratis-Abo gestrichen, dafür gibts ein Handy

Gemäss internen Quellen hat Jessica Peppel-Schulz den Auftrag, die Umsätze der Zeitungen stark zu steigern. Denkbar sind weitere Zusammenlegungen von Redaktionen, vermehrter Einsatz von künstlicher Intelligenz, baldige Druckereischliessungen und Entlassungen. Bereits bekannt ist, dass die TX-Gruppe ihre drei verbliebenen Druckerei-Immobilien in Zürich, Bern und Lausanne verkaufen will. Besonders in der Romandie orten Branchenkenner weiteres Sparpotenzial. Die derzeitigen TX-Strukturen mit vier grösseren Zeitungen («24 heures», «Tribune de Genève», «Le Matin Dimanche» und «20 minutes») liessen sich in einem kleinen Markt kaum weiterführen.

Schon heute publizieren die Redaktionen in Genf und Lausanne übersetzte Artikel aus der Deutschschweiz, weil sie zu wenig Ressourcen haben. Aber auch die Deutschschweizer Tamedia-Titel haben wie fast alle Zeitungen das Problem, dass der Online-Journalismus die wegbrechenden Werbe- und Abo-Einnahmen im Printbereich bis anhin nicht ersetzen kann.

Als Jessica Peppel-Schulz bei Tamedia angestellt wurde, pries Pietro Supino ihre «ausgewiesene Transformationskompetenz». Auch sie selber spricht gerne von «Transformation» und «Kulturwandel», denn die Menschen müssten sich «mitverändern». Dass sie dazu gewisse Belehrungen für nötig hält, zeigte die Managerin kurz nach ihrem Amtsantritt. Sie strich den Mitarbeitern per 2025 das Gratis-Abo für die Printzeitungen und schenkte ihnen dafür ein Handy.

Die Zeitung, so ihre implizite und nicht eben neue Botschaft, lasse sich auch auf dem Bildschirm lesen. Schliesslich, so erklärte sie den Schweizer Verlegern an der diesjährigen Dreikönigstagung, müsse man die Leute «mitnehmen auf den digitalen Weg» und sie lehren, in «360-Grad-Content zu denken». Solche Sätze sagt Peppel-Schulz oft. In den Interviews, die vor ihrer Anstellung bei Tamedia von ihr erschienen sind, spricht sie von «individueller Customer Journey», von «Human Digital Transformation» und von – spätestens hier müssen wohl auch die meisten Journalisten googeln – «Content-Syndizierung».

Bei Condé Nast räumt sie auf – und muss gehen

Geboren ist Jessica Peppel-Schulz 1970 in Hamburg. Sie ist gelernte Volkswirtin und war lange in der Marketing- und Telekommunikationsbranche tätig, etwa als Chefin der Firma UDG oder bei AOL. 2019 wechselte sie als CEO zum Verlag Condé Nast Deutschland, der die deutschsprachige Version der People-Magazine «Vogue», «Glamour» und «GQ» herausgibt.

Auf einem Video ist sie bei der «Men of the year»-Gala von «GQ» zu sehen, wie sie in einem weissen Kleid das Publikum begrüsst. «Ihr seht einfach phantastisch hammermässig aus», sagt sie, «Wahnsinn!» Ihren neuen Mitarbeitern habe sie sich so vorgestellt: «Ich bin Jessica, Ehefrau, Mutter und Emanze.» Bei aller Nahbarkeit muss Peppel-Schulz jedoch auch bei Condé Nast sparen, Redaktionen zusammenlegen und 19 Leute entlassen. Dies unter dem Arbeitstitel «Beautiful growth».

Die vorherige Führung, so sagt sie im Sommer 2021 der Zeitung «Standard», habe «das Thema Digital total vernachlässigt». Aber sie glaube an die gedruckte Presse, liebe Print und die «wahnsinnige Heritage» des Journalismus. Zu jener Zeit ist Peppel-Schulz bereits nicht mehr bei Condé Nast. Denn das Unternehmen streicht die Posten der Länderchefs. Diese werden gewissermassen Opfer jener «Transformation», die sie selber vorangetrieben haben. Peppel-Schulz kündigt an, ihr «Wertegerüst neu zu ordnen» – und wird im Frühling 2023 als neuer Tamedia-CEO vorgestellt.

Damals kennt sie kaum jemand. Obwohl ihre Qualitäten als Macherin unbestritten sind, gibt es bei Tamedia bis heute Zweifel, ob die Managerin am richtigen Ort ist. Ihre Erfahrung im journalistischen Geschäft, so monieren Kritiker aus dem Umfeld der Führungsetage, halte sich in Grenzen. Den Schweizer Markt kenne sie kaum. Dafür habe sie deutsche Berater mitgebracht, die das gleiche Manager-Denglisch pflegten und wenig Interesse für lokale Eigenarten zeigten. Im persönlichen Umgang durchaus sympathisch, sei Peppel-Schulz kaum fassbar geworden, trotz allen «All Inn»-Konferenzen.

In der Welschschweiz wurde sie nach Aussagen von Mitarbeitern selten gesichtet, da sie meist via Avatar mit Genf und Lausanne kommuniziert. Dort ist die Angst gross, dass von der journalistischen «Heritage» nicht viel übrig bleiben wird, wenn es so weitergeht.

Für ein Interview hatte Jessica Peppel-Schulz in den letzten Tagen keine Zeit, Fragen lässt sie schriftlich über die TX-Medienstelle beantworten. Sie habe sich, so betont sie, intensiv mit dem Schweizer Markt beschäftigt, der Austausch mit allen «tollen Kolleg:innen» in den Landesteilen liege ihr sehr am Herzen. Die Westschweiz werde auch künftig ein «zentraler Markt» für Tamedia sein. Der Printbereich bleibe für das Medienhaus «noch über viele Jahre hinweg wichtig». Deshalb wolle man unter anderem die Herstellkosten senken, «einschliesslich Produktion, Druck und Logistik».

Was das heisst, wird man in den nächsten Tagen erfahren. Alle, das ist in dieser Branche klar, können auf dem Weg der Transformation nicht «mitgenommen» werden, wie es in der Managersprache heisst. Das gilt manchmal auch für Manager selbst, wie Jessica Peppel-Schulz aus eigener Erfahrung weiss.

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