Wenn die grosse Steuerreform gelingt, haben traditionelle Familien mit einem Hauptverdiener nichts Gutes zu erwarten. Politisch sind die nächsten Tage entscheidend. FDP und SP haben sich verheddert.

Herr und Frau Biedermeier versteuern gemeinsam ein Einkommen von 200 000 Franken. Sie leben nach der alten Rollenteilung, er kümmert sich um das Geld, sie um Haus und Kinder. Mit einem Nebenjob trägt aber auch sie ein wenig zum Familienbudget bei. 90 Prozent der Einnahmen kommen von ihm, 10 Prozent von ihr.

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Ganz anders Herr und Frau Neumeier: Sie versteuern ebenfalls 200 000 Franken, teilen sich aber die Aufgaben daheim auf, beide bringen gleich viel Geld nach Hause.

Heute zahlen beide Haushalte ähnlich viele Bundessteuern. Wenn sie zwei Kinder haben, zahlen die traditionell organisierten Biedermeiers 7300 Franken, die Neumeiers 6700 Franken (alle Zahlen gerundet).

In Zukunft könnte sich das drastisch ändern. Das «moderne» Paar würde massiv entlastet, die Steuerrechnung der Neumeiers beliefe sich auf nur noch 2500 Franken. Die Biedermeiers hingegen müssten 10 600 Franken abliefern, 3300 Franken mehr als heute – und fast 8000 Franken mehr als die Neumeiers.

Was heisst «Einkommen»?

fab. Die Zahlen im Text und in den Grafiken stammen von der Eidgenössischen Steuerverwaltung. Ihre Analysen zur Individualbesteuerung basieren auf dem steuerbaren Einkommen zuzüglich mehrerer Steuerabzüge (u. a. für Kinder). Wer brutto zum Beispiel 150 000 Franken verdient, findet sich in den Grafiken bei etwa 130 000 Franken.

Das ist kein Einzelfall. Die Reform würde sich auf gutsituierte Haushalte mit gleichem Gesamteinkommen ungleich auswirken: Ehepaare mit gleichmässiger Verteilung profitieren, die anderen legen drauf. Laut Steuerdaten des Bundes gibt es total rund 600 000 «Ein-Verdiener»- und 1,5 Millionen «Zwei-Verdiener»-Paare.

Die eklatanten Unterschiede mögen erstaunen, aber so ist es tatsächlich geplant. Das Parlament will die Individualbesteuerung einführen. Unterstützt wird die Reform von SP, FDP, Grünen und GLP, während SVP und Mitte dagegen sind. Es wäre ein grundlegender Systemwechsel: Heute gelten Ehepaare als Wirtschaftsgemeinschaft, sie werden zusammen veranlagt und besteuert. Künftig soll der Fiskus Verheiratete wie zwei Individuen behandeln.

Der Vorteil liegt auf der Hand: Die Unterschiede nach Zivilstand würden wegfallen. Die «Heiratsstrafe», von der eine Minderheit der Ehepaare betroffen ist, wäre kein Thema mehr. Das wäre ein grosser Fortschritt.

FDP-Vorschlag führt zu Steuererhöhungen bis 1900 Franken

Gross wären aber auch die Nachteile. Die Abschaffung der «Heiratsstrafe» wird erkauft mit einer Art «Patriarchenstrafe». Ehepaare und Familien, die traditionell organisiert und relativ finanzstark sind, bei denen ein Elternteil mehr oder weniger das ganze Einkommen erzielt, wären die Verlierer der Reform. Sie betrifft generell vor allem Haushalte mit hohen Einkommen, zumal die anderen schon heute wenig oder keine Bundessteuern bezahlen.

Die genaue Ausgestaltung der Vorlage ist im Parlament umstritten. Klar ist, dass sie möglichst wenige Verlierer produzieren soll, damit sie politisch eine Chance hat. Doch nun haben FDP, SP und Grüne im Ständerat in der Märzsession eine neue Variante beschlossen, mit der die Steuerausfälle für den Bund reduziert werden. Umgekehrt würden aber auch die Steuererhöhungen grösser ausfallen, mit denen eine Minderheit der Ehepaare und der Alleinstehenden rechnen muss.

Wer 100 000 Franken oder mehr versteuert, müsste sich auch als Single auf eine höhere Steuerrechnung einstellen. Hingegen würden Alleinstehende mit tieferen Löhnen entlastet. Dies zeigen Zahlen zu den Auswirkungen der Ständeratsvariante, welche die Eidgenössische Steuerverwaltung auf Anfrage veröffentlicht hat. Für Alleinstehende mit hohen Einkommen kann die Mehrbelastung mehr als 2500 Franken betragen.

Auffällig sind aber vor allem die Verwerfungen zwischen «modernen» und «konservativen» Familienmodellen, die es mit der Variante des Ständerats gäbe. Der FDP-Präsident Thierry Burkart hatte noch versucht, einen Kompromiss zu erreichen. Er wollte den linken Parteien entgegenkommen und die Steuerausfälle reduzieren, gleichzeitig aber die Mehrbelastung der betroffenen Steuerzahler eindämmen. Die SP ging nicht darauf ein. Burkarts Vorschlag ist im Ständerat gescheitert, könnte im Nationalrat aber reanimiert werden.

Allerdings zeigen die amtlichen Zahlen, dass auch die «Variante Burkart» für manch gutsituierten Haushalt zu beträchtlichen Steuererhöhungen führen würde. Traditionelle Familien mit einem Hauptverdiener müssten auch in dieser Variante teilweise Mehrbelastungen von 1500 bis 1900 Franken verdauen. Ob die Freisinnigen es wagen würden, damit vor das Volk zu treten?

Burkart sagt, die Frage sei obsolet, zumal sein Kompromissvorschlag abgelehnt worden sei. Klar sei, dass die Steuererhöhungen keinesfalls noch grösser ausfallen dürften. «Irgendwo gibt es Grenzen.» Die Zahlen der Steuerverwaltung zeigen zweierlei: Burkarts Vorschlag würde bei Doppelverdienern mit sehr hohen Einkommen eine stärkere Entlastung bewirken als die Variante des Ständerats.

Hingegen müssten traditionell organisierte Familien mit Einkommen unterhalb von 140 000 Franken in der «Variante Burkart» teilweise ebenfalls relativ hohe Mehrbelastungen schultern.

Politisch stellt sich nun die grosse Frage, ob die ungewöhnliche Allianz zwischen Liberalen und Linken Bestand hat und die zwei Lager noch eine Einigung finden. Die Debatte im Ständerat lässt vermuten, dass das schwierig wird, zumal die Mehrheitsverhältnisse knapp sind. Wenige Abweichler genügen, um die Vorlage im Parlament scheitern zu lassen. Die Reformgegner um Mitte und SVP arbeiten gezielt auf dieses Szenario hin, sie stimmen sogar gegen die eigenen Interessen, um die Vorlage zu «verschlimmern».

SP-Chef: «Das ist jetzt wirklich die letzte Chance»

Die SP ist gegen grosse Steuerausfälle, die FDP gegen grosse Steuererhöhungen – eine schwierige Kombination. Ob noch ein Deal zustande kommt, sollte sich bald klären. Anfang Woche berät die Wirtschaftskommission des Nationalrats über die Reform, bereits im Mai ist der Nationalrat am Zug.

Falls er sich dem Ständerat anschliesst, dürfte die Reform scheitern. Der FDP-Präsident betont, seine Partei werde diese Variante nicht mittragen. Er wirft der SP ideologische Sturheit vor. Sie gewichte den Klassenkampf höher als die Gleichstellung der Geschlechter, die mit der Individualbesteuerung verbessert werde. «Gleichzeitig können wir endlich die ‹Heiratsstrafe› für Doppelverdiener abschaffen.» Das führe logischerweise zu Steuersenkungen. «Wenn die SP damit ein Problem hat, ist das ein Widerspruch in sich.»

Cédric Wermuth, der Co-Präsident der SP, sieht es genau umgekehrt: «Es ist die FDP, welche die Reform gefährdet.» Die Ziele der Gleichstellung liessen sich auch erreichen, ohne dass die Individualbesteuerung zu derart hohen Ausfällen führe. «Die FDP versucht, unter dem Deckmantel der Gleichstellung Steuergeschenke für ihre gutbetuchte Klientel durchzusetzen.» Das koste rund eine Milliarde, das gehe zu weit. «Wir wollen eine voll gegenfinanzierte Reform, die Lösung muss also in einem Kompromiss liegen, wie ihn der Ständerat nun vorgelegt hat.»

Wermuth will sich noch nicht auf verbindliche Eckwerte festlegen, betont aber, die Ausfälle dürften nicht zu hoch ausfallen. «Die Vorlage des Ständerates ist jetzt wirklich die letzte Chance.» Die SP wolle eine Lösung. «Aber wenn die FDP stur bleibt, wird es schwierig. Ich verstehe diese Blockadehaltung nicht.»

Wer profitiert, wer legt drauf?

Noch komplizierter als die politische Lösungssuche sind die technischen Details. Rentner, Alleinerziehende, Doppel- und Alleinverdiener mit und ohne Kinder, Singles: All die diversen Gruppen sind von der Reform unterschiedlich betroffen, je nachdem, wie das Parlament die neuen Steuertarife und die Abzüge (etwa für Kinder) definiert.

Die Analyse der Steuerverwaltung zeigt die Dimensionen, wobei es sich bei den Zahlen explizit um Schätzungen handelt, die mit «erheblicher Unsicherheit» behaftet seien. Die Grössenordnungen sind aber deutlich: Mit der Ständeratsvariante ist die Entlastung der Steuerzahler unter dem Strich nur noch halb so gross wie mit dem ursprünglichen Vorschlag des Bundesrats (435 statt 870 Millionen Franken). Umgekehrt gilt dies auch für die Steuerausfälle.

Die Hälfte aller Steuerpflichtigen könnte mit einer Entlastung rechnen, jeder zehnte Haushalt müsste sich auf eine Steuererhöhung einstellen; für den Rest ändert sich nichts. Entlastet würden vor allem verheiratete Rentner sowie Doppelverdiener ohne Kinder. Alleinerziehende sowie traditionell organisierte Ehepaare mit Kindern müssten die grössten Opfer bringen.

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