Dienstag, Juni 17

Rauchen ist eine Sucht. Schädlich, dumm, unnötig. Aber vielleicht auch eine spirituelle Kraft? Eine Möglichkeit, dem Leben so nahe zu kommen wie sonst nie?

Manche Zigaretten gehen so richtig daneben. Diese zum Beispiel: Frühmorgens, es ist grau und windig. Ich stehe auf dem Balkon und zwinge mir diesen Dreck rein, weil ich das eben morgens so mache. Nichts habe ich gewonnen, mein Leben ist nicht besser geworden in diesem Moment. Alles demütigend.

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Manche Zigaretten wiederum sind eine Offenbarung. Diese zum Beispiel: Abends in einer Bar, der erste Schluck Pils geht runter wie Öl, die Zigarette wird lässig aus dem Softpack geklopft und sorgfältig in den rechten Mundwinkel gesteckt, steht nun quer in der Luft. Dann neige ich den Kopf nach unten, zünde sie an und fühle mich auf wunderbare Weise mit dieser Welt verbunden.

Am liebsten würde ich jetzt den Kellner herrufen und ihn bitten, ein Foto von mir zu machen. Näher komme ich dem Leben nicht mehr, das muss festgehalten werden. Während ich durch den Qualm blicke, kommen mir sensationelle Gedanken in den Kopf: «Vielleicht ist die Zigarette ja die letzte spirituelle Kraft der Gegenwart.»

Einatmen, ausatmen

Als Raucher schlägt für mich das Pendel wild zwischen Lust und Last hin und her – und an jedem Tag muss dieses Pendel neu ausgerichtet werden. Dass ich überhaupt in der Zigarette nicht nur Sucht sehe, die sich aus biochemischer Kondition ableitet, sondern auch einen Zugang zur Welt um mich herum und mir selbst – ja eigentlich die menschliche Existenz durch sie fassen möchte –, ist schon Teil des Problems. Aber die Wahrheit.

Nun muss ich mir erst einmal eine Kippe anzünden, bevor es hier weitergeht. Rauch einatmen, Rauch ausatmen. Auch diese Zigarette geht tendenziell daneben. Wovor renne ich hier weg?

Alles ging so los: Als Teenager hing ich mit den Jungs vom Block auf der Tischtennisplatte ab. Bunte, viel zu süsse Alcopops flossen in unsere Mägen, und der Zigarettenqualm von Marlboro Rot stand minutenlang in der Luft. Zu Hause Repression und Enge, zu viel Kopfschmerz, zu viel Streit – hier auf der Platte pustete ich diesen Dreck einfach aus. Mein deutsch-russischer Kumpel Alexander rauchte seine Zigarette mit einem kleinen Ast in der Hand, damit die Finger nicht stanken. Sein Vater, der auch Alexander heisst, wäre durchgedreht, wenn er von den Zigaretten seines Sohnes gewusst hätte.

Meine Eltern haben schon früh erfahren, dass ich rauche. Ich habe mir aber auch nicht so viel Mühe gegeben, es zu verheimlichen. Abends paffte ich auf dem Balkon meines Kinderzimmers immer wieder eine vor dem Schlafengehen und drückte sie im Blumenbeet aus. Über Nacht ist dann einmal, es war ein heisser Sommer, das ganze Blumenbeet verkohlt, weil sich die Glut durch die Wurzeln gefressen hatte. Da waren dann meine Eltern auch stinksauer, aber ich habe nichts draufgegeben. Leider.

«Scheiss drauf, hab Spass!»

Vielleicht bringt mich diese Erinnerung der Frage schon näher, warum ich überhaupt rauche. Es ist meine Rebellion: für alle sichtbar, stinkend, nicht zu ignorieren. Nur gegen wen – ausser gegen mich selbst und meinen Körper – rebelliere ich hier eigentlich? Gegen die Mickrigkeit meiner Existenz. Gegen die Autoritäten und Zwänge des Alltags. Gegen alles, was runterzieht. «Bitte rauch nicht in meiner Nähe», höre ich die Frau neben mir im Café grummeln. Ich bin bereit, mein Leben für einen Glimmstengel zu opfern, also warum sollte ich dann noch Rücksicht auf dich nehmen?

Ich muss selber lachen, so herrlich pubertär ist das. Aber ist nicht auch ein bisschen was dran? Das Leben ist manchmal so trostlos, so schräg, so voller beschissener Bedingungen, dass man mit Schönheit antworten muss. Und eine brennende Kippe in meinem Mund am Abend ist das Schönste der Welt.

Sie spendet Trost, wenn alles auseinanderbricht. An dieser Stelle muss ich leider erneut biografisch werden. Als ich vor drei Jahren schwer krank wurde, habe ich mein Leben umgekrempelt, jeden Stein umgedreht, nicht mehr geraucht, mich angetrieben, um selbst die Heilung zu perfektionieren. Gemüse-Smoothies hier, Buchweizen da. Jede gesunde Handlung hatte die Funktion, mir Kontrolle über meine Situation zurückzugeben. Geholfen hat es nichts. Die Zigarette ist das Gegenteil von Kontrolle. Sie sagt mir: «Lass los, es ist genug. Du darfst Fehler haben. Und scheiss drauf, ob du gesund wirst, hab Spass!»

So vulgär. Und so sanft

Wie eine warme Umarmung eines Freundes, auch für Kaan. Er sieht aus wie ein sexy Gangster aus den Neunzigern mit seinen Baggy-Hosen und Durag. Mit ihm habe ich schon oft eine gequarzt, ihm steht die Zigarette noch besser als mir. Bei ihm zu Hause ist die Situation letztens wieder einmal eskaliert. Sein Vater, auch ein Raucher, setzte ihn vor die Tür: «Lass dich hier nie wieder blicken», schrie er. Kaan kochte vor Wut und Schmerz, ja fast weinte er sogar.

Also steigt er in seinen Ford Transit, blickt leer durch die Windschutzscheibe. Dann zückt er die Marlboro Gold, die er als Stange günstig in Polen geschossen hat, ein nagelneues, rotes Bic-Feuerzeug – und verqualmt das Auto. Einatmen, ausatmen, fünf Minuten Ruhe. Für Kaan, das erzählt er mir, fühlt es sich so an, als könnte nur die Zigarette ihn in diesem Moment wirklich verstehen. Wenn ich Kaan so anschaue, seine zarte Seele aus dem Gangster hervorschwebt, wird mir nochmals anders klar, warum die Zigarette so geil ist: Sie ist vulgär, sie ist sanft. Sie ist beides.

Auf zur nächsten Zigarette, dieses Mal mit dem Journalisten Deniz Yücel. Wenn er raucht, hält er die Zigarette mit seinen Fingern nicht unten am Filter, sondern ganz weiten oben an der Glut. Als wäre Rauchen nicht schon gefährlich genug, als müsste er noch näher ans Feuer. Eines Tages, als er in Istanbul in Polizeigewahrsam festhing, weil er vom Erdogan-Regime verhaftet worden war, standen eigentlich existenzielle Fragen an: Was wird nun aus meinem Leben? Doch die Frage stellte sich ihm nicht, er dachte nur daran, wie er an Zigaretten käme an diesem verlassenen Ort, keine Menschenseele. Als Yücel dann in Untersuchungshaft verlegt wurde, war er fast schon erleichtert. Hier durfte er wieder rauchen nach dreizehn Tagen Abstinenz. Ist er süchtig? Ja. Hat es geholfen? Vermutlich auch ja.

Irgendwo im Garten neben einem Wald, die Vögel zwitschern. Die rechte Hand zuckt kurz, will zur Kippe greifen. Aber nein, das hier ist auch Leben, hör genau hin! Ich spüre instinktiv: Meine Zeit, mit dem Rauchen aufzuhören, ist bald gekommen. Der Weg zur Erleuchtung muss anders beschritten werden. Ich hoffe, er wird nicht zu langweilig.

Julian Theilen ist freier Autor und lebt in Berlin. Zusammen mit Imke Rabiega betreibt er bei der «Welt» den Pop-Kultur-Podcast «News Core».

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