Montag, September 30

Sri Lankas neuer Präsident Anura Kumara Dissanayake kommt aus bescheidenen Verhältnissen. Die Hoffnung auf Veränderung ist gross. Doch es gibt Zweifel, ob er das Land aus der Krise führen kann.

«Dieser Sieg gehört uns allen», erklärte Dissanayake am Sonntagabend. Ein jahrhundertealter Traum sei in Erfüllung gegangen. Er betonte jedoch, dass der Aufbruch nur durch die Einheit aller Bevölkerungsgruppen – Singhalesen, Tamilen, Muslime –, also aller Sri Lanker, gelingen könne. Diese Aussage kommt gezielt, denn seine Basis hat Dissanayake unter der singhalesischen Mehrheitsbevölkerung, und er erbte keine einfache Ausgangslage.

Er sei der erste Präsident Sri Lankas, «der wirklich ein Mann des Volkes ist», sagt der Politikexperte Paikiasothy Saravanamuttu der NZZ. Entsprechend breit ist seine Wählerschaft. Doch um die versprochenen Sozialprogramme umzusetzen, fehlt Sri Lanka schlichtweg das Geld. Es wird eine Herausforderung bleiben, mit Institutionen wie dem Internationalen Währungsfonds (IWF) zu verhandeln und deren Auflagen zu erfüllen.

Dissanayake, der auch als «AKD» bekannt ist, versprach zu Beginn, die wirtschaftliche Stabilität des Landes zur obersten Priorität zu machen und internationale Unterstützung zu suchen. «Wir hoffen auch, dass das Ausland uns bei diesem Unterfangen unterstützen wird», sagte Dissanayake gegenüber der lokalen Tageszeitung «Daily Mirror».

Eine bemerkenswerte Wende

Sonntagabend wurde bekannt, dass sich der 55-Jährige gegen den Oppositionsführer Sajith Premadasa (SJB) durchsetzen konnte. Er ist der erste Präsident des Landes, bei dessen Wahl die Zweitstimmen ausschlaggebend waren, da keiner der 38 Kandidaten im ersten Wahlgang die notwendige 50-Prozent-Mehrheit erreichte. Dissanayake erhielt 42,3 Prozent der Stimmen. Der amtierende Präsident und politische Veteran Ranil Wickremesinghe (UNP) erreichte den dritten Platz, dabei stabilisierte sich die Wirtschaft unter seiner Führung.

Der Wahlsieg von Dissanayake markiert eine bemerkenswerte Wende. Denn bei den Wahlen 2019 konnte er nur 3 Prozent der Stimmen auf sich vereinen. Sein Bündnis Nationale Volksmacht (National People’s Power, NPP) hält im Parlament nur 3 von 225 Sitzen.

Doch zwei Jahre nach dem wirtschaftlichen Zusammenbruch haben sich die Wähler für einen Machtwechsel entschieden. Sie setzten auf eine politische Kraft, die bislang kaum bedeutende Regierungsverantwortung trug, und einen Kandidaten, der im Gegensatz zu seinen Hauptkonkurrenten nicht auf eine politische Familiengeschichte zurückblicken kann.

Er kommt aus bescheidenen Verhältnissen

Der Sohn eines Arbeiters aus bescheidenen Verhältnissen engagierte sich bereits zu Schulzeiten politisch. Dissanayakes politische Karriere nahm in den turbulenten Jahren an der Universität Gestalt an. Im Verlauf des Bürgerkriegs, der von 1983 bis 2009 andauerte, trat er der kommunistischen Volksbefreiungsfront (JVP) bei. Die JVP führte 1971 und 1987 zwei blutige Guerillakriege gegen den sri-lankischen Staat an, den er nun regieren wird.

Letzterer führte zum Sturz der damaligen UNP-Regierung und markiert eine der blutigsten Phasen in der Geschichte Sri Lankas. Zwar hat sich Anura Kumara Dissanayake für die Gewalt der sogenannten «Saison des Terrors» 1988–89 entschuldigt, doch dieses Erbe hinterlässt weiterhin bei einigen Unbehagen, besonders in der älteren Generation.

2019 formierte Dissanayake verschiedene Parteien und Organisationen zur NPP, mit der er in den Wahlkampf zog. «Die Marxisten haben ihrer Partei einen neuen Namen gegeben, der kaum noch mit der umstrittenen Vergangenheit in Verbindung steht», sagt der politische Beobachter Ashwin Hemmathagama. Besonders unter den jungen Sri Lankern sei dies wenig bekannt.

Wirtschaftliche Bewährungsprobe

Nun ist Dissanayake im Amt, doch noch stehe seine wirtschaftliche Bewährungsprobe aus, sagt Hemmathagama und weist darauf hin, dass im Wahlkampf grosse Versprechungen gemacht wurden, die schwer zu erfüllen sein werden. Dazu gehöre auch die Abkehr von der Korruption, die jedoch tief im bürokratischen System verwurzelt sei.

Die Möglichkeiten zur Finanzierung und Restrukturierung seien aufgrund der Schuldenlast begrenzt, die Erwartungshaltung der Öffentlichkeit Dissanayake gegenüber aber hoch, so Hemmathagama. Er verweist darauf, dass Sri Lankas derzeitige Devisenreserven nur die Importe von drei Monaten decken können und damit kein Raum für Experimente bleibt. AKD hat dagegen angekündigt, die Bedingungen des Wirtschaftsprogramms mit dem IWF neu zu verhandeln. Dabei ist Sri Lanka weiter auf internationale Hilfe angewiesen. Insbesondere die Elite des Landes sieht hier Risiken und hätte Sajith Premadasa für die Aufgabe bevorzugt.

Letztlich verhalfen Dissanayake sein Anti-Korruptions-Kurs und auch die schwere Wirtschaftskrise, in die das Land unter Präsident Gotabaya Rajapaksa und seiner Sri Lanka Podujana Peramuna (SLPP, Sri-Lanka-Volksfront) geriet, zum Wahlsieg. Es gab einen bemerkbaren Wählerwechsel von der buddhistisch-nationalistischen SLPP hin zur links-marxistischen National People’s Power (NPP). Fehlentscheidungen der SLPP, wie 2021 ein Importverbot für Düngemittel aufgrund knapper Devisen einzuführen, kosteten die SLPP Unterstützer. Der Unmut in der Bevölkerung wuchs. Der Volksaufstand «Aragalaya» zwang im Folgejahr den mächtigen Rajapaksa-Clan, der zum Sinnbild für Korruption und Machtmissbrauch wurde, aus der Politik.

Geopolitisches Konfliktszenario und Nähe zu China

Ähnlich wie seinem Vorgänger Rajapaksa wird Dissanayake eine Nähe zu China nachgesagt. Indien, der unmittelbare Nachbar, sowie die USA dürften die Entwicklungen genau beobachten, da Sri Lanka an einer wichtigen Seehandelsroute liegt. China hat jüngst seinen Einfluss in der Region ausgebaut und in die Häfen der Hauptstadt Colombo sowie im südlichen Hambantota investiert. Zudem läuft demnächst ein Abkommen aus, das Forschungsschiffen, etwa aus China, den Aufenthalt in Sri Lanka verbietet.

Saravanamuttu hält dem geopolitischen Konfliktszenario entgegen, dass es jüngst einen regen Austausch zwischen Dissanayake und Delhi gegeben hat. «Letzten Endes wird die JVP erkennen müssen, dass sowohl Indien als auch China an Sri Lanka interessiert sind und dass es um ein Machtgleichgewicht geht.» Er betont, dass Sri Lanka es sich nicht leisten könne, Indien den Rücken zu kehren.

Die unmittelbar nächste Herausforderung für Dissanayake wird die Regierungsarbeit sein. Premierminister Dinesh Gunawardena (SLPP) ist am Montag zurückgetreten. Somit wird das amtierende Kabinett automatisch aufgelöst. Dissanayake kann dann vier neue Minister ernennen, bis die nächsten Parlamentswahlen abgeschlossen sind und eine neue Regierung gewählt wird. Dies sollte spätestens im Sommer 2025 der Fall sein. Dissanayake geniesst zwar die Unterstützung unter Studenten und Arbeitern, jedoch nicht unter allen Teilen der Minderheit oder der Elite. Für eine Mehrheit im Parlament wird er erneut kämpfen müssen.

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