Donnerstag, Dezember 26

Als Junior war der Verteidiger klein, dünn und langsam. Heute ist er Stammspieler bei Manchester City, dem besten Klub der Welt. Das verdankt er seiner Unerschrockenheit – und der Detailversessenheit von Pep Guardiola.

Denken Sie manchmal daran, dass Sie gerade den Traum leben, den Sie als Bub in Wiesendangen hatten?

Warum meinen Sie?

Sie haben am Mittwoch im Champions-League-Achtelfinal gegen den FC Kopenhagen ein wunderschönes Tor erzielt, wurden zum besten Spieler der Begegnung gewählt, spielen beim stärksten Klub der Welt und treffen am Sonntag mit Manchester City auf den FC Liverpool in einem Spiel, das Menschen auf der ganzen Welt bewegt.

Natürlich kommt es vor, dass ich überlege, wie mein Weg verlaufen ist, wie es immer einen Schritt weiter ging, was ich alles erreicht habe. Das Tor und das Spiel gegen Kopenhagen waren schön, aber wir haben letztes Jahr die Champions League gewonnen, das ist erneut unser Anspruch. Die entscheidenden Begegnungen in dieser Saison kommen erst.

Yann Sommer, ihr Kollege im Nationalteam, sagte uns kürzlich, es sei gar nicht so einfach für eine Familie, wenn ein Fussballer in ein anderes Land wechselt. Wie war das im Sommer 2022 bei Ihnen, als Sie Borussia Dortmund verliessen?

Deutschland liegt der Schweiz nicht nur sprachlich und geografisch näher als England. Klar war das auch für uns eine Herausforderung. Für mich war es einfacher, weil ich sofort 20, 25 Teamkollegen hatte, mit denen ich jeden Tag zusammen bin. Meine Frau Melanie kannte hier niemanden. Aber wir fühlen uns sehr wohl, haben uns super eingelebt und Freundschaften geschlossen. Wir wohnen mit unseren zwei Söhnen etwas ausserhalb Manchesters im Grünen und führen ein ziemlich normales Familienleben.

Sie stehen regelmässig in der Startelf von Manchester City. Wie zufrieden sind Sie mit der bisherigen Saison?

Nach dem Sieg in der Champions League letztes Jahr war die Euphorie enorm, wir hätten den Triumph im Sommer gerne ein paar Wochen länger geniessen wollen. Es gab in dieser Saison in der Vorrunde Phasen, in denen wir nicht in jedem Spiel brilliert haben. Mit dem europäischen Supercup sowie der Klub-WM haben wir aber schon wieder zwei Titel geholt. Und wir haben uns eine tolle Ausgangslage geschaffen, um die drei wichtigsten Wettbewerbe erneut zu gewinnen. Wir stehen im Viertelfinal der Champions League und im Viertelfinal des FA-Cups. Und wenn wir am Sonntag in Liverpool gewinnen, sind wir auch wieder Erster in der Premier League.

Manchester City gewann den letztjährigen Champions-League-Final gegen Inter 1:0, nachdem der Klub vorher sehr lange auf den Sieg in der Königsklasse gewartet hatte. Wie sehr haben Sie diese Sehnsucht gespürt?

Das war schon ein ständiges Thema hier. Und weil wir im letzten Frühling überragend gespielt hatten, auch gegen Bayern München und Real Madrid, war es für viele klar, dass wir den Final gegen Inter sowieso 3:0 oder 4:0 gewinnen würden. Das hat den Druck nicht kleiner gemacht, die Titel in Liga und FA-Cup wurden von den Medien einfach so hingenommen. Wir wussten aber, dass Inter sehr stark ist, das sieht man ja auch in dieser Saison wieder. Es war im Final bestimmt nicht unsere beste Leistung, wir waren nicht so dominant wie sonst. Aber einen Final muss man gewinnen, das haben wir getan. Die Erleichterung im ganzen Verein war danach riesig, und auch für mich war es das bisher grösste Spiel meiner Karriere.

HIGHLIGHTS! Man City 1-0 Inter | CHAMPIONS OF EUROPE | UEFA Champions League Final

Sie haben bei City in der Abwehr in der Viererkette und in der Dreierkette schon auf allen Positionen gespielt und wurden auch im defensiven Mittelfeld eingesetzt. Wo würden Sie sich als Trainer aufstellen?

Das kommt auf den Gegner an. Es ist tatsächlich so, dass ich immer wieder auf anderen Positionen spiele, diese Vielseitigkeit ist eine Stärke von mir. Ich nehme gerne Einfluss auf den Aufbau, deshalb bin ich am liebsten im Zentrum der Abwehr.

Man hört immer wieder, wie detailverliebt Ihr Trainer Pep Guardiola ist. Erzählen Sie einmal, wie er mit Ihnen arbeitet.

Pep fordert sehr viel, jeden Tag, auf dem Platz und in Gesprächen. Alle reden immer von unserem Offensivspiel, aber seine Ansprüche sind auch an den Goalie und an uns Verteidiger enorm hoch. Das Passspiel und der gepflegte Spielaufbau sind ihm wichtig, er legt Wert auf saubere Abläufe und eine perfekte Abstimmung, das üben wir akribisch.

Wie muss man sich eine Einzelkritik von ihm vorstellen?

Kürzlich sagte er mir nach dem Spiel gegen Bournemouth, dass ich sehr gut verteidigt hätte bei Bällen in die Tiefe, aber bei Flanken teilweise die Position nicht ideal gehalten hätte. Da ging es um absolute Details, wie ich mich bewegen soll, das war lehrreich. Pep ist offen, direkt, streng, das ist für mich top, weil ich dann genau weiss, in welchen Bereichen ich mich verbessern muss.

Wir trafen vor ein paar Tagen Thomas Stamm, den Trainer der zweiten Mannschaft des SC Freiburg. Er war Ihr Coach im Nachwuchs des FC Winterthur und sagte, Sie hätten sich damals in kurzer Zeit enorm entwickelt. Wann spürten Sie erstmals, dass Sie Profi werden könnten?

Ich wurde nie als Supertalent gehandelt und erst in der U 20 erstmals für eine Schweizer Auswahl aufgeboten. Thomas war in der U 18 von Winterthur mein Trainer, damals hatte ich einen enormen Wachstumsschub und wurde grösser, stärker und schneller. Vorher war ich klein und dünn und langsam gewesen. Nach dem Wechsel zum FC Basel realisierte ich nach einer gewissen Anlaufzeit, dass ich mich an das höhere Niveau anpassen kann. Leider erlitt ich dann mit 20 Jahren einen Kreuzbandriss. Auch dieses Erlebnis hat aber mitgeholfen, dass ich demütig geblieben bin und hart an mir arbeitete.

Es fällt auf, dass Sie bei Ihren drei Wechseln stets grosse Schritte wählten. Von Winterthur zum FCB, dem damals mit Abstand besten Klub der Schweiz. Dann zum Bundesliga-Spitzenklub Dortmund, schliesslich zu City. Was sagt das über Sie aus?

Dass ich Herausforderungen liebe. Dass ich selbstbewusst bin. Und dass ich keine Angst habe. Ich fühlte mich bereit für diese Klubs. Am leichtesten war der Wechsel zu City, weil ich 2022 bereits ein paar Jahre auf hohem Niveau gespielt habe. Der Transfer zu Dortmund war ein wenig kompliziert, weil ich Basel im Januar 2018 mitten in der Winterpause verliess. Rückblickend gesehen war der Wechsel von Winterthur zum FCB der grösste Schritt für mich, weil ich mit 19 Jahren noch jung war und eine gewisse Zeit benötigte, um den höheren Rhythmus im Training anzunehmen.

Zur Person

Lucy Ridges

Manuel Akanji

Der 29-Jährige ist in Wiesendangen bei Winterthur aufgewachsen. Über Winterthur und den FC Basel kam er 2018 in die Bundesliga zu Borussia Dortmund. Seit 2022 spielt er bei Manchester City. Manuel Akanji ist verheiratet und hat zwei Söhne. Er hat 57-mal für die Schweiz gespielt.

Im Nationalteam sind Sie seit vielen Jahren Stammspieler. 2023 überzeugte die Schweiz nicht. Wie blicken Sie auf diese Zeit zurück?

Was wichtig ist: Wir haben uns für die EM 2024 qualifiziert. Aber wir wissen auch, dass wir nicht so gut gespielt haben, wie wir uns das vorgestellt hatten. Entscheidend sind für uns am Ende die Turniere, und wir werden an der Euro die Gelegenheit erhalten, erneut zu beweisen, wozu wir in der Lage sind.

Im Fokus stand oft das Verhältnis von dem Trainer Murat Yakin und dem Captain Granit Xhaka. Welchen Einfluss nahmen Sie als Leader des Teams in dieser Phase?

Ich hatte nie das Gefühl, eingreifen zu müssen. Wenn etwas gewesen wäre, wäre das eine Sache zwischen dem Trainer und Granit. Es ist normal, auch im Klub, dass nicht immer alle gleicher Meinung sind. Das ist bei Ihnen im Job doch auch so. Jeder, der Granit kennt, weiss genau, dass er immer alles dafür tut, Erfolg zu haben, seine Einstellung ist vorbildlich. Schauen Sie, wie er nun bei Bayer Leverkusen auftritt. Und wir haben in den letzten Jahren auch dank ihm sehr viel mit der Schweiz erreicht.

Sehen Sie das Nationalteam manchmal auch ein wenig als Opfer des Erfolges, weil die Ansprüche stark gestiegen sind?

So weit würde ich nicht gehen. Wir sind keine Opfer, weil wir selber ja sehr hohe Erwartungen an uns stellen. Als Fussballer muss man Kritik aushalten können, wir spielen bei internationalen Topklubs, das ist normal. Ich liebe es, wenn der Druck am grössten ist.

Die Schweiz erhielt zuletzt überraschend viele Gegentore, auch Ihnen unterliefen Fehler, die man von Ihnen nicht kennt. Worauf führen Sie das zurück?

Es ist immer eine Stärke von uns gewesen, defensiv stabil zu stehen. Das haben wir 2023 verloren. Es gibt solche negativen Phasen im Fussball, dann werden Fehler sofort bestraft. Aber ich mache mir keine Sorgen, weil wir in der Defensive inklusive Torhüter sehr viele starke Spieler haben.

Fabian Schär von Newcastle und Sie zählen zu den besten Innenverteidigern der Premier League. Wir haben aber den Eindruck, dass Sie nicht perfekt zusammenpassen, weil beide Stärken im Aufbauspiel haben und gerne Abwehrchef sind.

Ich fühle mich mit Fabian wohl, daran liegt es nicht. Wir müssen als Team wieder besser verteidigen. Die Zusammensetzung einer Innenverteidigung ist sehr, sehr wichtig. Ich bin einer, der gerne Verantwortung übernimmt und viel kommuniziert. Und ich schätze es, wenn das andere auch machen.

Was ist an der EM möglich für die Schweiz?

Ich will auch in einem Turnier jedes Spiel gewinnen. Als Spieler von Manchester City bin ich es gewohnt, in jedem Spiel siegen zu wollen. Wir haben mit der Schweiz nicht die Kadertiefe von England oder Frankreich, deshalb wird es sehr wichtig sein, dass alle Spieler fit sind. Unsere Vorrundengruppe ist interessant, Ungarn und Schottland haben zuletzt starke Nationen bezwungen, Deutschland wird als Gastgeber beweisen wollen, dass es besser ist als zuletzt.

Wie wird die Schweiz eigentlich von ihren City-Teamkollegen aus bedeutenden Fussballnationen beurteilt?

Ab und zu gibt es schon Sprüche, wir seien ein kleines Land. Aber der Respekt ist zu spüren, weil wir zum Beispiel an der letzten EM den damaligen Weltmeister Frankreich bezwungen haben und seit 2014 an jedem Turnier die Vorrunde überstanden haben. Welches andere Land kann das behaupten?

Ihre Schwester Sarah engagiert sich politisch stark. Wie sehen Ihre gesellschaftlichen Aktivitäten aus?

Ich engagiere mich für caritative Projekte in Nigeria, der Heimat meines Vaters. Wir unterstützen dort benachteiligte Kinder und Jugendliche aus schwierigen Verhältnissen. Leider gibt es viele Kinder, die nicht das Glück haben, mit dem Grundrecht einer ordentlichen Ausbildung oder mit dem Anspruch auf Impfungen gegen Krankheiten aufzuwachsen.

Im Fussball gibt es immer noch Rassismusvorfälle, zuletzt wieder regelmässig in Italien. Wie sehr beschäftigen Sie sich damit?

Es macht mich traurig. Auch was mit Vinicius Junior von Real Madrid in spanischen Stadien immer wieder passiert, ist schrecklich. In England gibt es zum Glück kaum Vorfälle. Ich wurde in meiner Kindheit und als Teenager aber auch schon rassistisch beleidigt und habe einige Sachen erlebt, die mich getroffen haben. Es sagt sehr viel über einen Menschen und dessen beschränktes Denken aus, wenn er andere aufgrund der Hautfarbe diskriminiert. Es ist beschämend, dass Rassismus 2024 immer noch ein Thema ist.


Glänzend im Klub, fehlerhaft im Nationalteam

Es ist wieder einmal eine Woche, in der einem bewusst wird, wie gross der Fussballer Manuel Akanji geworden ist – und dass er in der Schweiz vielleicht immer noch nicht von allen jene Wertschätzung erhält, die er aufgrund seiner Leistungen und Erfolge verdient hätte. Fünf Titel hat Akanji mit Manchester City in eineinhalb Jahren gewonnen, drei weitere könnten in den nächsten Monaten hinzukommen.

Am Mittwoch erzielte der Verteidiger im Rückspiel der Champions-League-Achtelfinals gegen den FC Kopenhagen das frühe 1:0 für Manchester City mit einem herrlichen Volleyschuss. Er wurde beim 3:1-Sieg seines Teams zudem zum besten Spieler der Begegnung gekürt. Und am Sonntag trifft er mit dem Champions-League-Titelverteidiger in der Premier League auswärts auf den Leader Liverpool, der einen Punkt Vorsprung hat.

Dazwischen nimmt sich Manuel Akanji am Donnerstag Zeit für ein Gespräch auf dem imposanten Etihad-Campus in Manchester. Er hinterlässt einen entspannten und selbstbewussten Eindruck und sagt, dass das Tor gegen Kopenhagen neben einem Kopftor gegen Chelsea vielleicht das schönste seiner Karriere gewesen sei.

Bei Manchester City ist Akanji einer der zuverlässigsten Spieler mit den meisten Einsatzminuten. Die Stars aber sind andere: Erling Haaland, Kevin de Bruyne, Rodri, Bernardo Silva, Ruben Dias, um nur die wichtigsten zu nennen. Es ist eine Weltauswahl, in die sich Akanji prächtig integriert hat. Auch dank seiner Vielseitigkeit, die es dem 28-Jährigen erlaubt, in jeder Abwehrformation alle Positionen zu besetzen.

In der Schweiz hätten Manuel Akanji nicht viele diese grandiose Karriere zugetraut. Vom FC Winterthur ging es über den FC Basel und Borussia Dortmund immer höher – bis zum derzeit besten Klub der Welt. Auf Instagram hat sich die Zahl seiner Follower seit dem Wechsel zu Manchester City im Sommer 2022 auf 1,2 Millionen verdreifacht.

2023 schien es allerdings zwei Manuel Akanjis zu geben. Den stilsicheren Seriengewinner und Champions-League-Sieger. Und den unsicheren Nationalspieler. Auch Akanji vermochte im ungenügenden Schweizer Länderspieljahr nicht zu überzeugen.

Er ist der unbestrittene Abwehrchef im Nationalteam, und mit Fabian Schär von Newcastle gibt es einen zweiten Innenverteidiger, der in der Premier League zu den stärksten Defensivspielern gehört. Als Duo allerdings scheinen die beiden nicht zu funktionieren. Sie haben den Anspruch, den Aufbau zu prägen, wobei Schärs herausragende Qualität die präzise Spieleröffnung ist. Er würde an seiner Seite wie bei Newcastle einen zweikampfstarken Abräumer brauchen, der Akanji sein könnte, aber kaum sein möchte.

Akanji passt deshalb besser zum soliden Nico Elvedi, der auch beim Nationaltrainer Murat Yakin ein höheres Standing geniesst als Schär. Dieser ist mit seiner Situation sehr unzufrieden und hat sich auch schon darüber beschwert, von Yakin nicht mehr Vertrauen zu erhalten. Schär sagte beispielsweise, dass seine geringen Einsatzzeiten teilweise schon unverständlich seien, wenn er sehe, auf welch hohem Niveau er Woche für Woche bei Newcastle spiele.

Es müsste Murat Yakins Anspruch sein, im Hinblick auf die Euro im Sommer in Deutschland eine Lösung in der Defensive mit Akanji und Schär zu finden. Nach teilweise sehr schwachen Darbietungen im letzten Jahr mit ungewohnt vielen Gegentoren stehen die Schweizer sowieso unter Druck. Ende März treffen sie in zwei EM-Testspielen auswärts auf Dänemark und Irland. Auch für Akanji wird es dabei darum gehen, ein gutes Gefühl für die Europameisterschaft zu bekommen.

Akanji ist überzeugt, dass es den Schweizern gelingen wird, die Stabilität wieder zu finden. Vorerst gilt sein Fokus aber Manchester City und dem Spitzenspiel in Liverpool. Er möchte ohnehin noch einige Jahre in der Premier League verbringen. In der Schweiz verfolgt er vor allem den Weg des FC Winterthur – und freut sich, dass sein früherer Klub immer noch Chancen hat, die Championship Group zu erreichen.

An die Zeit nach seiner aktiven Karriere verschwendet Akanji noch nicht zu viele Gedanken. Einen Trainer Manuel Akanji kann er sich derzeit nur schwer vorstellen, weil er dann wieder viel unterwegs und nicht bei seiner Familie wäre.

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