Mittwoch, Januar 15

Der neue SVP-Präsident glaubt nicht an einen Elite-Basis-Graben in seiner Partei. Dass sich viele SVP-Wähler eine 13. AHV-Rente und einen Mindestlohn von 4000 Franken wünschten, habe mit der Asylmigration zu tun.

Herr Dettling, in einem Interview haben Sie kürzlich gesagt, SRF unterscheide kaum noch zwischen rechtsbürgerlich und rechtsextrem. Wieso kritisieren Sie nur SRF? Weil Sie die «200 Franken sind genug»-Initiative gewinnen müssen?

Nein, mit der Initiative hat das nichts zu tun. Bei SRF sehen die Journalisten tatsächlich besonders oft Rechtsextreme. Sobald sich jemand kritisch zur Zuwanderung oder zur Asylmigration äussert, heisst es: Das ist ein Rechtsextremer! Jeder, der nur schon kritisch nachfragt, wird gleich in die rechtsextreme Ecke gestellt. Leider gibt es eine zunehmende Tendenz, die Menschen politisch zu brandmarken. Bei gewissen Themen ist eine kontroverse, aber sachliche Diskussion gar nicht mehr möglich.

Apropos sachliche Diskussion: Die SVP hat erst letzte Woche eine Medienkonferenz mit dem Titel «Beat Jans – 200 Tage Versagen» durchgeführt. Nach Elisabeth Baume-Schneider und Simonetta Sommaruga wird jetzt wieder ein SP-Bundesrat zum Sündenbock für alles gemacht, was im Asyldossier schiefläuft.

Wir haben im Vorfeld selbstverständlich mit Beat Jans geredet und gesagt, was uns stört.

Und was stört Sie?

Er hat lange den Anschein erweckt, als wolle er Fehlentwicklungen in der Asylpolitik tatsächlich angehen. Gemacht hat er aber nichts. Im Gegenteil. Bei einem Treffen von EU-Ministern in Luxemburg hat er Deutschland und Österreich gerügt, weil sie in den vergangenen Monaten ihren Grenzschutz verstärkt haben. In beiden Ländern nahm die illegale Migration stark ab; doch Beat Jans moniert, das verstosse gegen die Schengen-Verträge.

Die Asylmigration hat sich abgeschwächt. Eigentlich könnten Sie das Thema wenigstens für den Moment ruhen lassen.

Dank der Fussball-Europameisterschaft in Deutschland und den damit verbundenen verstärkten Grenzkontrollen ist die Zahl der Asylanten vorübergehend gesunken. Sollen wir unsere Hoffnungen einfach auf die sinkenden Zahlen setzen und schlafen gehen? Wenn wir nicht an diesem Problem dranbleiben, wird sich auch in den nächsten Jahren nichts ändern. Die Schweizer sind pragmatische Leute. Wenn neue Herausforderungen kommen, passen sie sich so lange an, wie es geht, und versuchen die Vorgaben des Staates umzusetzen. Aber die Asylpolitik hat ein Ausmass erreicht, das nicht mehr erträglich ist.

Wo denn?

Vorläufig akzeptieren die meisten Gemeinden, dass sie auch abgewiesene Asylbewerber aufnehmen müssen, obwohl die Wohnungen für die einheimische Bevölkerung knapp werden. Sie organisieren sich, suchen noch eine Wohnung, erfüllen die Quote, so gut es geht. Aber irgendwann wird das nicht mehr funktionieren. Die Belastungen sind zu gross. Die Menschen werden nicht mehr länger zu allem Ja und Amen sagen.

Sie sind Schwyzer. Die Menschen in Ihrem Kanton haben den Ruf, lieber Nein als Ja zu sagen. Erklären Sie uns bitte das Wesen der Schwyzer.

Das Wesen des Schwyzers ist die Ur-DNA der Eidgenossenschaft. Sie zeigt sich im Staatskritischen und im Wehrhaften. Die Skepsis gegen die Obrigkeit ist in den Tälern der Innerschweiz immer noch ausgeprägt. Man mag keine Könige und keine politischen Alleinherrscher. Im Ybrig ist man schon kritisch, wenn eine Anweisung aus dem Hauptort Schwyz kommt. Die Schwyzer Gemeinden reagieren skeptisch, wenn etwas aus Bern kommt – und wenn etwas gar aus Brüssel kommt, ist ganz fertig.

Der frühere CVP-Generalsekretär Iwan Rickenbacher hat einmal gesagt, das Nein der Schwyzer sei ein Ja zu allem, was diesen Kanton ausmache. Sehen Sie das auch so?

In meiner 1.-August-Rede in Unteriberg habe ich mich mit dem Begriff konservativ auseinandergesetzt. Konservativ wird oft negativ benutzt. Dabei bedeutet konservativ zu sein auch, das Stück Heimat, das wir gemeinsam bewohnen, zu bewahren. Das drückt sich dann oft in einem hohen Nein-Anteil bei nationalen Abstimmungen aus. Wir Schwyzer setzen stark auf Eigeninitiative. Wir wollen so viel wie möglich selber machen und lassen uns nicht gerne dreinreden.

Die SVP ist mit Nein-Sagen zur grössten Partei der Schweiz geworden. Wozu sagt die SVP Ja?

Das Nein der SVP ist ein Ja zur Schweiz.

Wir haben geahnt, dass Sie das sagen würden. Aber ein Ja zu welcher Schweiz?

Worauf wollen Sie hinaus?

Als Parteipräsident müssen Sie mit der Neutralitäts-, der Grenzschutz- und der Nachhaltigkeitsinitiative gleich drei Volksbegehren ins Ziel bringen, die alle denselben Zweck haben: die Schweiz von der EU fernhalten.

Die Initiativen sind nicht anti-EU, sondern pro Schweiz. Wir sagen Ja zu einer Schweiz, die sich auf Augenhöhe mit der EU bewegt. Die EU aber will die Schweiz institutionell an sich binden. Wir sollen fremdes Recht, fremde Richter und Tributzahlungen in Milliardenhöhe akzeptieren. Dagegen haben sich die Eidgenossen im Grundsatz schon 1291 gewehrt.

Der Mythos des unabhängigen Kleinstaats im Herzen Europas, den die SVP bedient, scheint zu wirken. Die Befürworter der Abkommen mit der EU sind auffällig ruhig.

Genau das ist gefährlich. Aus vermeintlichen Kritikern können sehr schnell Befürworter werden. Wenn der Gewerkschaftsboss Pierre-Yves Maillard im Bereich des Lohn- und Arbeitsschutzes bekommt, was er will, bricht eine ganze Flanke weg. Die SP wird dann plötzlich wieder vereint hinter den Verträgen stehen.

Die Mitte und die FDP sind gespalten. Wie werden sie sich positionieren?

Wie sich die Mitte zu den Verhandlungen stellt, ist mir ein Rätsel. Die drückt sich seit Jahren um klare Positionsbezüge. Bei der FDP werden gewisse Wirtschaftskreise massiv Druck machen, auch wenn der Parteipräsident Thierry Burkart persönlich vielleicht noch skeptisch ist.

Welche Rolle übernimmt Christoph Blocher in den verschiedenen Kampagnen?

Die Neutralitätsinitiative ist seine Herzensangelegenheit, wo er sich auch stark engagiert.

Beim Abwehrkampf gegen ein Abkommen mit der EU hält er sich zurück?

Für das Dossier ist Magdalena Martullo-Blocher zuständig. Sie hat die kritische Diskussion in den zuständigen Kommissionen des Nationalrats über den Inhalt des Common Understanding wesentlich geprägt.

Viele führende Köpfe der SVP sind schwerreiche Unternehmer: Christoph Blocher, Magdalena Martullo-Blocher, Thomas Matter. Die SVP hat einen Elite-Basis-Graben.

Die letzten Wahlen haben das Gegenteil gezeigt. Noch nie sind so viele Bauern aus der SVP ins Parlament gewählt worden wie 2023.

Fast die Hälfte der SVP-Basis hat für die 13. AHV-Rente gestimmt. Eine Mehrheit wäre auch für einen Mindestlohn von 4000 Franken. Hat die Kritik an den liberalen Eliten, die Sahra Wagenknecht in Deutschland gross gemacht hat, auch die SVP erreicht?

Bei der 13. AHV-Rente hat eine knappe Mehrheit der SVP-Anhänger Nein gesagt. Zudem habe ich aus diesem Abstimmungskampf eine andere Erkenntnis gezogen.

Welche?

Die Leute sagen: Für jeden Ausländer habt ihr Geld, für mich aber nicht. Für jeden Asylanten wird eine Wohnung gesucht, wenn er in die Schweiz kommt, für meinen Junior aber nicht. Der sogenannte Elite-Basis-Graben ist ein Gespenst, das vor allem von den Medien heraufbeschworen wird.

Sie lenken ab. Wenn jeder zweite SVP-Wähler eine 13. AHV-Rente möchte, wenn sich eine Mehrheit für Prämienvergünstigungen und einen Mindestlohn ausspricht – wie wollen Sie denn Ihre Basis auf bürgerlichem Kurs halten?

Die SVP ist ja nicht grundsätzlich gegen Prämienvergünstigungen. Unter dem SVP-Finanzdirektor Heinz Tännler ist der Wirtschaftskanton Zug gerade dabei, eine Prämiensenkung aufzugleisen. Auch das gehört zum Schweizer Erfolgsmodell. Kantone oder Gemeinden, denen es gutgeht, sollen nicht nur Finanzreserven anlegen, sondern die Bevölkerung weniger mit Steuern und Abgaben belasten. Das ist der Vorteil des föderalistischen Systems. Der Bund muss nicht alles regeln. Aber ja: Die Wählerinnen und Wähler stimmen manchmal auch aus Eigeninteresse. Diese Tendenz ist da.

Peter Spuhler und andere Unternehmer haben also gute Gründe, wenn sie die Schweiz aus Angst vor einem Ja zur Erbschaftssteuerinitiative der Jungsozialisten verlassen wollen?

Die Juso vermitteln den Eindruck, man könne die Reichen wie Kühe melken, ohne sie grasen zu lassen. Das wird nicht funktionieren. Denn die Kuh ist nicht angebunden, sondern frei. Die Vorwirkung der Initiative zeigt sich allerdings bereits sehr deutlich. Weil die neue Erbschaftssteuer schon am Tag einer Annahme an der Urne in Kraft treten soll, erwägen viele Unternehmer ernsthaft, aus der Schweiz wegzuziehen.

Damit haben die Juso eigentlich schon gewonnen, oder?

Sie haben jedenfalls einen Teilsieg errungen. Denn mit diesen Wegzugsdrohungen senden die Betroffenen ein falsches Signal aus. Eigentlich müssten sie sich hinstellen und diese hirnrissige Initiative mit voller Kraft bekämpfen.

Das Parlament könnte versuchen, die Juso-Initiative für ungültig oder teilweise ungültig zu erklären.

Davon halte ich nichts. In der Schweiz entscheidet die Stimmbevölkerung. Sie soll über Gültigkeit oder Ungültigkeit befinden. Die grosse Mehrheit ist sich sehr bewusst, dass das Geld, das der Staat ausgibt, in der Wirtschaft erarbeitet wird. Die reichsten zehn Prozent der Schweizerinnen und Schweizer zahlen mehr als die Hälfte der gesamten Einkommenssteuer.

Jetzt klingen Sie fast wie ein Wirtschaftsliberaler.

Die SVP ist ja auch eine liberal-konservative Partei. Das Geld, das der Staat braucht, um seine Aufgaben erfüllen zu können, muss erst in der Wirtschaft erarbeitet werden.

Sie werden als Präsident der SVP Christoph Blochers liberal-konservativen Wirtschaftskurs weiterführen?

Auf jeden Fall.

Alle anderen rechtspopulistischen Parteien in Europa setzen auf einen Ausbau des Sozialstaats – jedenfalls für die eigene Klientel.

Auf den Bund kommen in Zukunft hohe Ausgaben zu – für die AHV, für den Armeeaufbau. Mit einem Wirtschaftsprogramm à la Marine Le Pen sind diese Aufgaben nicht finanzierbar. Zudem: Die SVP ist nicht rechtspopulistisch, sondern rechtsbürgerlich.

Mit welchem politischen Etikett bezeichnen Sie sich selbst?

Ich bin sicher klar rechtsbürgerlich.

Rechts von Ihnen stehen nur noch elf andere Parlamentarier . . .

Immerhin!

Sie haben einmal gesagt, Ihre Frau sei noch rechter als Sie.

Schreiben Sie das bloss nicht! Meine Aussage bezog sich auf eine Diskussion zum Thema Schule.

Und was beschäftigt Ihre Frau? Der integrative Unterricht?

Natürlich. Wenn ich einen Schulbesuch mache, fällt mir immer auf, wie viele Lehrerinnen und Lehrer sich um die paar Kinder ausländischer Herkunft kümmern, während die Schweizer Kinder ihre Aufgaben selbständig erledigen müssen oder dem Nachbarskind, das kaum Deutsch spricht, beim Übersetzen helfen. Der integrative Unterricht funktioniert nicht, deshalb haben wir uns bereits bei der Einführung dagegen gewehrt. In Basel oder Zürich fordern nun Initiativen die Rückkehr zu Sonder- und Förderklassen.

Die FDP hat das Thema ebenfalls entdeckt. Sie will die integrative Schule wieder abschaffen.

Ich bin froh, wenn wir bei diesem Thema endlich Unterstützung bekommen. Schliesslich wurde die integrative Schule in vielen Kantonen mithilfe der Freisinnigen etabliert. Christoph Eymann stellte sich als Präsident der Erziehungsdirektorenkonferenz noch hinter das Konzept. Heute muss auch er zugeben, dass es massive Probleme mit dem integrativen Unterricht gibt. Die Schule ist in den vergangenen Jahren zu einem einzigen Versuchslabor geworden – vieles läuft gerade gewaltig schief.

Zum Beispiel?

Im Kanton Schwyz werden in der Primarschule die Noten teilweise abgeschafft. Die Lehrerinnen und Lehrer müssen die Kinder nun individuell beurteilen. Da klagt man über Lehrermangel und belastet die, die den Job noch machen wollen, mit einer enormen Zusatzaufgabe. Jedenfalls ist der Unterricht mit solchen Reformen nicht besser geworden. Ich rede viel mit Inhabern von Lehrbetrieben. Fast alle beklagen schlechtere Deutsch- und Mathematikkenntnisse. Kein Wunder, wenn die Lehrer keine Zeit mehr für richtigen Unterricht haben und die Schülerinnen und Schüler stattdessen Filme über Transsexualität schauen lassen.

Sie übertreiben.

Nein, kürzlich hat mir eine Mutter erzählt, ihr Kind habe sich als Hausaufgabe einen anderthalbstündigen Film über Gender und Nonbinarität anschauen müssen. Ich bin froh, wenn sich auch die FDP vermehrt um Bildungspolitik kümmert. Wir brauchen Verbündete in diesem Bereich. Wenn wir nicht dagegenhalten, machen die linken Ideologen, was sie wollen.

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