Donnerstag, Mai 29

Für seinen Film über Klaus Barbie gewann Marcel Ophüls einen Oscar. Als Dokumentarfilmer bezog er Stellung, und selbst an historischen Stoffen interessierte ihn die menschliche Seite. Nun ist der deutsch-französische Regisseur im Alter von 97 Jahren gestorben.

Sein langer Dokumentarfilm über Klaus Barbie endete mit einer Widmung an die gute Nachbarin. Die Widmung galt einer Frau, die während der deutschen Besetzung Frankreichs ein jüdisches Kind, das deportiert werden sollte, in ihrer Wohnung versteckte. Diese instinktive Zivilcourage nötigte Marcel Ophüls Respekt ab, umso mehr, als es im Haus dieser guten Nachbarin auch andere gab, die sich gegenteilig verhielten und ihr Verhalten vor Ophüls’ Kamera als zwingend rechtfertigten beziehungsweise verkaufen wollten. So wurde eine unspektakuläre Zeitzeugin aus einem Mehrfamilienhaus in Lyon zur Heldin des Dokumentarfilms «Hôtel Terminus», für den Marcel Ophüls 1988 den Oscar bekam.

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Das Bedenkenswerte an Ophüls’ Filmen lag immer im Herunterbrechen der grossen historischen Sujets – im Fall von «Hôtel Terminus» des Lebens und der Zeit von Klaus Barbie, dem Schlächter von Lyon – auf ein menschliches Mass. So stellte sich Nähe her. Marcel Ophüls war ein Gigant des dokumentarischen Kinos und mochte doch das Genre, für das er stand, nicht besonders. Seine Filme machte er als «Dienstnehmer» in fremdem Auftrag, doch das minderte nicht sein Engagement, im Gegenteil.

1988 schrieb er: «Ich bin ein Lohnarbeiter des Kinos in dem Sinne, dass ich mich in jener Tradition sehe, wo man sagt: Gut, wir sind Autoren, aber der Beruf des Filmautors hat weniger mit Dichtern und Denkern zu tun als mit Zirkus. Schauspieler und Regisseur Fritz Kortner sagte einmal, als er seinem Ärger über völlig schieflaufende Proben Ausdruck gab: ‹Wenn ein Artist etwas vergisst, gibt es gleich drei Genickbrüche. Hier geschieht leider keinem etwas.›» Das Ethos des lohnabhängigen Artisten spricht aus Ophüls’ Arbeiten – unmissverständlich.

Schalkhafter Ernst als Markenzeichen

Geboren am 1. November 1927 in Frankfurt am Main als Sohn des Regisseurs Max Ophüls und der Schauspielerin Hilde Wall, erhielt er seine wesentlichen biografischen Prägungen in Paris, dann in Hollywood, später wieder in Paris. Dort sowie in Kalifornien studierte er auch Philosophie. Bei John Huston, Julien Duvivier und seinem Vater arbeitete er als Regieassistent. CBS News heuerte ihn als Redaktor an; beim Südwestfunk und dem NDR war er Fernsehdramaturg. Eine nuancierte Reflexivität, ohne Absicherung durch Fraktionszwänge oder Korpsgeist, das ist Ophüls zur zweiten Natur geworden und wurde zur Antriebsfeder all seiner Filme.

Ophüls machte seine Filme als europäischer Intellektueller und als Entertainer, als Zeitgeschichtler und Zeitgenosse. Dass es ihm gelang, dies selbstverständlich zu verbinden und fruchtbar zu machen, darin lag seine unverkennbare Handschrift. In gut einem Dutzend Filmen hat Marcel Ophüls sich mit zentralen Momenten der Geschichte unseres Jahrhunderts auseinandergesetzt: dem Münchner Abkommen («Der hundertjährige Frieden»), dem Bürgerkrieg in Nordirland («A Sense of Loss»), den Nürnberger Prozessen und dem Vietnamkonflikt («The Memory of Justice»).

Seine «Kortnergeschichten», ein filmisches Porträt über den grossen deutschen Theatermann, sind schraffierte Spitzfindigkeiten, nicht ausgefeilt, sondern wie nebenbei hingeworfen. Von schalkhaftem Ernst, der sich quasi hinterrücks über die Anekdoten stülpt und sie gnadenlos einfärbt. Eine dieser Kortnergeschichten hat Ophüls in verschiedenen Zusammenhängen immer wieder gern erzählt. Sie handelt von Kortners erstem Besuch in Wien nach seiner Rückkehr aus dem amerikanischen Exil: «Eine Stadt verliert ihren Zauber, ja sogar ihre Gemütlichkeit, wenn es keine Verwandten und Bekannten mehr in ihr gibt, denen man gerne ausweicht. Man will sie zwar nicht treffen, aber da müssen sie sein, und leben müssen sie!»

Mit «November Days», 1991 im Auftrag der BBC gedreht, thematisierte Ophüls ein Kapitel der jüngsten deutschen Geschichte: den Fall der Mauer und das Jahr danach. Sein letzter Film war «Veillées d’armes» (1994), eine Auseinandersetzung mit der Arbeit der Kriegsreporter im belagerten Sarajevo und eine Polemik gegen die Prioritäten des Medienbetriebs.

Kritik an «feigen Neutralisten»

Marcel Ophüls’ Filme taugen immer noch, wenn auch im Lauf der Jahre weitgehend unsichtbar geworden, als Lektionen. Sie sind das, was Jean-Luc Godard 1978 im Rahmen seiner kanadischen Vorlesungen unter dem Titel «Einführung in eine wahre Geschichte des Kinos» als Kennzeichen wichtiger Filme genannt hat: Arbeiten, die andere Arbeiten erzeugen.

In einem Glückwunsch-Fax zum dreissigjährigen Bestehen der Duisburger Filmwoche schrieb Ophüls im Jahr 2006: «Seit vierzig Jahren habe ich versucht, die feigen Neutralisten anzugreifen, die sich auf ihre angebliche Toleranz berufen, um ihre eigene Feigheit und geistige Faulheit zu verbergen. Seit vierzig Jahren versuche ich Naturalismus im Dokumentarfilm als Mangel an künstlerischer Fantasie und Vitalität zu entlarven. Seit vierzig Jahren habe ich versucht, gegen den Begriff ‹Objektivität›, dieses stumpfsinnige Alibi für Mangel an Stellungnahme, zu kämpfen. Jetzt, wenn ich die Interviews von jungen Dokumentarfilmern lese, habe ich den etwas wehmütigen Eindruck, dass ich zumindest auf diesem Gebiet etwas erreicht habe.»

Seit mehreren Jahren zurückgezogen in den Pyrenäen lebend, ist Marcel Ophüls am vergangenen Samstag im Alter von 97 Jahren gestorben.

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